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1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Platz

Neues von ganz rechts - Oktober 2020

 

Die seit Jahren geführte Debatte um das Denkmal des früheren Wiener Bürgermeisters Karl Lueger am gleichnamigen Platz in der Wiener Innenstadt hat in den letzten Wochen und Monaten – auch unter dem Einfluss der Black Lives Matter-Bewegung – wieder Fahrt aufgenommen und im Zuge dessen wiederholte Mobilisierungen am rechten Rand gezeitigt.

 

Lueger gilt zu Recht als Pionier des politischen Antisemitismus; seine systematische Agitation gegen Jüdinnen und Juden bereitete der späteren nationalsozialistischen den Boden. "Lueger verstand es, alle Feindbilder seiner Wähler in einer mächtigen Bewegung zusammenzufassen: dem Antisemitismus. Alles Widrige brachte er auf eine einfache Formel: Der Jud ist schuld", schreibt Brigitte Hamann (Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 1996, S. 410 f.). Lueger bemühte eine Vielzahl antisemitischer Topoi – vom Gottesmord- und Blutritualvorwurf bis hin zur angeblichen jüdischen Beherrschung sämtlicher Bereiche des öffentlichen Lebens. Seine Agitation war nicht bloße Rhetorik, sondern hatte konkrete Diskriminierung der von ihm stigmatisierten Personengruppe zur Folge. Nicht zuletzt präparierte sie insbesondere das Kleinbürgertum für dessen spätere Rolle als Rückgrat der NS-Bewegung. Luegers Zeitgenosse Felix Salten schrieb dazu 1909, ein Jahr vor Luegers Tod: "Die breite Masse der Kleinbürger aber irrt führerlos blökend wie eine verwaiste Herde durch die Versammlungslokale. [...] Da kommt dieser Mann und schlachtet – weil ihm sonst alle anderen Künste mißlingen – vor der aufheulenden Menge einen Juden. Auf der Rednertribüne schlachtet er ihn mit Worten, sticht ihn mit Worten tot, reißt ihn in Fetzen, schleudert ihn dem Volk als Opfer hin. Es ist seine erste monarchisch-klerikale Tat: Der allgemeinen Unzufriedenheit den Weg in die Judengasse weisen; dort mag sie sich austoben." (Zit. in Hamann, Hitlers Wien, S. 412)

 

Adolf Hitler berichtet in Mein Kampf von seiner "unverhohlenen Bewunderung" Luegers, des "gewaltigsten deutschen Bürgermeister[s] aller Zeiten" bzw. "wahrhaft genialen Bürgermeisters", der "in die Reihe der großen Köpfe unseres Volkes" gehöre. Luegers Christlichsozialer Partei attestierte Hitler "das nötige Verständnis für die Bedeutung der Masse". Sie habe "den Wert einer großzügigen Propaganda" erkannt "und war Virtuosin im Einwirken auf die seelischen Instinkte der breiten Masse ihrer Anhänger".

 

Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser hymnischen Würdigung erfreut Lueger sich – trotz seiner parteipolitischen Verortung im christlichen Konservatismus – bis heute einer beträchtlichen Fangemeinde auch unter Rechtsextremen und Neonazis, die ihm höchstenfalls vorwerfen, in seinem Antisemitismus nicht konsequent genug gewesen zu sein. So pflegt eine an der Grenze zum Neonazismus angesiedelte österreichische Kleinpartei jährlich Blumen nicht nur am Grab des Wehrmachts-Fliegerhelden Walter Nowotny, sondern auch am Grab Luegers abzulegen. Auch manch inzwischen neurechter Aktivist scheint sich im Einsatz für das Hitler-Idol Lueger seiner neonazistischen Wurzeln zu besinnen.

 

Nachdem im September 2019 ein identitärer Fackelmarsch seinen Abschluss am Lueger-Platz gefunden hatte, veranstaltete der Verein Okzident am 7. März 2020 ebendort eine Gedenkveranstaltung zum 110. Todestag Luegers. Organisator Georg Immanuel Nagel wetterte in seiner Rede – unter Bezugnahme auf Diskussionen um Straßenumbenennungen – gegen "Geschichtslügen, mit denen sie unsere Vorfahren kaputtmachen wollen". Alfons Adam, der mit Nagel den vorerwähnten Verein bildet, führte aus, "dass wir sehr vorsichtig sein müssen", weshalb er – eingedenk der von rechtsaußen vielbeschworenen "Nazikeule" – "das Risiko einer völlig freien Rede nicht eingehe". In seiner Empörung über "jene, die dauernd vom Antisemiten Lueger faseln", erhielt Adam Unterstützung von Christian Zeitz (Wiener Akademikerbund). Dass Lueger "antisemitisches Gedankengut" aufgewiesen habe, sei "eine Geschichtslüge", er sei vielmehr "das Gegenteil eines Antisemiten" gewesen. Lueger habe lediglich "gegen diejenigen, die zum Schaden Wiens Spekulationsaktivitäten mit internationaler Hochfinanz gemacht haben, durchgegriffen", suchte Zeitz Lueger mit Antisemitismus vom Antisemitismus freizusprechen. Für Zeitz ist Lueger "ein wichtiges Vorbild auch für die Zukunft" und jemand, "dessen Politik wir wiederholen wollen". Darüber hinaus beschwor Zeitz einen angeblichen "Bevölkerungsaustausch", den anonyme Mächte "gezielt betreiben" würden. Anders als zu Luegers Zeiten seien heute Zuwandernde nicht "Bestandteile unserer Volksgemeinschaft". Überzeugt von diesen Ausführungen zeigte sich als Gastredner Martin Sellner, der einstige Führer der Identitären Bewegung Österreich. Dieser dankte seinen Vorrednern, dass "ihr das Andenken an diesen großen Bürgermeister hochhaltet, dass ihr die Verleumdungen, die über ihn ergossen werden, widerlegt".

 

In den Folgemonaten, insbesondere zur Jahresmitte 2020, kam es wiederholt zu Beschmierungen des Denkmals, die von rechtsextremer Seite mit der Abhaltung von "Nachtwachen" beantwortet wurden. Als Organisatorin der Letzteren trat die IBÖ-Nachfolgeorganisation Die Österreicher (siehe: Identitäres Rebranding in Erscheinung. Diese legte im Juni auch eine Petition für den Erhalt des Denkmals auf, welche in dreieinhalb Monaten rund 160 Unterschriften generierte (was die Gruppierung freilich nicht von ihrer Überzeugung abbringt, den Willen einer schweigenden Mehrheit zu vertreten).

 

Im Juli kam es zu einer nächtlichen Aktion am Denkmal, die Berichten in rechten Medien zufolge von Angehörigen des katholischen Verbindungswesens (dem Lueger selbst angehört hatte) ausging, wie der verwendete Slogan "Defend Bundes- und Cartellbruder Lueger" nahelegte.

 

Am 5. Oktober schließlich nahm eine KünstlerInnengruppe eine Intervention am Denkmal vor, die von einer u. a. von den Jüdischen österreichischen HochschülerInnen (JÖH) getragenen "Schandwache" begleitet wurde. Die extreme Rechte reagierte umgehend. Aktivisten um Martin Sellner meißelten die Intervention in Anwesenheit der Polizei noch am selben Tag ab und schritten erneut zur nächtlichen Bewachung des Monuments, Video-Liveberichterstattung inklusive. Im Zuge derselben schwärmte Österreicher-Bundesleiter Jakob Gunacker vom "wunderbare[n] Denkmal" für den "wunderbaren Bürgermeister". Sellner wiederum ereiferte sich über "viel problematischere Denkmäler in Wien", wie etwa das "Russendenkmal" am Schwarzenbergplatz, das dort bekanntlich zur Erinnerung an jene RotarmistInnen steht, die bei der Befreiung Wiens vom Naziterror ihr Leben ließen.

 

 

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