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Hans Landauer: Ein Hasten und Laufen

Hans Landauer, geb. 1921 in Oberwaltersdorf (NÖ), Textilarbeiter, Blattbindergehilfe. Rote Falken. Ab Sommer 1937 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) auf Seiten der Republik (unter dem Namen Hans Opperschall). 1939 Internierung in Frankreich (Saint-Cyprien, Gurs, Argelès, Gefängnis Toulon). November 1940 Verhaftung in Paris. April 1941 Anzeige wegen Verdachts der „Vorbereitung zum Hochverrat“. Juni 1941 bis 29. April 1945 Haft im KZ Dachau.

Nach der Befreiung Sicherheitsdirektion Niederösterreich, dann Kriminalpolizei Wien. Angehöriger des UNO-Polizeikontingents auf Zypern und Sicherheitsbeamter an der Österreichischen Botschaft in Beirut. Ab 1983 Mitarbeiter des DÖW (Aufbau und Betreuung der Spanien-Dokumentation). Publizistische Tätigkeit, u. a. "Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936-1939" (gemeinsam mit Erich Hackl).

Verstorben 2014.

 

 

Wir sind am 5. Juni 1941 von Wien weggefahren, sind die Nacht durchgefahren, am 6. Juni - das werde ich nie vergessen, denn drei Jahre später war die Invasion - sind wir auf dem Hauptbahnhof in München angekommen. Wenn heute Österreicher und Deutsche in Mauthausen, in München oder sonstwo sagen, sie haben nichts gewusst von alldem, was seinerzeit passiert ist, ist das ein Witz. Es war zeitig in der Früh, der Hauptbahnhof von München war stark bevölkert, und wir sind in einem normalen Waggon angekommen, begleitet von der Schutzpolizei. Und wie wir bei den Fenstern rausschauen, heißt es: "Raus, raus, raus, Tempo, Tempo!" Draußen haben wir etwa zehn SS-Leute sehen können, Totenkopf auf der Mütze und braune Gesichter. Man hat sehen können, sie sind das ganze Jahr draußen in der Sonne, und jeder hielt einen Ochsenziemer in der Hand. Nach der dritten oder vierten Gleisanlage ist ein Mannschaftstransportwagen gestanden mit Bänken. Wie wir vom Waggon runtergestiegen sind, hat der Erste schon einmal eine mit dem Ochsenziemer übers Kreuz gekriegt, und es war ein Hasten und Laufen über die Gleise in Richtung dieses Mannschaftstransportwagens. Und dort auch wieder: Wir waren ungefähr 40 Mann und andererseits zehn SS-Leute - aber die haben einen derartigen Terror ausgeübt und einen derartigen Schrecken eingeflößt, dass auch nur der leiseste Widerstand oder auch nur ein Nicht-Laufen uns überhaupt nicht eingefallen wäre. [...]

 

Obwohl wir 40 Mann waren, der Mannschaftstransportwagen ein paar Reihen Sitze drinnen hatte, wurden wir auf den ersten drei Sitzreihen untergebracht - die Leute sind bis hinauf gesessen, übereinander - und hinten, in den letzten zwei Reihen, sind zwei SS-Leute gesessen. Die anderen sind mit einem Wagen nachgefahren. Wir sind echt wie die Sardinen durcheinandergelegen, haben fast keine Luft bekommen. So sind wir die 18 Kilometer von München bis nach Dachau gefahren. In Dachau sind wir dann ausgeladen worden vor dem berühmten Jourhaus, und dort haben wir, Gott sei Dank, eine freudige Überraschung erlebt, denn das war die Außenstelle der Gestapo, dort wurde fotografiert und daktyloskopiert [Abnahme der Fingerabdrücke]. Und das Fotografieren hat bereits ein Spanienkämpfer vorgenommen, der Willy de las Heras. Sein Vater war ein Spanier, seine Mutter eine Wienerin. Der war Berufsfotograf und hat in Dachau das Fotografieren besorgt. Wir haben ein bekanntes Gesicht gesehen und waren etwas beruhigt. [...]

 

Zur Zeit unserer Ankunft waren speziell die deutschen Häftlinge - Sozialisten und Kommunisten, da hat es keinen Unterschied gegeben - mehr oder weniger demoralisiert. Die sind bereits acht Jahre gesessen, von 1933 bis 1941, und haben wirklich geglaubt, Deutschland wird innerhalb kürzester Zeit die ganze Welt beherrschen. Das glaubten die Spanienkämpfer nicht. Wir sind als homogene Masse hingekommen, was ein unheimlicher Vorteil war. Außerdem war der Chef vom Zugangsblock ein Röhm-Häftling, Wagner hat er geheißen, ein SA-Mann aus München, der komischerweise an uns Spanienkämpfern einen Narren gefressen hatte. Er hat gesagt: "Ihr seid politische Kämpfer, vor euch habe ich Respekt!" Und wie wir dann auf dem Lagerplatz unseren Marsch einstudieren mussten, mit Holzschlapfen, hat er nach einer Stunde gesagt: "So, Spanienkämpfer, raustreten! Ihr geht auf den Block und bringt den Block in Ordnung!" Und da mussten wir dann die Blöcke schrubben. Die Blöcke in Dachau waren blitzblank; wenn ein Stäubchen gefunden wurde, hast du 25 Stockschläge bekommen. Die anderen armen Hunde, die nicht richtig marschieren konnten, mussten weiterexerzieren: "Sprung, auf, marsch. Sprung, auf, marsch!" In dem Sand- und Steinboden von Dachau, das war furchtbar, sie haben sich die Finger und Hände aufgerissen. Von dieser ersten Schinderei waren wir Spanienkämpfer mehr oder weniger ausgenommen. Und es ist uns dann auch gelungen, verschiedene Positionen relativ rasch zu beziehen. [...]

 

Mein erster Job war Gleisbau. Ich habe am Oberbau einer Bahn im Lager gearbeitet. Aber ich war ja die Handarbeit nicht gewohnt. Das war für mich etwas ganz Neues. Wie ich den ersten Tag mit Krampen und Schaufel gearbeitet habe, waren am nächsten Tag beide Hände ganz vereitert, und ich habe mir mit einer Hand die andere aufmachen müssen, weil die Finger ganz verpickt waren. [...] Ein alter Freund, Josef - Pepi - Veverka, auch ein Spanienkämpfer, hat zu mir gesagt: "Bua, wenn du so weiterschaufelst, bist in einem Monat tot! Denn eine Schaufel muss 'schliafen', eine Schaufel hält man ganz tief am Boden, und eine Schaufel darfst nicht in der Luft halten, sondern musst mit dem Knie reinschieben!" Na, und da hat er mir wirklich das Arbeiten mit Krampen und Schaufel beigebracht. Ich habe einige Wochen bei diesem Gleisumbaukommando gearbeitet, ich war der einzige Spanienkämpfer dort. Der Kapo war ein Wiener Heimwehrler, ein netter Bursch. Er ist entlassen worden und dann an der Ostfront gefallen. Später kam ich dann zum Kommando Porzellanmanufaktur. [...]

 

Mit der Zeit sind mehr und mehr und immer mehr Spanienkämpfer in die Porzellanmanufaktur gekommen und auch junge Spanier, die man in Frankreich verhaftet hatte. Wir waren dann 120 Mann im Kommando Porzellanmanufaktur 2. [...]

 

In den Lagern haben die Ausländer, die nicht Deutsch konnten, allein schon deswegen 50 % weniger Überlebenschancen gehabt. Sie sind von den Kapos nur mit Watschen und Tritten zur Arbeit getrieben worden und haben Schläge bekommen, weil sie ganz einfach die Sprache nicht verstanden haben. Und ob es jetzt ein Pole war oder ein sonstiger Ausländer, in dem Moment, wo er Deutsch konnte, war er schon ein Anschaffer. Wenn man der deutschen Sprache mächtig war, hatte man schon einiges gewonnen, wenn man nicht direkt in ein Vernichtungslager gekommen ist. Dort hat dir die deutsche Sprache auch nichts genützt. Aber in Lagern wie Dachau war das unheimlich wichtig. [...]

 

Wenn man heute vom Widerstand im Lager redet, dann bestand der Widerstand ja vor allem darin, dass man überlebte - denn allzu viel Widerstand hat man nicht leisten können. Wenn in irgendwelchen Werken in oder um das Lager auch nur der Verdacht der Sabotage aufkam, musste das Arbeitskommando antreten und zwei Leute von diesem Kommando sind aufgehängt worden. Meistens waren es Russen. Es gab da ein Kabelwerk. Für Flugzeuge sind bestimmte Kabelstränge gemacht worden, und das hat man natürlich immer wieder prüfen müssen. Man ist daraufgekommen, dass einmal eines durchgeschnitten war. Na, wer arbeitet in dem Kommando? Die und die. Aufgehängt, öffentlich im Lager vor dem ganzen Kommando.

 

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