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Leopold Augenstein: "... vielleicht noch eine kurze Galgenfrist"

 

Leopold Augenstein, geboren am 12. Februar 1903

 

Deportation nach Maly Trostinec: 31. August 1942

 

 

"Heute vor 13 Jahren sind wir weiss Gott wo, in Tirol oder Vorarlberg herumgegondelt und haben uns unsere Zukunft rosig ausgemalen. Und was ist heute? Manchmal glaube ich, dass es wieder für mich so kommen wird wie es war, aber manchmal ist es zum Verzweifeln. Es dauert halt Alles so furchtbar lange, dass ich oft sage, es wird Anders kommen, aber da werde ich nicht mehr leben" (Zitat in Originalorthographie), schrieb Leopold Augenstein am 9. August 1942 an seine frühere nichtjüdische Ehefrau Agnes, mit der er auch nach der Scheidung in Kontakt blieb und die ihn und seine Mutter unterstützte. Durch die Scheidung hatte Augenstein allerdings den Schutz vor Deportation verloren.

 

Seit 1941 war der Wiener Kohlenhändler in einem Arbeitslager in Drösing bei Marchegg (NÖ) untergebracht. Im März war er dort bei der Bekämpfung des Hochwassers im Einsatz:

 

 

"Wenn wir nicht so gearbeitet hätten, könnte Drösing heute nicht mehr in ihren Häusern schlafen, auch die umliegenden Orter nicht mehr. Auch die Nordbahn könnte keine Militärzüge, welche Tag und Nacht jetzt, nachdem die Gefahr beseitigt ist, nach dem Süden rollen um wahrscheinlich nach Jugosl. zu gehen, expedieren. Vielleicht bekomme ich noch dafür das eiserne Kreuz, kann man wissen? Oder sie schicken mich nächste Woche nach Polen. Eins von beiden."
(Zitat in Originalorthographie)

 

Leopold Augenstein an seine frühere Ehefrau, 16. März 1941
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Am 13. August 1942 wurde seine Mutter Charlotte Augenstein (geboren am 8. Jänner 1869) in das Ghetto Theresienstadt deportiert, auch Leopold Augenstein rechnete mit seiner baldigen Deportation:

 

 

"Wenn es mir auch gelingen sollte nach Ther. [Theresienstadt] zu kommen, so habe ich keine Hoffnung mehr die Mutter lebend anzutreffen. Ich bereue es immer wieder, dass ich nicht an einem der letzten Sonntage nach Wien gefahren bin, da hätte ich sie wenigstens noch einmal lebend gesehen. Jetzt nützt das leider nichts mehr. [...]
Was mich betrifft habe ich vielleicht noch eine kurze Galgenfrist von 4–6 Wochen. Nach den neuesten Nachr. (die sich allerdings oft in derselben Stunde überholen) kommen die Arbeitslager zum Schlusse [...] weg. Nachdem die ganze Aktion ungefähr Anfang Oktob. beendet sein soll, kann ich mir leicht ausrechnen wann ich drankomme. [...]
Nach den neuesten Abendnachrichten wird die Sache noch schneller gehen, also meine gedachte Frist sehr gekürzt. Was ich jetzt machen soll weiss ich nicht? Am besten abwarten."
(Zitat in Originalorthographie)

 

Leopold Augenstein an seine frühere Ehefrau, 16. August 1942
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Rund 19.000 Menschen, die in der Regel über 65 Jahre alt waren, wurden zwischen dem 19. September und dem 22. Oktober 1942 in elf "Altentransporten" von Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka und nach Maly Trostinec überstellt, nur drei überlebten. Charlotte Augenstein wurde am 29. September 1942 nach Treblinka verschleppt und ermordet; damit überlebte sie ihren Sohn um wenige Wochen.

 

Am 31. August 1942 wurde Leopold Augenstein nach Maly Trostinec deportiert und dort nach der Ankunft am 4. September 1942 ermordet.

 

 

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Downloads

16. 3. 1941 (DÖW 20.000/A221)
(4,8 MB)

9. 8. 1942 (mit Transkript, DÖW 20.000/A221)
(8,2 MB)

16. 8. 1942 (mit Transkript, DÖW 20.000/A221)
(3,2 MB)

31. 8. 1942 (Auszug)
(855,5 KB)
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