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Wahlkampf in Wien: Buhlen um rechte WählerInnen

Neues von ganz rechts - September 2020

 

Nach der – vorerst auf die Bundeshauptstadt begrenzten – neuerlichen Spaltung des freiheitlichen Lagers ist im Vorfeld der Wiener Landtagswahlen ein Kampf um rechte WählerInnen entbrannt, der angesichts der unklaren Einzugschancen des Team HC Strache (THC) und des prognostizierten Absturzes der FPÖ gegenüber ihrem Wert von 2015 (30,8 %) besonders verbissen geführt wird.

 

Programmatische Unterschiede sind dabei kaum erkennbar. Beide freiheitlichen Listen bleiben dem bis vor Kurzem gemeinsam beschrittenen Kurs treu und positionieren sich als Kämpfer gegen "Islamisierung". Dieser Kampf ist auch Hauptinhalt der im August präsentierten ersten Plakatwelle der FPÖ, welche ihr aufgrund der Stigmatisierung von MuslimInnen bereits eine Anzeige nach dem Verhetzungsparagraphen einbrachte. Diese Wahlkampflinie steht im Einklang mit einer seit dem Ausscheiden der Partei aus der Bundesregierung 2019 zu beobachtenden Refanatisierungstendenz, im Rahmen derer im Monatstakt die Grenzen der Legalität ausgereizt werden. Im Mai sprach der Wiener Landesparteiobmann Dominik Nepp in Bezug auf SARS-CoV-2 von einem "Asylantenvirus"; im Juni bezeichnete Parteichef Norbert Hofer den Koran als "gefährlicher als Corona"; im Juli positionierte Generalsekretär Michael Schnedlitz seine Partei als "Unkrautbekämpfungsmittel" gegen die vermeintliche "Wurzel" allen Übels, eine angebliche "ungezügelte[.] Zuwanderung".

 

Das THC veröffentlichte seinerseits ein Video, in welchem sein Namensgeber persönlich mitten in Wien von einem Muezzinruf beim Kaffee gestört wird. In Ermangelung tatsächlicher Muezzintätigkeit in Wien muss der Ruf freilich eingespielt werden. Auch ansonsten positioniert das THC sich in kritischer Distanz zur Realität, wenn Listenführer Strache etwa in einem Facebook-Posting "die sozialen Gemeindebauten in den Händen von Migranten" glaubt oder "[u]nsere Wiener" als "Minderheit in der eigenen Stadt" bezeichnet. Einig zeigte man sich zwischen THC und FPÖ jüngst auch im Brückenschlag von der zweiten Türkenbelagerung 1683 (welcher die FPÖ heuer in Form einer Kranzniederlegung bei der Gardekirche am Rennweg gedachte) zur Gegenwart einer angeblichen schleichenden Machtübernahme des Islam.

 

Der inhaltliche Gleichklang macht Teilen der freiheitlichen Kernklientel die Wahlentscheidung schwer. So sprach eine rechtsextreme Kleinstpartei im Juni eine Wahlempfehlung für die FPÖ aus, nur um Ende August wieder ins Wanken zu geraten: immerhin habe die Strache-Kandidatin Christina Kohl mit ihrem auf einer Corona-Demonstration intonierten Slogan "Kurz muss weg! Soros muss weg! Rothschild muss weg" genau den Nerv der Partei getroffen.

 

Als weiteres personelles Angebot des THC an den rechten Rand kann Viktor Erdesz gelten, der auf Facebook als Spitzenkandidat in Wien-Mariahilf beworben wird (in der eingereichten Bezirksliste findet er sich tatsächlich nur auf Platz drei). Erdesz, Mitglied der Burschenschaft Olympia, hatte 2018/19 als stellvertretender Bundesparteiobmann der grenz-neonazistischen Kleinstpartei Die Stimme sein Glück versucht (siehe: Mobilisierungserfolg für rechtsextreme Kleinpartei). Anfang 2019 berichtete der in Deutschland aufgewachsene Erdesz auf dem Neujahrstreffen der Stimme, dass er nach seiner "auf eine etwas unschöne Weise" vollzogenen Entfernung als Offiziersanwärter aus der deutschen Bundeswehr "ins bessere Deutschland" – nach Österreich – gegangen sei, wo er sich zunächst bei der FPÖ engagiert habe. Ferner beklagte Erdesz in seiner Rede die phlegmatische "Natur unserer heutigen Volksgenossen" und die "Ketten [...], die der Verlust des letzten großen Krieges mit sich gebracht" habe. Die "Volksgemeinschaft" kranke heute an "Dekadenz". Erst im Juni hatte Erdesz als Gastgeber einer burschenschaftlichen Veranstaltung, die mit einem Foto von Wehrmachtssoldaten beworben wurde (siehe: www.stopptdierechten.at/2020/06/10/burschenschaft-olympia-saufevent-mit-wehrmachtsbild-fuer-deutsche-maenner-und-deutsche-frauen/), für Aufsehen gesorgt.

 

Was das THC weitgehend entbehren muss, ist die Unterstützung einer parteinahen Publizistik, wie sie die FPÖ um sich aufgebaut hat. So kündigte Andreas Mölzers Wochenzeitung Zur Zeit ein Sonderheft zur Wien-Wahl an, das ebenso als Wahlwerbeutensil zu verstehen ist wie das Ende August erschienene (erste) Sonderheft des Aula-Nachfolgemagazins Freilich (siehe: Freilich: Aula-Nachfolgemagazin präsentiert ). "Klar bleibt: Die Freiheitlichen vertreten die Interessen der echten Wiener", ist auf dessen Cover zu lesen. Erst rund einen Monat zuvor hatte die Grazer Zeitschrift sich als de-facto-Parteiorgan geoutet, indem sie eine "Politische Studie" publizierte, deren 14 Beiträge ausnahmslos von freiheitlichen SpitzenpolitikerInnen verfasst wurden.

 

Um Äquidistanz bemüht zeigt sich dagegen die rechtsextreme Linzer Zeitschrift Info-DIREKT. Deren jüngste Ausgabe enthält neben den üblichen Gastkommentaren hochrangiger Freiheitlicher (diesmal Roman Haider und Christian Hafenecker) und einem Interview mit dem Wiener Landesparteisekretär Michael Stumpf auch ein Gespräch mit THC-Generalsekretär Christian Höbart. Umgekehrt findet sich neben dem inzwischen wieder obligatorischen FPÖ-Inserat auch eines der freiheitlichen Konkurrenz. Abgerundet wird das Heft durch ein Interview mit Identitären-Führer Martin Sellner, ein Bekennerschreiben eines identitären "Aktivisten", eine Rezension, welche die Existenz von Menschenrassen propagiert und Schlagzeilen wie "Neue Studie: Einwanderer weniger intelligent" oder "Wo bleibt das Selbstbewusstsein der Weißen?".

 

Die Frage, worin eigentlich der Unterschied zwischen den beiden Parteien bestehe, wird von Höbart im Interview wie folgt beantwortet: Strache gehe "seinen bekannten Weg weiter", während die FPÖ "seit geraumer Zeit keine Linie mehr" finde. Für seinen Parteikollegen Karl Baron (in einem früheren Info-DIREKT-Interview) ist die FPÖ heute gar "eine leere Hülle, denn das Herz und die Seele der Partei ist nicht mehr dabei". Stumpf dagegen erkennt den "größte[n] Unterschied" zwischen THC und FPÖ darin, dass Letztere "ihre politische Arbeit nicht aus narzisstischen oder monetären Gründen betreibt".

 

 

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