Seit Jahrzehnten hat das österreichische Burschenschaftswesen mit Rekrutierungsproblemen zu kämpfen. Diese dürften sich in jüngerer Vergangenheit verschärft haben. Im Interview für die Masterarbeit von Yves Bertassi, mittlerweile Angestellter der Wiener FPÖ-Landesgeschäftsstelle, berichtete ein Alter Herr der Wiener akademischen Burschenschaft Albia im Jänner 2023, dass vor 30 Jahren keine Mitgliedsverbindung des Wiener Korporationsrings (WKR) „zugesperrt“ gewesen sei. „Jetzt sind es 10, die einfach keine Leute haben.“[1] Dieser Angabe zufolge verfügt nicht weniger als die Hälfte aller WKR-Bünde über keinen Aktivbetrieb.
Der Dachverband Deutsche Burschenschaft führte Anfang 2025 die Grazer Verbindungen Carniola und Marko-Germania, die Linzer Arminia Czernowitz sowie die Wiener Burschenschaften Albia, Gothia und Silesia als vertagt.[2] Den Glauben an eine Reaktivierung aufgegeben haben augenscheinlich die Gothen, die zu Jahresbeginn Verhandlungen über eine Fusion mit den Wiener Liberten aufnahmen. Anfang Mai wurde die Fusion von beiden Bünden abgesegnet. Gothia geht in Libertas (der Verbindung des amtierenden Nationalratspräsidenten, Walter Rosenkranz) auf, der fusionierte Bund führt den Namen der letzteren. Gothia begeht Ende Juni ihr letztes Stiftungsfest.
Es handelt sich um die zweite Fusion im WKR innerhalb kurzer Zeit. Ende April 2024 hatte der „Vereinigungskommers“ zwei weiterer Bünde stattgefunden. Bruna Sudetia erhielt Verstärkung durch die personelle Konkursmasse der Passauer Markomannen.[3] Bei diesen handelte es sich um eine ehemals Wiener Verbindung, die – ebenfalls aufgrund von Nachwuchsmangel – 1985 nach Bayern übersiedelt war. Ergebnis der Fusion ist die Bruna Markomannia Wien.
Einen möglichen Grund für die Rekrutierungsprobleme hatte der Wiener Teutone Jörg R. Mayer 2022 in einem Bericht über den WKR-Kommers benannt: Aktivismus könne „nicht einfach ausgelagert werden an aktivistische Gruppen im Vorfeld“ – womit mutmaßlich „neurechte“ Organisationen wie die Identitäre Bewegung (IBÖ) gemeint sind –, „während die Bünde selbst passiv bleiben. Dann ist es kaum ein Wunder, wenn andere Jugendverbände, die mehr Abenteuer versprechen, attraktiver sind als wir.“[4]
[1] Anonymer Albe, zit. in Yves Bertassi, Liedtraditionen in schlagenden und fakultativ schlagenden Studentenverbindungen in Wien im Jahr 2022, Wien, S. 485.
[2] Vgl. Deutsche Burschenschaft, Nachrichtenblatt 357 vom 6.1.2025, S. 5. Dem von Bertassi rund zwei Jahre zuvor geführten Interview zufolge hatten die Alben zu dieser Zeit noch „15 oder so“ Aktive gehabt, was für einen Aktivbetrieb mehr als ausreichend wäre.
[3] Stoppt die Rechten, 19.3.2024, https://www.stopptdierechten.at/2024/03/19/aus-fuer-passauer-markomannia-und-wuerzburger-teutonia-in-argen-noeten.
[4] Burschenschaftliche Blätter, Nr. 4/2022, S. 158f., hier: 159.