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Eugenie Goldstern (1884 - 1942)

Albert Ottenbacher

Eugenie Goldstern 

 

 

 

Eugenie Goldstern

(Foto: Privatbesitz)

 

 

Der untergehende Zarismus - Goldstern wird am 1. März 1884 in Odessa geboren -, der Antisemitismus in Wien und schließlich der Faschismus, dem sie zum Opfer fällt, prägen das Leben der Ethnologin Eugenie (Jenny) Goldstern. Sie rettet sich vor den großen Pogromen in der Ukraine, kommt 1905 nach Wien. Goldstern ist durch ihren aus Lemberg stammenden Vater Österreicherin. Sie studiert Ethnologie in Wien bei Michael Haberlandt. Da sie in Österreich nicht promovieren kann, setzt sie ihre Studien in Neuchatel fort. Sie macht ihre ersten Feldforschungen in den Alpen. Eugenie Goldstern ist eine Schülerin von Arnold Van Gennep, dessen "Rites de Passage" noch heute aktuell sind und von Claude Lévi-Strauss rezipiert wurden. Ihre Promotion erfolgt im Fach Humangeographie in Fribourg 1921 über das Thema "Hochgebirgsvolk in Savoyen und Graubünden". In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und in den 1920er-Jahren bereist sie die Randzonen der europäischen Kultur in den Hochgebirgstälern Österreichs, der Schweizer Alpen des Oberrheingebietes, aber auch des schweizerisch-italienischen Kontaktraumes, Frankreichs, Italiens und der Schweiz. Ohne institutionelle Unterstützung muss sie als unabhängige Privatgelehrte aus eigenen Mitteln Reisen, Forschungen und auch Sammlungen bestreiten. Sie betreibt Feldforschung, teilnehmende Beobachtung, zeichnet, fotografiert, vermisst. Sie begeistert sich für das einfache Spielzeug von Bergbauernkindern. Sie ersteht Kerbhölzer, die als urtümliche Rechtsurkunden die Verteilung von Nutzen und Pflichten in demokratisch verfassten Gemeinwesen regeln. Sie entdeckt, dass "das Primitive" nicht typisch für Länder der dritten Welt ist. Mit der einfühlsamen Beobachtung von fremden Ritualen werden Grenzen überschritten, gewohnte Lebensentwürfe in Frage gestellt. Die strenge Ordnung altüberlieferter nachhaltiger Wirtschaftsformen in alpinen Gegenden wird modellhaft dargestellt.

 

Eugenie Goldstern schreibt eine Dissertation über Bessans/Hochsavoyen, die später als erste Gemeindemonographie überhaupt gerühmt wird. Diese Schrift wird ins Französische übersetzt. Der Name Goldstern ist deshalb in der Maurienne noch immer ein Begriff. Sie schafft eine einmalige und auch heute noch immer wieder von den Franzosen im Wiener Museumsdepot konsultierte Sammlung aus der höchstgelegenen französischen Gebirgsgemeinde. Sie baut eine Vergleichssammlung auf, die Verbindungen aufzeigt, die nationale Schranken überwindet und regionale Sonderformen in größere Zusammenhänge stellt. Es wird ökologisch verantwortungsbewusster Umgang mit knappen Ressourcen in entlegenen Randgebieten anschaulich belegt. Es gelingt ihr nachzuweisen, dass urwüchsige Formen des Wirtschaftens und der Kultur nicht an weit entfernte Völker gebunden sind. Mit anthropologischen Untersuchungsmethoden, die sonst bei Kolonisierten angewandt werden, stellt sie mitten in Europa archaische Lebensformen fest.

 

Goldsterns Leben ist bestimmt von Vertreibung und Flucht. Sie vertraut ihre Alpin-Sammlung dem Österreichischen Museum für Volkskunde an - die Sammlung wurde bis heute nicht ausgestellt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs muss sie ihre Studien abbrechen, weil sie als Spionin verdächtigt wird. Ihre Studien im Aostatal beenden die Schwarzhemden Mussolinis. In Wien sucht sie in der männerdominierten Volkskunde Anerkennung. Ihr Forschungsansatz, der dem um sich greifenden Rassenwahn entgegensteht, hat in der damaligen Zeit keine Chance. Während sich das Volkskundemuseum zum Tummelplatz nazistischer Umtriebe entwickelt, wird Goldstern am 14. Juni 1942 von den Nationalsozialisten nach Sobibor deportiert und umgebracht.

 

Eugenie Goldstern war eine bedeutende Persönlichkeit und hervorragende Wissenschaftlerin, die in der Volkskunde Großartiges geleistet hat. Ihr Werk steht in der Tradition einer Ethnologie, die durch den Kulturvergleich und die Begeisterung für ursprüngliche Formen der Wirtschaft, des gestalterischen Ausdrucks und gemeinschaftlichen Lebens geprägt ist. Die Randgebiete, mit denen es sich beschäftigt, sind Sitz von kulturellen und wirtschaftlichen Eigentümlichkeiten, die fremde Völker einen.

 

Literatur/Quellen

 

Albert Ottenbacher, Eugenie Goldstern. Eine Biographie, Wien 1999

Österreichisches Museum für Volkskunde, Archiv, Briefe von Eugenie Goldstern

ÖMV - Inventar VII, Wien 1912, ÖMV - Inventar VIII, Wien 1912, ÖMV - Inventar IX, Wien 1913

XVIII. Jahresbericht des Vereines für österreichische Volkskunde für das Jahr 1912, Wien 1913

Österreichisches Museum für Volkskunde, Diapositivverzeichnis

Österreichisches Museum für Volkskunde, Bibliotheksinventar

Eugenie Goldstern, Alpine Spielzeugtiere. Ein Beitrag zur Erforschung des primitiven Spielzeuges, in: Wiener Zeitschrift für Volkskunde, 29. Jg., Heft 3-4, Wien 1924

Eugenie Goldstern, Beiträge zur Volkskunde des Lammertales mit besonderer Berücksichtigung von Abtenau (Tännengau), in: Zeitschrift für österreichische Volkskunde, Wien 1918

Eugenie Goldstern, Bessans, Vie d'un village de haute Maurienne, Traduction Francis Tracq et Melle Schaeffer, Challes-les-Eaux 1987

Eugenie Goldstern, Eine volkskundliche Erkundungsreise im Aostatale (Piemont). (Vorläufige Mitteilung), in: Wiener Zeitschrift für Volkskunde, 28. Jg., Heft 1, Wien 1923

Eugenie Goldstern, Hochgebirgsvolk in Savoyen und Graubünden. Ein Beitrag zur romanischen Volkskunde. I. Bessans, Volkskundliche monographische Studie über eine savoyische Hochgebirgsgemeinde (Frankreich). II. Beiträge zur Volkskunde des bündnerischen Münstertales (Schweiz), Wien 1922

 

 

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Albert Ottenbacher: Richard Wolfram
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