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Zur Planung und Durchführung

 

Vom Wiener Aspangbahnhof  gingen im Oktober 1939 zwei Transporte mit insgesamt über 1500 Männern in das besetzte Polen ab, obwohl Pläne, im Gebiet östlich von Nisko am San ein "Judenreservat" zu errichten, bereits hinfällig waren. Dementsprechend gelangten nur wenige in das Lager bei Zarzecze oder konnten in der Umgebung unterkommen; die Mehrheit wurde Richtung deutsch-sowjetische Demarkationslinie gejagt und versuchte in die Sowjetunion zu flüchten. Die meisten dieser Deportierten bemühten sich bei den sowjetischen Behörden um Rückkehrmöglichkeiten nach Wien, weshalb sie der NKVD, die stalinistische Geheimpolizei, als "politisch unzuverlässig" einstufte und in Zwangsarbeitslager einwies, wo viele aufgrund der harten Arbeits- und Lebensbedingungen umkamen.

Als das Lager bei Zarzecze im April 1940 aufgelöst wurde, konnten knapp unter 200 Männer nach Wien zurückkehren. Der Großteil wurde später neuerlich deportiert und in den NS-Vernichtungsstätten ermordet.

 

 

 

 

Stellungnahme der Hauptabteilung Bauwesen der Wiener Stadtverwaltung zur "Schaffung eines Barackenlagers für 6000 Juden bei familienmäßiger Unterbringung", 9. Oktober 1939 (Kopie DÖW 9380)
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Die kontinuierliche Verknappung des Lebens- und Wohnraums der jüdischen Bevölkerung - durch Wohnungskündigung, Zwangsumquartierung und Konzentrierung in Häusern, die sich in jüdischem Eigentum befanden oder in denen bereits Juden und Jüdinnen wohnten - war gängige Praxis der NS-Wohnbaupolitik, um Wohnungen für "arische" Mieter freizubekommen. Um diesen Prozess zu beschleunigen, ließ der Wiener Gauleiter Josef Bürckel im September 1939 die Internierung von Juden und Jüdinnen in Massenlagern - angedacht in der Umgebung von Gänserndorf - prüfen.

Stellungnahme Hauptabteilung Bauwesen

 

 

 

 

Auszug aus der Denkschrift über Judenumsiedlung und Wohnungsbedarf in Wien, 12. Oktober 1939 (Kopie DÖW 9379)
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Die von Eugen Becker (Sonderbeauftragter im Stab Bürckels) erstellte Denkschrift ist nur in Auszügen erhalten. Eine kommentierte und rekonstruierte Fassung siehe in: Gerhard Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation in Wien 1938 bis 1945. Zur Funktion des Antisemitismus als Ersatz nationalsozialistischer Sozialpolitik, Wien-Salzburg 1975, S. 164-187; vgl. dazu S. 94 ff.

Denkschrift (Auszug)

 

 

IKG Wien an Rudolf Baumann, 13. 10. 1939 (Abschrift, Kopie DÖW 20.000/B 127)
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Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien musste im Auftrag der Zentralstelle für jüdische Auswanderung die Transporte zusammenstellen. Männer, die für die Deportation infrage kamen, wurden zu einer Versammlung am 14. Oktober 1939 im Wiener Stadttempel vorgeladen.

 

Der Wiener Rudolf Baumann (geb. 11. 10. 1909) war vom November 1938 bis März 1939 im KZ Dachau in Haft, am 20. Oktober 1939 wurde er nach Nisko deportiert. Baumann konnte nach der Auflösung des Lagers im April 1940 nach Wien zurückkehren. Durch seine Ehe mit einer Nicht-Jüdin geschützt, erlebte er hier die Befreiung 1945.

Mitteilung IKG, 13. 10. 1939

 

 

 

 

Aufruf der IKG Wien, o. D. (Oktober 1939, Konzept, Kopie DÖW/Sammlung Projekt Holocaustopfer)
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"Die in das bestimmte Gebiet in Polen einwandernden Juden können sich nach den der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien von kompetentester Stelle zugekommenen Mitteilungen frei ansiedeln, betätigen und ihre Existenz aufbauen."

 

 

Von der Zentralstelle für jüdische Auswanderung erhielt die IKG Wien eine illusorische Schilderung der Verhältnisse in den besetzten Gebieten Polens.

Aufruf IKG Wien

 

 

 

 

Merkblatt der IKG Wien mit Richtlinien für die "Umsiedlungsaktion" nach Polen, o. D. (Oktober 1939, Kopie DÖW/Sammlung Projekt Holocaustopfer)
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In Merkblättern der IKG Wien wurden die Direktiven der Zentralstelle für jüdische Auswanderung weitergegeben, wobei die IKG auch Möglichkeiten anführte, von den Transporten ausgenommen zu werden.

 

Merkblatt IKG Wien

 

 

 

 

Merkblatt der IKG Wien "für die bevorstehenden Transporte nach Polen", o. D. (Oktober 1939, Kopie DÖW/Sammlung Projekt Holocaustopfer)
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Dieses Merkblatt war für die von der IKG Wien bestellten jüdischen Transport- und Waggonleiter bestimmt.

Merkblatt IKG Wien

 

 

 

 

Aktenvermerk der Zentralstelle für jüdische Auswanderung über die Besprechung betreffend die erste "Umsiedlungsaktion" nach Polen, 17. 10. 1939 (Abschrift, Kopie DÖW 12.311)
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An der Besprechung am 16. Oktober 1939 in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung nahmen der Leiter der Zentralstelle, Adolf Eichmann, Karl Ebner (1939 bis 1942 Leiter des "Judenreferats" der Gestapo Wien) und Eugen Becker (Stab Bürckel) teil.

Aktenvermerk ZfjA, 17. 10. 1939

 

 

 

 

Aktenvermerk der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, 18. 10. 1939 (Kopie DÖW 2527)
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Die bei der Besprechung am 16. Oktober 1939 formulierten Ziele – die wöchentliche Deportation von 2000 Juden, wobei den Transporten "auch die in der Ostmark befindlichen Zigeuner in Sonderwaggon angeschlossen" werden sollten – wurden nicht realisiert.

Aktenvermerk ZfjA, 18. 10. 1939

 

 

 

 

 

Fernschreiben der Gestapo Wien an die Gestapo Krakau, 20. 10. 1939 (Abschrift, Kopie DÖW 16.649)
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Der erste Transport nach Nisko verließ den Wiener Aspangbahnhof am 20. Oktober 1939. Ein weiterer Transport folgte in den Abendstunden des 26. oder Morgenstunden des 27. Oktober.

Aktenvermerk ZfjA, 23. 10. 1939

 

 

 

 

Aktenvermerk der Zentralstelle für jüdische Auswanderung betreffend den ersten Deportationstransport von Wien nach Polen, 23. 10. 1939 (Abschrift, Kopie DÖW 12.311)
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Aktenvermerk ZfjA, 23. 10. 1939

 

 

 

 

IKG Wien an Moses Tannenbaum, 23. 10. 1939 (Kopie DÖW 20.000/T281
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Der Schneider Moses Tannenbaum (nach 1945 Max Tanner, geb. 2. 4. 1899), der mit dem zweiten Transport nach Nisko deportiert wurde, kehrte nach Auflösung des Lagers im April 1940 nach Wien zurück. Bis August 1941 war er in einem Arbeitslager in Eisenerz, er erlebte die Befreiung 1945.

 

Mitteilung IKG

 

 

 

Interview mit Leopold Sonnenfeld (DÖW/Sammlung Erzählte Geschichte)
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Leopold Sonnenfeld (geb. 22. 6. 1892) wurde am 20. Oktober 1939 nach Nisko deportiert. Er flüchtete in die Sowjetunion und überlebte dort die Haft in Arbeitslagern. 1947 kehrte er nach Wien zurück.

Leopold Sonnenfeld

 

 

 

 

Konzept von Ernst Kolm für eine Eingabe an eine Behörde, o. D. (1946, Kopie DÖW 2528)
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Das ungezeichnete Konzept wurde vom Wiener Ernst Kolm (früher Kohn, geb. 7. 1. 1892) 1946 verfasst. Kolm war jüdischer Transportleiter des 1. Wiener Nisko-Transports. Er leitete mehrere Monate die Krankenstation in Pyscnicza bzw. kümmerte sich um geordnete Fluchtrouten über die sowjetische Grenze. Während dieser Zeit stand er in Kontakt mit der jüdischen "Selbstverwaltung" des Lagers Zarzecze. Er konnte im April 1940 nach Wien zurückkehren und erlebte hier – aufgrund des (relativen) Schutzes durch seine nicht-jüdische Ehefrau vor weiterer Deportation geschützt – die Befreiung 1945. Zahlen- und Datenangaben entsprechen seinem damaligen Wissensstand.

Konzept Ernst Kolm

 

 

 

 

Bericht von Elias Wasserhart, 22. 7. 1963
(Kopie DÖW 20.000/580)
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Elias Wasserhart (geb. 6. 7. 1885) war vom 9. November 1938 bis 15. März 1939 im KZ Dachau in Haft und wurde im Oktober 1939 mit dem zweiten Transport nach Nisko deportiert. Er schildert seine Flucht nach Lemberg (Lwow) und die Haft in sowjetischen Arbeitslagern. 1946 kehrte Wasserhart nach Wien zurück, später emigrierte er in die USA.

Bericht Elias Wasserhart

 

 

 

 

Reichsführer SS Heinrich Himmler an den Wiener Gauleiter Josef Bürckel betreffend den Abbruch der Deportationen, 9. 11. 1939 (Kopie DÖW 9378)
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Bereits im Oktober 1939 waren weitere Deportationen vom Reichssicherheitshauptamt untersagt worden. Vorrang hatte die Umsiedlung von "Volksdeutschen" aus der Sowjetunion in die in das Deutsche Reich eingegliederten polnischen Gebiete (Reichsgau Wartheland). Der Deportationsstopp hatte in Wien Kompetenzstreitigkeiten zur Folge.

Himmler an Bürckel, 9. 11. 1939

 

 

 

 

Aktenvermerk von Eugen Becker (Stab Bürckel) betreffend den Abbruch der Deportationen, 13. 11. 1939 (Kopie DÖW 9376)
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Aktenvermerk Becker

 

 

 

 

Ansuchen der IKG Wien betreffend Aufenthaltsverlängerung für Hans Stern, 19. 12. 1939 (Kopie DÖW 22.199)

 

Trotz des Stopps der Aktion wurde ein weiterer Deportationstransport eingeteilt, der aber nicht mehr zustande kam. Insgesamt rund 750 Menschen - darunter auch Frauen und Kinder - wurden im Sammellager Gänsbachergasse 3 (einem ehemaligen Obdachlosenheim, damals im zehnten, heute im dritten Wiener Gemeindebezirk) interniert. Die meisten Internierten mussten bis Anfang Februar 1940 dortbleiben.

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Hans Stern (geb. 26. 10. 1903) versah seinen Dienst als von der IKG Wien beschäftigter Ordner im Sammellager Gänsbachergasse. Er wurde am 1. April 1943 in das Ghetto Theresienstadt und von dort am 29. September 1944 in das KZ Auschwitz überstellt. Am 10. Oktober 1944 wurde er in das KZ Dachau verlegt. Dort kam Hans Stern am 1. April 1945 um.

Ansuchen IKG

 

 

 

IKG Wien an die Familienangehörigen von Wilhelm Wohlfeiler, 27. 10. 1939 (Kopie DÖW 51.578)

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Wilhelm Wohlfeiler (geb. 26. 6. 1890) wurde mit dem 1. Transport nach Nisko deportiert. Nach seiner Flucht in die Sowjetunion wurde er von seiner Familie durch fallweise Geldsendungen unterstützt. Nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 brach die Verbindung ab. Wohlfeilers letztes Lebenszeichen stammt aus Halicz.
Seine Angehörigen wurden am 27. Oktober 1939 von der IKG Wien über ihre Einteilung in einen (aufgrund des Abbruchs der Deportationen nach Nisko nicht mehr abgehenden) Transport nach Polen benachrichtigt. Wohlfeilers Frau Therese (geb. 1894) überlebte mit ihren Kindern Walter (geb. 1923) und Gertrude (geb. 1925) im amerikanischen Exil.

Mitteilung IKG, 27. 10. 1939

 

 

 

 

Bescheinigung des Leiters der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Nisko am San, für Friedrich Rosenbaum, 24. 3. 1940 (Kopie DÖW 20.000/509)

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Friedrich Rosenbaum (geb. 10. 7. 1913) war ab 3. Juni 1938 im KZ Dachau und vom 24. September 1938 bis 11. Mai 1939 im KZ Buchenwald in Haft. Er wurde mit dem zweiten Transport nach Nisko verschleppt. Nach seiner Rückkehr gelang ihm die Flucht aus dem Deutschen Reich, er überlebte im Exil auf Mauritius.

Entlassungspapier

 

 

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