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Rudolf Schober: "Rudl, jetzt brennen wir!"

Rudolf Schober, geb. 1910 in Payerbach (NÖ), Metalldreher. 1924 nach Wien, 1925 Sozialistische Arbeiterjugend, Republikanischer Schutzbund, später KPÖ. Teilnahme an den Februarkämpfen 1934. Flucht in die ČSR, von dort im April 1934 nach Moskau. Ende 1936-1939 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg (unter dem Namen "Adolf Drescher"), 1939 zurück in die Sowjetunion.

Oktober 1945 Rückkehr nach Österreich, KPÖ-Angestellter.

Verstorben 1998.

 

 

Jeder von uns hat gewusst, dass der Aufenthalt in der Emigration kein langer sein wird. Jeder hat den Wunsch gehabt, wieder in die Heimat, nach Österreich, zurückzukehren. Hier [in der Sowjetunion] hat man uns gebraucht, wir haben etwas leisten können als Arbeiter, aber politisch hat uns Österreich gebraucht, d. h. die österreichische Arbeiterbewegung. Das war in uns drinnen. Nachdem wir also das von Spanien erfahren haben, haben wir uns gesagt, jetzt ist eine Möglichkeit [...] dass wir dem bedrängten spanischen Volk helfen können. Das war, man kann sagen, ein spontaner Entschluss, den wir dann auch organisatorisch umsetzen wollten und die meisten auch umsetzen konnten. Wir haben erst einmal unsere Parteileitung gebeten, dass sie sich bei den sowjetischen Behörden einsetzt, dass wir nach Spanien fahren könnten. [...]

 

Wir sind Ende September [1936] nach Moskau zurückgekommen und haben da erfahren, dass einige von unseren Schutzbündlern schon nach Spanien gefahren sind. Dann haben wir erfahren, dass der Aufruf zur Solidarität von der Kommunistischen Internationale war: "Man muss Spanien helfen." In der Sowjetunion sind ja große Geldsammlungen in den Betrieben durchgeführt worden. So war es bei uns auch, dass wir uns gemeldet haben, jeder individuell. Manche haben ja schon eine Familie gehabt. Manche waren noch ledig, manche haben eine russische Freundin gehabt. Für die war es irgendwie leichter. [...] Dann waren einige - wie z. B. in meinem Fall, dass mein erstes Kind unterwegs war. Trotzdem haben wir uns entschlossen, uns bei der Partei zu melden. Das hat sich dann in der Praxis so abgespielt, dass von unserer Partei Ernst Fischer, der auch unser Komintern-Vertreter war, und Robert bzw. Hans Täubel beauftragt waren, mit jedem Einzelnen, der den Wunsch geäußert hat, nach Spanien zu gehen, zu reden. Diese Gespräche waren sehr ernst. Sie waren so ernst, dass manche sich dann entschlossen haben, nicht zu gehen, aus verschiedenen Gründen. [...]

 

[Rudolf Schober wurde mit Franz Löschl über Finnland und Schweden nach Kopenhagen durchgeschleust und traf dort auf vier weitere Freiwillige.]

 

Aus welchem Fonds das bezahlt wurde, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass wir 6.000 Francs bekommen haben und dass dieses Geld in einer bestimmten Situation, wie wir nachher feststellen konnten, wichtiger war als unser Pass. In Kopenhagen haben wir übernachtet und haben abends, wie wir einen Spaziergang machten, vier von unseren Vorgängern [die schon zuvor aus der Sowjetunion abgereist waren] getroffen. Das waren Franz Tesar, Viktor Lenhart, Franz Berger und Hugo Müller. Die konnten nicht fliegen, weil schlechtes Wetter war, und so hatten sie für das gleiche Flugzeug gebucht. Aber wir durften uns klarerweise nicht kennen, obwohl wir uns sehr gut kannten. Mit dem Hugo Müller und dem Berger waren wir ja im Kaukasus noch wenige Monate vorher zusammen gewesen und die vier waren wie wir "Moskauer". Es gab eine Fluglinie Kopenhagen-Amsterdam-Paris und eine Linie Kopenhagen-Hamburg-Amsterdam-Paris. Wir haben die erste Linie gewählt, weil es für uns nicht sehr angenehm war, in Hamburg zwischenzulanden und kontrolliert zu werden. Mit uns waren noch 16 Passagiere, unter anderen auch drei oder vier Kinder; das hat man aber alles erst nach unserer Notlandung bemerkt. Es war eine dänische Maschine, eine JU 52, eine dreimotorige Propellermaschine. Wir sind drinnen gesessen und haben geschaut, die Küste haben wir zur linken Hand gesehen, also wir flogen in Küstennähe über dem Meer. Plötzlich haben wir einen Schlag verspürt, es fing zu rumpeln an. Vor mir ist der Franz Berger gesessen. Der Franz dreht sich um und sagt zu mir: "Rudl, jetzt brennen wir." Ich habe nicht gleich begriffen, was er meint, aber das war schon ein Konspirationsfehler, weil wir sollten uns ja nicht kennen, es war ein spontaner Ausspruch vom Franz. Wir haben dann bemerkt, dass beim linken Triebwerk - das sind so Stern-Motoren bei den JU 52 - der Propeller gebrochen war. Die Flieger haben gesagt, sie sind in einen Schwarm von Möwen geflogen. [...] Die Ursache haben uns die Flieger selbst erklärt nach der Notlandung auf dem Feld. Es soll der Schlag eines Vogels - sie nahmen an, dass es eine Möwe war - gewesen sein. Dadurch dass die Rotoren so austariert sind, genügt ein kleiner Stein, den man auf eine bestimmte Stelle wirft, dass der Propeller bricht. Durch das plötzliche Aussetzen der Rotation des Propellers ist die Zuleitung abgerissen. Der Motor ist aber nicht heruntergefallen, er ist noch gehängt ... Und die Benzinzufuhr konnten sie nicht so rasch drosseln, weil sie es wahrscheinlich auch nicht so rasch bemerkt haben, sodass auf der linken Seite beim Motor Flammen hochgestiegen sind. [...]

 

Wir haben bemerkt, dass das Flugzeug gleich eine Wendung landeinwärts gemacht hat, um übers Festland zu kommen. Der linke Motor war ja nicht mehr da, und den rechten hat er auch abgeschalten, dass er nicht einseitig ist. Wir sind nur mit dem mittleren Motor geflogen. Sie haben uns dann erzählt, dass es nicht möglich gewesen wäre, damit auf ein Flugfeld zu kommen. Wir hätten zu viel Höhe verloren. Wir sind landeinwärts geflogen und da wurde die Tür der Pilotenkabine aufgerissen und einer hat rausgerufen, das war der Bordmechaniker: "Anschnallen!" Wir waren ja nicht angeschnallt. Ich habe meinen Gurt gesucht, und vorher muss da wer mit Bauch gesessen sein, denn der Gürtel war zu weit. Aus Nervosität wahrscheinlich habe ich mir nicht die Zeit genommen, den Gürtel zu verkürzen, deshalb habe ich mich ganz einfach in den Fauteuil hineinrutschen lassen, da waren so Lehnen auf der Seite ... Ich erinnere mich sehr gut an die Situation, obwohl es Jahre her ist. Wir fliegen jetzt landeinwärts und verlieren immer mehr an Höhe. Da sehe ich vor uns ein Ziegelwerk mit einem Schornstein. Das Flugzeug war bereits in der Höhe von diesem Schornstein; damit es nicht den Schornstein streift, hat es sich noch auf die Seite gelegt. Dann haben wir einen Schlag gespürt, weil es aufgesetzt hat - das waren noch Flugzeuge, wo die Räder nicht eingezogen waren, die waren noch fix. Wir haben also einen Schlag gespürt, dann einen zweiten, da hat es sich noch einmal zu erheben versucht. Da war Folgendes passiert: Wir landeten auf einem Acker. Es war ein bisschen neblig, tiefer Boden, und wie der Pilot aufsetzt, sieht er, dass dieses Feld, der Landeplatz, von einem tiefen Hohlgraben gequert wird. Und damit es da jetzt nicht hinunterrutscht und mit der Nase in die gegenüberliegende Wand des Hohlgrabens hineinsaust, hat er die Maschine noch einmal hochgerissen und einen Hupfer über den Hohlgraben gemacht. Auf dem Hang gegenüber ist eine starke Esche gestanden. Der Pilot hat gesagt, er habe vor sich einen Wald bemerkt, und vor dem Wald ist eine Hochspannungsleitung über das Feld gegangen. Darum ist er mit dem rechten Flügel absichtlich an den Baum heran. Den rechten Flügel hat es uns abgerissen, der ist in den Hohlweg hineingerutscht. Auf dem Feld ist eine große, verschalte Dreschmaschine gestanden. In die sind wir hineingesaust. Das Flugzeug hat sich um 180 Grad gedreht. Bei dem Hupfer über den Hohlweg hat es die Räder abgerissen. Wir brauchten nur einen kleinen Tritt machen und waren schon auf der Erde, wie die Kabine aufgemacht worden ist. Jetzt haben wir sechs eine Konspirationssitzung gemacht. Das hätten wir nicht machen dürfen. Man muss sich in solchen Situationen, wenn man u. a. mit falschen Papieren unterwegs ist, so wie alle anderen Passagiere benehmen.

 

Es hat keine Verletzten gegeben. Erst die Damen mit den Kindern raus, dann die andern. Wir sechs sind sitzen geblieben. Die Flammen waren nicht sehr hoch, es hat aber doch gebrannt auf der linken Seite beim Motor, nur dort. Die Besatzung ist hinunter - die Autos haben Schneeschaufeln mit, ein Flugzeug nicht. Sie haben mit den Händen Erde auf den Flügel geworfen. Wir sechs, junge Leute, impulsiv, haben beim Löschen mitgeholfen. Die anderen sind alle rasch weg vom Flugzeug. Wir sind dann auch weggegangen, wie die Flammen gedämpft waren. Wir wussten nicht, wo wir waren. Wir glaubten, wir wären in Holland. 100 oder 150 Meter weg haben wir ein kleines Bauerndorf gesehen. Kinder sind gelaufen gekommen. Die Kinder haben uns gesagt: Wir haben euch beobachtet, ihr habt Glück gehabt. Das war eine Sprache wie das Holländische. Dabei war es das Platt vom Bezirk Neustadt. Aber uns ist dann gleich klar geworden, wo wir sind, nachdem kurze Zeit später durch den Hohlweg ein Motorrad mit einem Beiwagen gekommen ist, und im Beiwagen ist ein sehr solider Herr gesessen mit einer Hakenkreuzbinde. Da haben wir gewusst, wo wir sind. [...] Jemand von den Piloten oder den Passagieren ist ins Dorf gegangen, dann sind wir alle ins Dorf gegangen. Dort war ein Gasthaus. Es war ein sehr trübes Wetter. Wir sind in ein Extrazimmer eingewiesen worden. Sie haben uns ein improvisiertes Essen gemacht. Dann ist irgendeiner von der Ortsbehörde gekommen. Sie hatten schon ihre vorgesetzte Stelle angerufen, das war Neustadt, und von dort sind welche gekommen. Am Nachmittag, gegen 16 Uhr, ist ein Autobus gekommen mit einigen Grenzbeamten. Die haben unsere Papiere geprüft. Wir sind einzeln in den zweiten Raum gerufen worden. Es war günstig, dass es so düster war und dass diese Beamten im 36er Jahr noch nicht diese Ausbildung gehabt haben, die sie später bekommen haben, dass sie nicht bemerkt haben - wir hatten von der Sowjetunion den Pass, und da gab es keinen Stempel drinnen, in meinem Pass nur die Grenzstation Polen-Sowjetunion. Mein Drescher Adolf [unter dessen Namen Schober reiste] ist mit dem Pass über Polen in die Sowjetunion gefahren. Dann war noch als zweite Grenzstation Finnland drinnen, aber wieder aus der Sowjetunion gekommen. Also wenn er ein aufmerksamer Beamter ist, muss er sagen: Hallo, wo kommt denn ihr her. [...]

 

Der Vorteil war, dass alle Passagiere sehr aufgeregt waren. Von mir kann ich das auf alle Fälle sagen. Es war nicht einfach, mit einem falschen Papier im 36er Jahr durch Deutschland zu reisen. Ich habe in meinem Pass einen Vermerk gehabt, dass der Drescher Adolf einmal in Nürnberg war, ich glaube im 35er Jahr. Und da hat der Beamte gesagt: "Na ja, wenn Sie jetzt schon in Deutschland sind, können Sie ja länger bei uns bleiben." Ich hatte den Pass studiert, muss man ja, und habe gesagt, dass ich im 35er Jahr schon einmal in Nürnberg war. Da hat er gesagt: "Wenn Sie länger dableiben wollen, Sie brauchen gar nicht selbst zur Behörde gehen, Sie brauchen das nur im Hotel in Hamburg zu melden." Wir sind im Hotel "Vier Jahreszeiten" untergebracht worden, einem der vornehmsten Hotels zu dieser Zeit in Hamburg. Jeder in einem Einbettzimmer, das hat alles die Versicherung bezahlt. Nicht einmal der Liftboy hat ein Trinkgeld genommen. Durchgekommen sind wir auch, weil wir das Geld gezeigt haben. Wobei wir die Sache so durchgeführt hatten, dass ich in Kopenhagen beide Flugkarten gekauft hatte, der Franz [Löschl] wieder andere Ausgaben getätigt hatte, damit wir nicht den gleichen Betrag bei uns haben. Das wäre vielleicht aufgefallen.

 

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