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Helene Neuhaus: "Legt die Waffen nieder"

Helene (Helli) Neuhaus, geboren 1922 in Wien, Lehre als Modistin, später Arbeiterin, ab 1936 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands (KJV), Verbreitung illegaler Flugschriften, gegen Kriegsende Aktivitäten zur kampflosen Übergabe Ottakrings an die Rote Armee.

Viele Jahre ehrenamtliche Mitarbeiterin des DÖW.

Verstorben 2016.

 

 

Zwei Tage, bevor die Russen in Wien waren, war es so, dass die ganzen Nazis Wien verlassen haben, alles verbrannt haben. Sie haben noch den Volkssturm einberufen. In den Schulen haben sich müssen die ganz jungen Burschen und alten Männer melden. [...] Jeder hat sich Schulen aufgeteilt; ich bin damals am Schuhmeierplatz in die Schule gegangen. Wir haben die Leute alle nach Hause geschickt. Wir haben gesagt: "Ihr könnt nach Hause gehen, der Krieg ist aus, es wird nicht gekämpft." Diese jungen Buben und alten Männer, die waren sehr, sehr froh. Wir haben das Gefühl gehabt, es ist ja gar niemand mehr da, der die dirigieren könnte, und wozu sollten die jetzt noch kämpfen. [...]

 

Wir haben uns oben beim Sandleiten-Kino - da ist heute ein Konsum drinnen - aufgestellt und haben gewartet auf die rückströmenden deutschen Soldaten. Die sind ja einzeln zurückgekommen. Die ersten zwei oder drei, die gekommen sind, das war das größte Risiko für uns. Denen haben wir gesagt: "Legt die Waffen nieder, wir wollen nicht, dass in Wien gekämpft wird, wegen unserer Kinder. Taucht wo unter, der Krieg ist vorbei. Es hat keinen Sinn."

 

Wir seid ihr denen entgegengetreten?

 

Wir sind dort gestanden in der Sandleitengasse und wir haben gesehen, die kommen jetzt. Die Russen sind immer nachgerückt, und das waren die ersten Deutschen, die zurückgekommen sind.

 

Wart ihr bewaffnet?

 

Nichts. Und das war, sagen wir, das große Risiko, das wir eingehen mussten; das auf uns zu nehmen, was die jetzt machen. Jetzt war vielleicht das Glück, dass die ersten zwei oder drei Österreicher waren, die auch gespürt haben: "Der Krieg ist aus. Ich tauche unter. Ich habe es nicht mehr so weit, ich bin in meinem Land." Außerdem konnten wir ihnen Zivilkleider geben. Denn vis-á-vis vom Sandleiten-Kino haben die Nazis so eine Spinnstoffsammlung angelegt, für die "Winterhilfe" [...] Da haben wir aufgesperrt und haben die Kleidung rausgeholt. Und ein jeder, der bereit war … also, das waren die ersten, die haben Gott sei Dank das Gewehr niedergelegt. So haben wir jeder ein Gewehr gehabt, zu dritt waren wir oben. Die haben das Gewand angezogen und sind irgendwo in den Kellern verschwunden. Weil es war so, dass die Leute, die Wiener, Soldaten in die Keller nicht mehr reingelassen haben. Die Häuser waren damals alle abgesperrt. Und die Masse wollte nicht, dass sich Soldaten verstecken, damit nicht Kämpfe [entstehen] oder, wenn die Russen kommen, alles niedergeschossen wird.

 

Wann wird das ungefähr gewesen sein?

 

Das muss so der 4., 5. April gewesen sein. Bei uns ist [im Zuge der Befreiung Ottakrings am 7. April] nicht gekämpft worden dank unserer Aktion. In dem Haus, wo ich gewohnt habe - die Luftschutzwartin, die immer sehr zu den Nazis gehalten hat, hat auf einmal gesagt: "Weiße Fahnen raus, wenn die Russen kommen." Also ich habe nicht meinen Ohren und Augen getraut. Die Leute wollten den Russen - teil aus Angst und weil sie gesehen haben, der Krieg ist vorbei - zeigen, dass nicht gekämpft wird. Dieser Wunsch ist uns ja zugute gekommen. Nicht nur, dass wir es gewünscht haben, es haben die anderen auch gewünscht. Die Gefahr war eben, wir waren nicht bewaffnet. Und das Glück war, nehme ich an, dass wir als erste Österreicher getroffen haben. Denn es hat sich dann herausgestellt, die nächsten waren Deutsche, die wahnsinnig gezögert haben, das Gewehr herzugeben. Nur hat das auch nichts gemacht, weil da haben wir schon ein Gewehr gehabt. Vielleicht waren sie auch gar nicht so fanatisch, dass sie uns etwas gemacht hätten ohne Waffen. Aber jedenfalls, sie wollten ihr Gewehr nicht hergeben, weil sie haben ja noch einen weiten Weg in ihre Heimat zurück gehabt. Sie wären ja das Risiko eingegangen, dass sie von den Deutschen als Deserteure erschossen werden. Wie sie gehört haben, wir haben Zivilkleidung, waren sie eher bereit. Und auch die haben die Waffen hergegeben. [...]

 

Es war so, dass die Straße eigentlich leer war. Es war eigentlich nur unsere Gruppe auf der Straße. Die Straßen waren vollkommen leer. Bevor noch diese Situation war mit der Entwaffnung haben die Leute schon die Geschäfte geplündert. [...]

 

Wie die Menschen bemerkt haben, dass die Polizei und alles, die Organe, weg sind, sind die Plünderungen losgegangen. Wir haben aufgelöst diese ganzen Schutzgruppen, die noch kämpfen hätten sollen. Wir waren damit beschäftigt und haben diese Sachen gesehen. In der Tabakregie war so ein Luftschutzteich, da haben sie sich ertreten. Das sind Leute ertrunken vor Gier um die Zigaretten, in dem Teich. Ich weiß nur, der Klein Heini ist mit dem Radl vorbeigefahren und auf einmal hat irgendwer bei diesen Plünderungen die Parole ausgegeben: "Die Russen sind da." Die Leute haben alles liegen und stehen gelassen und sind weggerannt. Dann, wie keine Russen da waren, sind sie wieder gekommen. [...]

 

Die [Waffen] waren in Sandleiten. Da war so ein Berg. Alle, die zurückgestürmt sind, [wurden entwaffnet]. Das war ein Riesenkegel, so ist das aufeinandergebaut worden. Da hat sich dann Folgendes abgespielt: Wir haben also diesen Berg Waffen gehabt, waren uns schon ganz siegessicher, Ottakring fällt kampflos. Aber da sind auf einmal Leute dahergekommen. Das waren die Zwangsarbeiter, die [...] in Lager gesperrt waren. Die sind auch ausgebrochen. Die haben natürlich auch gespürt, es ist niemand mehr da. Die sind ausgebrochen und sind auf die Straße. Sie sind bis zu uns raufgekommen und haben den Berg Waffen gesehen. Die haben selbst alle eine Waffe gehabt, komischerweise. [...] Und die haben uns die Waffe angesetzt, haben gesagt: "Her mit dem Berg Waffen." Und wie ich hinaufgekommen bin, hat der Klein Heini gesagt: "Wir haben das alles denen gegeben, das hat keinen Sinn." Das waren Polen, Tschechen; eher slawisch Sprechende waren das, keine Westlichen. [...]

 

Was ich so mitbekommen habe: alle, die dort vorbeigekommen sind, waren im tiefsten Herzen froh, dass der Krieg aus ist, von dieser Wehrmacht. Die einen waren besonders freudig, die anderen waren vielleicht ein bisschen zögernder. Aber nicht, weil sie nicht froh waren, dass der Krieg aus ist, sondern die Angst: "Na, bis ich nach Hamburg oder Berlin komme, da kann noch allerhand passieren, und ich habe kein Gewehr." Also da war die Angst, die ich feststellen konnte.

 

 

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