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John Evers: Internationale Gewerkschaftsarbeit im multinationalen Staat der Habsburgermonarchie

Ein Beitrag zur europäischen Gewerkschaftsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Reichsgewerkschaftsko

Abstract

 

Diese Arbeit wurde mit dem Herbert Steiner-Preis 2008 ausgezeichnet.

 

 

Das Einsetzen der modernen Gewerkschaftsentwicklung im Habsburgerstaat erfolgte im Kontext einer internationalen Entwicklung die unter den Begriffen "Globalisierung und Gegenwehr 1870-1914" zusammengefasst werden kann. (West- )Europäische/deutsche "neugewerkschaftliche" Bestrebungen trafen Anfang der 1890er Jahre auf die besonderen Vor- und Rahmenbedingungen des Habsburgerstaats und damit auch auf ein vielfach "polarisiertes" Proletariat.

 

Unabhängige Organisationsformen der ethnischen Hauptgruppen dieser ArbeiterInnenschaft - Deutsche und TschechInnen - entstanden Ende der 1860er Jahre zunächst entlang regionaler aber besonders nationalpolitisch getrennter Linien. Unter dem Druck der "Globalisierung" stellten sich bereits in dieser "Pionierphase" erstmals Fragen einer reichsweiten Vernetzung. Entsprechende Bemühungen resultierten 1874 in innovativen gemeinsamen, v. a. deutsch-tschechisch geprägten Organisationsansätzen. Nach der neuerlichen Dezentralisierung der Bewegung während der Repressionsperiode in den 1880er Jahren wurde allerdings schlussendlich in Hainfeld 1888/89 die "internationale Gesamtpartei" in der Realität lediglich als lose Parteienföderation neu gebildet.

 

Demgegenüber bildeten deutschösterreichische bzw. "Wiener" Aktivisten 1893 - unter dem Eindruck der neuen europäischen Welle sozialer Kämpfe - die überberuflich wie übernational konzipierte "Reichgewerkschaftskommission" nach reichsdeutschem Muster. Mit dieser erhoben sie nun den gewerkschaftlichen (Allein-)Vertretungsanspruch für das gesamte Proletariat Cisleithaniens. Widerstände gegen die Umsetzung dieser Konzeption 1893-1897 spiegelten u. a. bereits das "Grundsatzproblem" ebenfalls wachsender, aber explizit "tschechisch-sozialistischer" Strukturen und deren Integration in die "neugewerkschaftlichen" Ansätze "Wiens" wider.

 

Nicht nur "Prager" Aktivisten, sondern auch einige Berufsverbände, bzw. deren deutsche Gewerkschafter strebten inzwischen - allerdings erfolglos - eine "interne internationale" Organisationsreform der Kommission an. Die Dynamik der Ablehnung jeder Form der (tschechischen) Gewerkschaftsautonomie durch den II. Gewerkschaftskongress (1896) und der Gründung einer "Tschechoslawischen Gewerkschaftsvereinigung" in Prag (1897) bedeutete real zwar nur die Föderalisierung des Spitzengremiums. Entscheidend befördert durch die "internationale" Führungsschwäche der Parteienebene, lagen nun aber - entlang "nationaler" Linien - zwei theoretisch unterschiedliche Konzeptionen des Gewerkschaftsaufbaus für Cisleithanien vor.

 

Demgegenüber markierte die Entwicklung 1896/97 aber paradoxerweise in der Praxis den Beginn einer neuerlichen, diesmal gewerkschaftlich geprägten "Kurve der internationalen Arbeit". In den Regionen und v. a. den Berufsorganisationen wurden gemeinsame, deutsch-tschechische Organisationsansätze entwickelt, welche Zentralisierung und nationale Autonomierechte dynamisch miteinander verknüpften. Auf Kommissionsebene führten allerdings erst die Bewegungen der Textil- und BergarbeiterInnen (1899/1900) zu Aktivitäten, die über eine bloße Arbeitsteilung zweier Apparate hinausgingen. Krise und Stagnation der Bewegung(en) beschleunigten 1900- 1902/03 einen Strategie- und Perspektivenwechsel Richtung (zentralistischer) Befestigung im Inneren, v. a. aber auch "externer" Staatintervention und -integration. Vor diesem Hintergrund entzündeten sich schließlich auch neuartige "nationale" Machtkämpfe "Wiens" und "Prags" auf dem Gewerkschaftsfeld, die durch wachsende (auch national- )politische Differenzen der Parteiführungen, ungleiche Wachstumsmuster und nationale Außenkonkurrenz befördert wurden. Dem Abbruch der mehrjährigen Kooperation auf Kommissionsebene (1905) und der weiteren Polarisierung zwischen den Zentralen folgten aber ebenso heftige "internationale" Basiswiderstände aus den Berufsorganisationen und Regionen, die sich gegen eine "nationale" Spaltung richteten.

 

Zwischen 1909-1913 wurde die "finale Spaltung" zwar nicht nur auf sämtliche Berufsorganisationen, sondern auch auf die übrigen Strukturen der Gesamtbewegung übertragen. Die nach 1907 einsetzende Stagnation der Bewegung bildete zudem eine wesentliche Plattform für "nationale" Schuldzuweisungen zwischen "Wien" und "Prag". Strukturell trug die eigentliche "Spaltung" aber einen innertschechischen Charakter bzw. mündete - entgegen den "Wiener" Perspektiven und Strategien - in einer stark "regionalisierten" Gewerkschaftsbewegung. Obwohl damit letztlich auch ein "Strategieversagen" der Reichsgewerkschaftskommission deutlich wurde, nämlich eine (zu) mechanische Orientierung an (zudem idealisierten) westeuropäischen/deutschen Gewerkschaftskonzepten, dürfen v.a die "internationalen Leistungen" der "Wiener Zentrale" nicht unterschätzt werden. Ihre erfolgreiche Arbeit unter der nichtdeutschen Arbeitsmigration, die Integration einer beachtlichen nichtdeutschen Basis, eine ganze Periode der gleichberechtigten Zusammenarbeit mit der Prager Gewerkschaftsführung sowie der Aufbau eines reichsweiten Organisationsnetzes und einer Schicht nichtdeutscher Gewerkschaftsführer in den Provinzen und Fachblattredaktionen zeig(t)en, dass diese "internationale Gewerkschaftsarbeit" tatsächlich in der Praxis bestand.

 

 

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