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Massenmorde in Lemberg, Juni/Juli 1941

Elisabeth Boeckl-Klamper

 

 

Mehr als 3000 Juden und Jüdinnen wurden nach der Einnahme Lembergs (Lwiw, Galizien) durch die Deutsche Wehrmacht am 30. Juni 1941 innerhalb weniger Tage von ukrainischen Milizen und der Einsatzgruppe C, aber auch von ukrainischen Zivilisten ermordet.

 

Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurde Lemberg (Galizien) am 30. Juni 1941 von den deutschen Truppen eingenommen. Galizien war im Herbst 1939 als Folge des Hitler-Stalin-Pakts von der sowjetischen Armee besetzt worden. Eine Woche vor der deutschen Einnahme hatten Angehörige des sowjetischen Geheimdienstes NKVD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten, ab 1934) in den drei Lemberger Gefängnissen rund 4000 politische Gefangene ermordet. Unmittelbar nach der Eroberung von Lemberg protokollierte ein deutsches Kriegsgericht Aussagen von Überlebenden ebenso wie von obduzierenden deutschen Ärzten, dem Ukrainischen Roten Kreuz und anderen Institutionen über die vom NKVD verübten Morde; die Leichen wurden von Wehrmachtsberichterstattern für Propagandazwecke fotografiert. Auf Flugblättern und Plakaten machten die deutschen Besatzer pauschal "jüdische Bolschewiken" für die Morde verantwortlich und initiierten damit einen antisemitischen Pogrom. Im Verlauf dieses Pogroms (30. Juni/1. Juli 1941) wurden die jüdischen EinwohnerInnen Lembergs gezwungen, die Leichen der NKWD-Opfer zu reinigen und in der Öffentlichkeit auszulegen, damit diese von Angehörigen identifiziert werden konnten. Mehrere hundert Juden und Jüdinnen wurden dabei von Zivilisten und bewaffneten ukrainischen Milizen mit Latten, Knüppeln und Fäusten misshandelt und ermordet; die Zahl der Wehrmachtsangehörigen, die an dem Pogrom teilnahmen, ist nicht mehr genau festzustellen. Einen Tag später, am 2. Juli 1941, wurden 100 Juden von der in Lemberg eintreffenden Einsatzgruppe C ermordet. Diese Einsatzgruppe sowie die ukrainische Miliz waren auch verantwortlich für die Ermordung von 3000 Juden und Jüdinnen am 4. Juli 1941 am Stadtrand von Lemberg.

 

 

DÖW Foto 50/1 - 5

 

Fünf Aufnahmen, alle 8,5 x 6 cm groß mit gezacktem Rand (typisch für die Ausarbeitung von Amateuraufnahmen in den 1940er und 1950er Jahren). Die Bilder wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem deutschen Soldaten aufgenommen; sie zeigen Angehörige der Deutschen Wehrmacht und eine größere Anzahl von Leichen. Jedes Bild ist auf der Rückseite mit der (vermutlich mit Tintenbleistift ausgeführten) Beschriftung "Lemberg 41" versehen.


Die niedrige Signatur der Fotos lässt darauf schließen, dass sie bereits Ende der 1960er Jahre in die Fotosammlung des DÖW integriert wurden. Leider wurde nur der Überbringer der Fotos - der 1991 verstorbene Wiener Widerstandskämpfer Walter Wachs - notiert. Wie Walter Wachs in den Besitz der Fotos kam, lässt sich nicht mehr eruieren.

 

Die Fotos wurden mit großer Wahrscheinlichkeit am 1. Juli 1941 im Innenhof des Brygidki-Gefängnisses in Lemberg aufgenommen. Dies lässt sich anhand eines Vergleichs mit einer kurzen Filmsequenz, die sich im Landesarchiv NRW in Düsseldorf (Gerichte Rep. 195, Bd. 738, Anl. 65) befindet, schließen (Auskunft von Dr. Kai Struve, Professor für Osteuropäische Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; er schloss 2011 eine mehrjährige Forschungsarbeit über den Beginn des deutsch-sowjetischen Kriegs und die Gewalt gegen Juden und Jüdinnen im Sommer 1941 im östlichen Polen ab). Eine andere eineinhalb Minuten lange Filmsequenz, die von einem deutschen Soldaten am 1. Juli 1941 aufgenommen wurde, zeigt Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung Lembergs (z. B.: Zivilisten schlagen auf Männer und Frauen ein, eine Frau wird an den Haaren über eine Straße gezerrt). Der kurze Film wurde am 13. Dezember 1945 auf Antrag der Anklagebehörde der Vereinigten Staaten als Beweismaterial (Document 3052-PD) im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg gezeigt, Kopien davon liegen in den National Archives (Washington), im deutschen Bundesarchiv/Filmarchiv Berlin sowie im United States Holocaust Memorial Museum auf. Im Film sind - wie auf den im DÖW vorhandenen Fotos - deutlich die für das Brygidki-Gefängnis charakteristischen, vermutlich mit Holzlamellen versehenen Fenster zu sehen.

 

Das Foto DÖW 50/1 (ganz oben rechts: Leichen, Blutspuren an einer vermutlich in einen Keller führenden gemauerten Stiege) zeigt eine Stelle, die im Hintergrund auf Foto DÖW 50/4 (ganz oben links) zu sehen ist. Der auf dem Foto 50/4 zu sehende hölzerne Wachturm ist laut Auskunft von Dr. Kai Struve eindeutig dem Hof des Brygidki-Gefängnisses zuzuordnen. Dass es sich bei den abgebildeten Leichen um die vom NKVD ermordeten Gefängnisinsassen handelt, ist unwahrscheinlich, da diese vermutlich einen deutlich weiter fortgeschrittenen Verwesungszustand aufweisen würden. Es ist daher - wenn auch aufgrund der nicht vorhandenen Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte dieser und ähnlicher Bilder nicht mit letzter Sicherheit - anzunehmen, dass die Aufnahmen Opfer des antisemitischen Pogroms am 30. Juni/1. Juli 1941 zeigen.

 

NS-Propaganda >>

 

 

Literatur zum Thema: Kai Struve, Deutsche Herrschaft, ukrainischer Nationalismus, antijüdische Gewalt. Der Sommer 1941 in der Westukraine, Berlin - Boston 2015.


Texte und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Bei Interesse an der Verwendung für Print- oder Webpublikationen wenden Sie sich bitte an: Dr. Elisabeth Boeckl-Klamper, e-mail

 

 

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