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Roscher, Heinz

Österreichische Stalin-Opfer (bis 1945)

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Name russisch: Рошер Гейнц Фридрихович

Geboren: 03.09.1898, Fiume (Rijeka, Kroatien)

Beruf: Mechaniker

Letzter Wohnort in Österreich: Wien

Ankunft in Russland/Sowjetunion: 25.04.1934

Wohnorte in der Sowjetunion: Moskau

Verhaftet: 05.02.1938, Moskau

Anklage: Spionage für Deutschland

Urteil: 17.05.1938, Dvojka, Tod durch Erschießen

Gestorben: 28.05.1938, Moskau

Rehabilitiert: 04.04.1963, Militärtribunal des Moskauer Wehrkreises

Emigrationsmotiv: Schutzbund-Emigration

Schicksal: erschossen

 

Heinrich (Heinz) Roscher wurde als illegitimer Sohn eines österreichischen Aristokraten in Fiume (heute Rijeka, Kroatien) geboren, als seine Mutter dort als Dienstmädchen arbeitete. Er lernte Mechaniker und nahm an der italienischen Front am Ersten Weltkrieg teil. Nach der Kriegsgefangenschaft arbeitete er 1918/19 als Werkmeister bei den Fiat-Werken in Turin. Nach seiner Rückkehr nach Österreich verrichtete er Gelegenheitsarbeiten, begann dann 1922 einen Meisterkurs im Wiener Arsenal. Gleichzeitig wurde er dort in der Maschinenbauwerkstätte angestellt. 1924 wurde er Betriebsleiter einer Metallfabrik in Rumänien. Nach seiner Rückkehr nach Wien trat Roscher in den Metallarbeiterverband ein und fand bis 1927 eine Stelle in der Berliner Metallwarenfabrik. Während der Demonstration am 15. Juli 1927 auf der Wiener Ringstraße wurde Roscher von einem Polizeireiter niedergeritten und schwer verletzt. Nach seiner Genesung fand er eine Anstellung im städtischen Gaswerk Leopoldau, 1928-1931 war er dort Betriebsratsobmann. Roscher trat der SDAP 1920 und dem Schutzbund 1924 bei. Im Februar 1934 war er Kommandant des Karl-Marx-Schutzbundbataillons und, weil der Bezirksführer bereits in der Vorwoche verhaftet worden war, Bezirkskommandant in Wien-Floridsdorf. Am 15. Februar konnte er über die tschechische Grenze flüchten. Mit dem ersten Schutzbundtransport im April 1934 gelangte er nach Moskau, wobei er während des Transports als eine Art militärischer Führer fungierte.

 

Roscher ließ seine Frau Maria und seinen Sohn Gernot im Oktober 1934 nach Moskau nachkommen. Er arbeitete im Stalin-Autowerk und wurde dort wegen ausgezeichneter Arbeitsleistungen mehrmals prämiiert und von der Belegschaft im Dezember 1934 in den Moskauer Gemeinderat (Mossovet) gewählt. Das Schutzbündlerkollektiv war bezüglich seiner Person geteilter Meinung, weil Roscher seine adelige Herkunft und seine Verdienste bei den Februarkämpfen sehr hervorhob. Seine Broschüre Die Februarkämpfe in Floridsdorf wurde in drei Sprachen übersetzt und als Tarnschrift in Österreich vertrieben. Roscher trat der KPÖ erst in Moskau bei, und da er in der Tschechoslowakei mit der emigrierten sozialistischen Prominenz freundlich verkehrt, sie aber später in seiner Darstellung heftig attackiert hatte, fanden nicht wenige sein Benehmen opportunistisch. Seine prominente Stellung im Moskauer Schutzbundkollektiv geriet ins Wanken, als er mit Richard Uccusic (Urban) über den ersten Schauprozess im August 1936 und die Verhaftungen von Arbeitskollegen im Autowerk heftige Auseinandersetzungen hatte. Auf Betreiben von Uccusic wurde Roschers freiwillige Meldung zu den Internationalen Brigaden abgelehnt. Andere Österreicher denunzierten Roscher bei der Kaderabteilung, weil er sich von unzufriedenen Schutzbündlern aus seinem Bezirk (wie etwa Josef Stern ) nicht distanzierte und brieflichen Kontakt zu nach Hause zurückgekehrten Februarkämpfern hielt. Im Februar 1937 berichtete Roscher Ernst Fischer von einer NKVD-Spitzelgruppe innerhalb des Kollektivs, die seine Frau Maria anwerben wollte. Die Komintern-Kaderabteilung schickte eine Zusammenfassung von Fischers Version an den NKVD.

 

Roschers Verhaftung am 5. Februar 1938 löste Schock und Unverständnis im Schutzbund-Kollektiv aus. In einer kurz danach abgehaltenen KPÖ-Versammlung fragte man Ernst Fischer über die Gründe für das Verschwinden des prominenten Schutzbundkommandanten. Laut Josef Kormout soll Ernst Fischer Goethe zitiert haben: "Halb zog es ihn, halb sank er hin".

 

Während der Verhöre wollten seine Peiniger Roscher zu inkriminierenden Aussagen - u.a. gegen die Brüder Ernst und Otto Fischer - zwingen. Am 17. Mai wurde Roscher schließlich wegen Spionage verurteilt und am 28. Mai 1938 erschossen. Maria Roscher suchte nach der Verhaftung ihres Mannes vergebens Arbeit. Von der NKVD-Auskunftsstelle erhielt sie keinerlei Nachrichten über ihren Mann. Sie und ihr Sohn Gernot wurden im Oktober 1938 des Landes verwiesen, sogar Fotos und persönliche Papiere wurden bei der Ausreise konfisziert.

 

Jahrelang bemühte sich Maria Roscher, Näheres über das Schicksal ihres Mannes in Erfahrung zu bringen, den sie 1951 in Wien für tot erklären ließ. Im Mai 1956 wendete sie sich an Staatssekretär Bruno Kreisky mit dem Ersuchen um Ausforschung bzw. Rückführung ihres Mannes. Anfang 1958 erhielt sie - nach einer Eingabe an das sowjetische Rote Kreuz - über das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten den gefälschten Todesschein: Roscher sei am 28.05.1938 gestorben, was richtig ist, als Ursache war jedoch Herzsklerose angegeben. Die gerichtliche posthume Rehabilitierung erfolgte auf eine Initiative von Mitarbeitern in der Auslandsabteilung im ZK der KPdSU, die aus Geschichtsbüchern von Roschers Rolle in Österreich und in der UdSSR erfahren hatten. Bezeichnend ist, dass die KPÖ im Fall Roscher untätig blieb. Weder richtete sie über Dimitrov ein Ansuchen in seinem Fall an den NKVD noch unternahm sie nach dem Krieg Schritte, um den guten Namen ihres selbstbewussten und kritisch eingestellten Ex-Genossen wiederherzustellen.

 

 

Quelle: RGASPI, GARF, DÖW, Parteiarchiv der KPÖ

 

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