Am 3. Dezember erging das Urteil im Wiederbetätigungsprozess gegen den ehemaligen Chefredakteur der 2018 eingestellten Grazer Zeitschrift Die Aula, Martin Pfeiffer. Er wurde – nicht rechtskräftig – zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt. Der Prozess sorgt in rechtsextremen Kreisen für Aufsehen und für eine neue Breite in der Mobilisierung gegen das Gesetz zur Bekämpfung nationalsozialistischer Wiederbetätigung.
Am 25. November veröffentlichte die deutsche Zeitschrift N.S. Heute einen „Offenen Brief an Alternativ-Medien“, verfasst vom deutschen Neonazi und Liedermacher Frank Rennicke. Explizit genannt werden ausschließlich österreichische Adressaten: AUF1, Info-DIREKT, Report24, RTV und Unzensuriert.
Nach Lob für die „wichtige[n] Impulse“, die diese Medien in den letzten Jahren gesetzt und damit „die etablierte Lügenpresse herauszufordern“ vermocht hätten, kommt Rennicke auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen: die seines Erachtens fehlende Berichterstattung über „politische Verfolgung in Österreich“, konkret über Prozesse nach dem Verbotsgesetz. Dieses diene „der österreichischen Politjustiz seit Jahrzehnten dazu, unliebsame Personen […] zu verfolgen“ und sei dafür verantwortlich, dass „Österreich […] nicht als Rechtsstaat angesehen werden kann“. Als Beispiele nennt Rennicke mit Gottfried Küssel und Gerd Honsik die prominentesten Neonazis der Zweiten Republik. Die Website alpen-donau.info, die Grund für eine der Verurteilungen Küssels war und auf der u. a. zu Übergriffen auf Gegner des Neonazismus aufgerufen wurde, gerät bei Rennicke zur „völlig harmlosen Netzseite“. Honsiks Holocaustleugnung wird mit „andere Ansichten als die offizielle Geschichtsschreibung“ umschrieben.
Aktueller Anlass für Rennickes Forderung nach Abschaffung des Verbotsgesetzes und verstärkter Berichterstattung darüber war der Grazer Aula-Prozess. Sollte Pfeiffer verurteilt werden, sei Österreich „rechtlich endgültig mit Nordkorea gleichzusetzen“ – und die „alternativen Medien“ die nächsten Opfer des Gesetzes, weshalb sie schon aus Eigeninteresse dagegen auftreten sollten. „Berichten Sie bitte über das Schicksal Ihres Kollegen Martin Pfeiffer und zeigen Sie sich solidarisch – bedenken Sie, dass Sie der Nächste sein könnten!“
Rennickes Ruf verhallte nicht ungehört. Nachdem das Urteil gesprochen war, bekundeten nicht nur neonazistische Kanäle ihre erwartbare Empörung. AUF1 ortete – noch vor Bekanntgabe des Strafmaßes – einen „Justiz-Hammer!“ und später ein „Brutal-Urteil“. Chefredakteur Stefan Magnet konstatierte einen Einschüchterungsversuch gegen alle, „die es noch wagen, Kritik an den verrückten Zuständen in der EU zu äußern“ und kündigte an, dem Urteil und seinen Folgen eine Sondersendung zu widmen.
Auch Info-DIREKT erklärte, es sei „Zeit das Verbotsgesetz unter die Lupe zu nehmen“, was man in „einer der nächsten Ausgaben“ auch tun werde. Am selben Tag publizierte Chefredakteur Michael Scharfmüller – der einst neben Magnet als Kader des Bundes freier Jugend selbst nach dem Verbotsgesetz angeklagt (und freigesprochen) worden war– einen Kommentar zu einem Falter-Artikel über einen anderen Verbotsgesetzprozess, den er als Beleg dafür anführte, wie das Gesetz „schamlos missbraucht“ werde. Auch der neonazistische Infokanal Deutschösterreich notierte in diesem Zusammenhang erfreut einen „Aufschrei der noch nicht völlig Derangierten“, die erkannt hätten, „dass die ÖVP-Justiz einen Kampf gegen Windmühlen führt“. „Für Info-DIREKT“, so Scharfmüller umrahmt von Inseraten der FPÖ und der Europaparlamentsfraktion der AfD, sei es nun „endlich an der Zeit, dieses heiße Eisen anzugreifen“. Im kommenden Jahr werde man „ein Magazin zum Verbotsgesetz herausbringen“ und darin die „Schwachstellen des Gesetzes offenlegen“. Wohin die Reise geht, deutet Scharfmüller mit einigen Kritikpunkten an, die wörtlich dem langjährigen Sprachregelungen des österreichischen Neonazismus entstammen.
Am Tag nach der Urteilsverkündigung meldete sich auch Martin Sellner, Leiter der Identitären, via Telegram zu Wort. Er ortete ein „Schock-Urteil“ und einen „weitere[n] demokratiepolitische[n] Tiefstand“. Bislang hatten „neurechte“ Influencer wie Sellner und Medien wie die genannten es vermieden, allzu offensiv gegen das Verbotsgesetz aufzutreten und für Neonazis Partei zu ergreifen – basierend auf der Annahme, dass ein solches Eintreten mit ihrem Streben nach Massenanschlussfähigkeit inkompatibel wäre. Diese Abgrenzung zu strafrechtlich relevanten Formen rechtsextremer Betätigung scheint nun Geschichte zu sein.
Die Angriffe auf das – 2023 gegen die Stimmen der FPÖ modernisierte – Verbotsgesetz ereignen sich zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die extreme Rechte im Aufwind befindet. Seit rund eineinhalb Jahren macht etwa eine neue Generation von Neonazis auf sich aufmerksam, die sich in losen Gruppen organisiert, Kontakte zu alten Kadern geknüpft hat und für eine ganze Reihe gewalttätiger Hate Crimes verantwortlich zeichnet. 2024 wurde laut polizeilicher Kriminalstatistik ein Rekordwert an rechtsextremen Tathandlungen verbucht, von dem rund zwei Drittel auf (ebenfalls angestiegene) Verstöße gegen das Verbotsgesetz entfallen. Verbotsgesetzverstöße machten 2024 auch rund 40 Prozent der vom „Lagebericht Hate Crime“ ausgewiesenen vorurteilsbezogenen Straftaten aus.
Diese kriminelle Aktivität ist auch Ausdruck eines gesteigerten Selbstbewusstseins in der Szene, das von rechtsextremen Wahlerfolgen und Umfragerekorden auf nationaler und internationaler Ebene angefacht wird. Gleichzeitig hat die stärkste Partei des Landes das Strafrecht zu ihrer letzten und einzigen Linie der Abgrenzung gegenüber dem rechten Rand erklärt. Dass die österreichische Demokratie nicht nur von extremistischen Rändern aus unter Druck gerät, unterstreichen wiederum Studien wie das Rechtsextremismus-Barometer des DÖW, der „Demokratiemonitor“ von Foresight und das „Demokratieradar“ des Austrian Democracy Lab. Sie belegen einen starken Rückgang des Vertrauens in demokratische Institutionen und die Demokratie als Regierungsform während der Pandemiejahre. All diese Entwicklungen unterstreichen die fortbestehende Bedeutung des Verbotsgesetzes zur Verteidigung der demokratischen Ordnung.
Einen Eindruck von der Blattlinie der Aula unter Martin Pfeiffers Verantwortung liefert eine DÖW-Zusammenstellung über den letzten vollständigen Jahrgang der Zeitschrift (2017).
Ein Kommentar zum Ausgang des Aula-Prozesses von DÖW-Leiter Andreas Kranebitter erschien am 6. Dezember im Standard.





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