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Margit Czernetz: Eine katastrophale Nacht

Margit Czernetz, geb. 1910 in Wien, Näherin, Krankenschwester. Sozialistische Arbeiterjugend, nach 1934 Betätigung für die Revolutionären Sozialisten, Kontaktperson zum ALÖS (Auslandsbüro österreichischer Sozialdemokraten) in Brünn. Oktober 1938-1945 Exil in Großbritannien.

November 1945 Rückkehr nach Wien, in der SPÖ-Bezirksorganisation Neubau aktiv.

Verstorben 1996.

 

 

Ich bin im Rothschild-Spital von einer Nazi-Schwester eingeführt worden. Erst später bin ich draufgekommen, dass das eine Nazi-Schwester war. Sie ist außergewöhnlich nett zu mir gewesen, hat mir sehr viel beigebracht. Am Tag, als Hitler einmarschiert ist, kommt sie zu mir und sagt: "Liebe Schwester Margit, ich möchte Ihnen nur sagen, dass ich das begrüße, dass der Hitler einmarschiert ist, denn meine beiden arbeitslosen Kinder haben jetzt plötzlich Arbeit bekommen." Mein Mädchenname war Kohn, und sie hat natürlich gewusst, dass ich Jüdin bin. [...]

 

Das Spital ist von den Rothschilds gestiftet worden und dann von den Nazis übernommen worden. Im Rothschild-Spital sind nach dem Einmarsch natürlich nur Juden eingeliefert worden, und die Nacht, als Hitler gekommen ist, war entsetzlich. Weil wir viele Leute, die Selbstmordversuche begangen haben, eingeliefert bekommen haben. Sie haben zwar noch gelebt, aber die meisten sind dann gestorben. Lauter Juden waren das, die das nicht begreifen konnten, dass man sie von heute auf morgen aus ihren Wohnungen entfernt. Es haben ja manche Leute schon direkt darauf gewartet, dass man denen irgendetwas anhaben könne: die Wohnung wegnehmen oder sonst ein Racheakt. Es war entsetzlich, wir haben furchtbare Dienste gehabt, und das Interessante ist, dass auch die nichtjüdischen Schwestern - es hat ja auch sehr viele nichtjüdische Schwestern gegeben - furchtbares Mitleid mit den Leuten gehabt haben. Sie haben es aber nicht offen sagen dürfen, ich habe es nur gesehen. Diese Nacht werde ich nie vergessen, wie da ununterbrochen die Rettung gekommen ist und die Leute eingeliefert hat. Leute mit einem zerschmetterten Gesicht, die schon gar nicht mehr bei Bewusstsein gewesen sind, oder Leute, die vollkommen verstört waren und wahnsinnig um sich geschlagen haben. Das war eine katastrophale Nacht, es ist vielleicht den wenigsten bekannt, dass es so viele Selbstmorde gegeben hat. Das Rothschild-Spital hat natürlich Notbetten aufgestellt und hat alle, soweit es damals möglich gewesen ist, aufgenommen.

 

Man hat mir nahegelegt, aus Sicherheitsgründen mit der Krankenschwesterntracht ins Spital zu gehen. Das war auch gut so, denn ich wäre nie lebendig ins Spital gekommen. So haben die Leute doch irgendwie das Gefühl gehabt, eine Krankenschwester kann man nicht angreifen. Ich habe sehr zeitig zum Dienst müssen und habe gesehen, wie die Juden angefallen wurden. Einmal ist ein Mann mit einem langen Bart angefallen worden, und ich habe mir gedacht: "Um Gottes willen, ich kann mich doch da nicht dreinmischen, sonst fallen sie mich auch an." Aber es ist gar nicht so weit gekommen, sie haben ihn niedergehauen und wahnsinnig geprügelt. Dieser Mann hat auf tirolerisch zu schreien angefangen: "Was wollt ihr denn von mir, i bin jo gor ka Jud, i bin a Tiroler!" Die haben sich dann bei ihm entschuldigt. Der ist da auf der Erde gelegen, ich habe ihm dann aufgeholfen. Er war so entsetzt und hat gesagt: "Na, was haben die Juden schon gemacht, dass man sie so anfällt und verprügelt?" Das Irrsinnige war, dass Leute, die vielleicht in derselben Gasse gewohnt haben, dass junge Leute, die keine Arbeit gehabt haben, ihre Rache an den Juden ausgelassen haben, die vielleicht ein bisserl mehr gehabt haben.

 

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