logo
logo

Ruth Grünwald, Sophie Margo: Eine Minute vor zwölf

Deportationen Wien - Opole, Februar 1941

 

Ruth Grünwald, geboren am 23. Jänner 1916

Sophie Margo, geboren am 25. Jänner 1867

 

Deportation nach Opole: 15. Februar 1941

 

Sophie Margo und Ruth Grünwald (genaues Verwandtschaftsverhältnis bisher nicht eruierbar; möglicherweise Großmutter und Enkelin) lebten vor der Deportation nach Opole am 15. Februar 1941 in der Praterstraße 66 (Wien-Leopoldstadt).

 

Im DÖW archiviert sind Briefe von Ruth Grünwald (teilweise mit einem Zusatz von Sophie Margo) aus dem Sammellager Castellezgasse (Wien-Leopoldstadt) und aus Opole. Adressatin ist Anna Margo, die (nicht-jüdische) Schwiegertochter von Sophie Margo. Sophie Margos Sohn Stephan (geboren am 2. Februar 1897) war 1938 nach Jugoslawien geflüchtet und ab Sommer 1942 im KZ Jasenovac in Haft. Sein letztes Lebenszeichen stammt aus dem März 1945.

 

Ruth Grünwald hatte vor ihrer Deportation versucht, eine slowakische Staatsbürgerschaftsbescheinigung zu erhalten. Am 14. Februar 1941 schrieb sie aus dem Sammellager Castellezgasse (Wien-Leopoldstadt):

 

"Wenn vom Slovakischen Konsulat eine Vorladung kommt, die Staatsbürgerschaftsbescheinigung zu holen, dann gehe bitte hin und versuche sie zu bekommen. Ich schließe dir eine Vollmacht bei. Sollte man sie Dir nicht geben, dann sage am Konsulat, wo ich bin. Sobald wir angekommen sind, teile ich Dir gleich unsere Adresse mit. [...] Wenn Briefe von Mutti kommen oder Onkel Steffl [Stephan Margo], öffne sie und sende ihren Inhalt rekommandiert an uns. Das wäre so ziemlich alles. Wir sind beide gesund. Noch einmal tausend Dank für alles und Deine Bemühungen."

 

Anna Margo schickte Pakete mit Lebensmitteln und Kleidung nach Opole. Auf einer Postkarte bestätigt Ruth Grünwald am 6. April 1941 u. a. den Erhalt eines Pakets und bittet um weitere Zusendungen:

 

"Bitte sende mir noch das weiße Kopftuch mit Goldstickerei, mein buntes Halstuch, alle Gürtel. Das alles kann man hier verkaufen. Und davon leben wir. [...] Das Kochgeschirr brauchen wir dringend. Wir kochen selbst, weil ich jetzt so darmkrank war. Bin heute den dritten Tag auf. Kannst Dir denken, wie das Kranksein hier ist. Auch die sogenannte Rekonvaleszenz geht sehr langsam vonstatten, da ich nicht das richtige habe. Muß noch immer mehrere mal im Tag auf's Klo gehen und muß Opiumpulver nehmen, damit die Bauchkrämpfe gemildert werden. Diese Pulver machen mich ganz teppert, denn Opium ist sehr stark. [...]

P.S. Was macht meine slovakische Angelegenheit?"

 

Am 17. Juni 1941 schrieb sie:

 

"Wir sind ganz glücklich, weil wieder ein Paket kam. Brot ist ausgezeichnet gut. Bitte sende gleich wieder, was Du kannst. Wir brauchen alles und jedes. Wenn möglich wieder Brot. Wenn wir Brot bekommen, ersparen wir viel Geld. Auf jeden [Fall] vielen, vielen Dank für Deine Mühe. Die Pakete sind im wahrsten Sinne des Wortes eine Minute vor zwölf gekommen."

 

Im Herbst 1941 erkrankten Ruth Grünwald und Sophie Margo. Ein kurzer Brief vom 5. Dezember 1941 wurde daher nicht von Ruth Grünwald, sondern von einem Bekannten der beiden Frauen geschrieben:

 

"Eben jetzt habe ich Dein Paket erhalten, alles so wie angegeben ist, in tadellosem Zustand. [...] Es ist wirklich sehr, sehr nötig und kann es Dir nicht anders sagen. Für heute genug.
Tausend Küsse, Deine Ruth

Ruth u. Großmutter sind sehr krank. Diesen Brief schrieb [unleserlich; Herr oder Jean] Berger"

 

Die über 70-jährige Sophie Margo überlebte diese Krankheit offenbar nicht. Ihr Tod ist im Brief Ruth Grünwalds vom 23. März 1942 erwähnt:

 

"Bitte, liebe Annerl, solltest Du einmal verhindert sein, mir zu schicken, weil Du z. B. liegst, dann schreibe es mir gleich, damit ich weiß, woran ich bin. Ich habe eine schreckliche Bronchitis. Gott sei Dank, fieberfrei. Aber der Husten quält mich Tag und Nacht.
Hast Du schon rekommandiert an die Jüdische Postvermittlungsstelle in Opole geschrieben, daß die Pakete für die verstorbene Sofie Margo mir ausgefolgt werden? Sonst bekomme ich die Pakete nicht. Vorläufig werden sie mir noch gegeben. [...]
Nun schließe ich. Schreibe mir bald und sei 1000mal geküsst von Deiner Ruth

P. S. Heute habe ich Antwort auf mein Ausreisegesuch erhalten. Es wurde natürlich abgelehnt. Kannst Du etwas für mich machen?"

 

Ein Brief von Ruth Grünwalds Tante Ottilie Werter am Anna Margo (15. April 1942) ist der letzte Hinweis auf Grünwald, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Opole befand:

 

"Sie haben wahrscheinlich die Post von Herrn Czeczowiczka erhalten, worin er Ihnen Verschiedenes über Ruth mitgeteilt hat. Ich bitte Sie, wenn Sie vielleicht von ihr selbst eine Nachricht haben, mich davon zu verständigen, da ich um sie sehr besorgt bin."

(Ottilie Werter, geboren am 16. Februar 1883, und ihr Mann Max Werter, geboren am 17. Oktober 1880, wurden ebenfalls am 15. Februar 1941 von Wien nach Opole deportiert. Max Werter starb dort am 12. März 1941.)

 

 

>> weiter

<< zurück zur Übersicht

 

Downloads

4. 4. 1941
(178,7 KB)

Ruth Grünwald an Anna Margo
(285,2 KB)

Ruth Grünwald an Anna Margo
(218,8 KB)

geschrieben von Jean Berger
(267,9 KB)

Ruth Grünwald an Anna Margo
(340,2 KB)

Ottilie Werter an Anna Margo, 15. 4. 1942
(303,7 KB)

(135,1 KB)
Unterstützt von: