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Hans Schiller: Es ist zu keinen Kampfhandlungen gekommen

Hans Schiller, geb. 1903 in Wien. 1917 Laufbursche für Wiener Bankverein, 1919 Modelltischlerlehrling. Sozialistische Arbeiterjugend, im Wiener Elektrizitätswerk beschäftigt, Sektionsleiter der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bis 1934 sowie Zentralkassier der Gewerkschaft der Angestellten der Stadt Wien. Leiter der Revolutionären Sozialisten Wien-Favoriten. Februar 1937 verhaftet, anlässlich der Weihnachtsamnestie 1938 aus dem Anhaltelager Wöllersdorf entlassen. Nach dem März 1938 Wiedereinstellung im E-Werk. 1945 Mitglied einer Widerstandsgruppe.

Verstorben.

 

 

Die Zensur '33 war eine bittere Sache. Man hat die "Arbeiter-Zeitung" zuerst damit schikaniert, dass man die Vorzensur [zwei Stunden vor dem Erscheinen musste die "Arbeiter-Zeitung" der Behörde vorgelegt werden] eingeführt hat und sie gezwungen hat, eine zweite Ausgabe herzustellen. Das war eine große finanzielle Belastung für das Ganze. Zum Zweiten sind die Zeitungen mit vier, fünf weißen Flecken erschienen. Auf die Dauer hat das auch dem Gegner nicht gefallen. Wenn man die weißen Flecken in der Zeitung gesehen hat, war das das deutlichste Zeichen, da ist etwas gestanden, was ich nicht lesen soll. Das allein hat schon die Leute gereizt. Dann hat es geheißen, die Zeitung darf nicht mehr im freien Handel verkauft werden, nur mehr als Abonnement im Postversand verschickt, nicht in Trafiken vertrieben werden [Verordnung vom 9. Oktober 1933]. Das war der zweite große Schlag. Den hat man gespürt. Das hat erstens Geld gekostet. Zweitens war die Auslieferung verzögert. Die Leute haben in der Früh keine Zeitung gehabt, die haben sie erst zu Mittag, wenn der Briefträger gekommen ist, gekriegt. [...]

 

Die Partei hat damals in ganz Österreich bei 650.000 Mitglieder gehabt, in Wien allein weit mehr als 300.000. Das hat nicht geheißen, dass jeder mit Leib und Seele an der Sache gehangen ist. Da sind so und so viele nur aus Sympathie, wie es heute auch so ist, weil ihnen der Kreisky oder damals der Renner gefallen hat oder der Seitz, dabei gewesen. Von den über 300.000 waren vielleicht nur, wenn ich hoch greife, 100.000, die mit der Partei echt verwachsen waren und mit der Idee. Ein gewisser Kreis von Menschen, die das alles mitgelebt und mitgestaltet haben, das war aber nicht die große Masse der Parteimitglieder. Man müsste die Partei, wenn man das unterscheiden will, eigentlich in die zwei Teile zerlegen.

 

In den Mitgliederreihen der sozialdemokratischen Partei hat man zum Teil das Gefühl wachgerufen, oder die Leute haben es sich eingeredet: "Ich bin eh in der Partei, und dafür, dass das, was wir wollen, alles durchgeht, dafür sorgt ja der Schutzbund." Es haben sich die Parteimitglieder nicht mit dem Schutzbund identifiziert. Die einen sind beim Fenster gesessen, haben zugeschaut, wie die anderen da unten schießen und raufen, und haben das Ergebnis abgewartet. Aber dass sie selber etwas beigetragen hätten ... Ein Beispiel: Ich bin mit meiner Frau nach 1945 nicht mehr Mitglied im Konsumverein geworden, und zwar aus einem Erlebnis, das mich zutiefst enttäuscht hat. Ich habe damals im George Washington-Hof in der Triester Straße gewohnt und dort hat sich einiges abgespielt, unter anderem waren auch Otto Bauer und Schutzbundabteilungen einquartiert. Am Abend haben wir den Leuten nicht einmal eine Wurst, ein Butterbrot oder einen Tee geben können. Jetzt sind wir - zwei Konsumvereine haben wir droben [am Wienerberg] gehabt - zu dem Filialleiter gegangen, zu beiden, und haben gesagt, er soll uns zumindest fünf Laib Brot geben, einen Kilo Butter und ein paar Packerl Tee, dass wir den Leuten wenigstens etwas Warmes geben können. "Wie stellts euch denn das vor, wer zahlt denn das?" - "Wenn wir gewonnen haben, dann zahlen wir. Und wenn wir nicht gewonnen haben, ist es eh schon egal." - "Das tu ich nicht, das kann ich nicht, das kostet ja meinen Posten." Das war während der Kampftage, vom 12. auf den 13. Februar. Wenn man an solchen leitenden Stellen - und so ein Filialleiter ist doch etwas gewesen und ist heute noch etwas - so denkt, wo kommen wir da hin. Aber das Gefühl haben die Leute gehabt: Der Schutzbund macht schon was, aber ich schau auf meinen Posten. Wenn der Schutzbündler arbeitslos wird, soll er schauen, dass er einen Posten kriegt. [...]

 

Am 12. Februar war ich im E-Werk [in der Mariannengasse, 9. Bezirk], und das war eine ganz komische Sache. Ich habe um acht, halb neun mit der Arbeit begonnen. Es war dunkel, und ich habe Licht brennen gehabt. Auf einmal geht das Licht aus. Ein Kurzschluss? Wir haben in den Sicherungskasten geschaut. Alles in Ordnung, alles drinnen. Dann ist mir ein Licht aufgegangen. Ich war damals noch im Angestellten-Betriebsrat und gehe ins Betriebsratszimmer. Sitzen schon zwei dort, der Obmann und noch ein Kollege. "Was tun wir denn jetzt?" - "Was wir tun? Schaun, dass wir eine Verbindung herstellen." Jetzt haben wir einmal mit der Gewerkschaft telefoniert. Die Gewerkschaftsleitungen waren alle intakt, komischerweise, nur die Parteileitungen nicht. "Was ist, was sollen wir machen?", haben wir gefragt. "Vorläufig gar nichts, vorläufig stillhalten." Wir sind in die Betriebe gegangen. Die Leute haben gewusst, es ist etwas los. Wir haben ihnen gesagt, es ist ein Streik. Wir haben gar nicht gewusst, von wo er ausgegangen ist. Von den Linzern haben wir damals nichts gewusst. Jetzt haben wir einmal geschaut, wer bei uns den Strom ausgeschaltet hat, und erfahren, dass es der Genosse Kritzer im E-Werk in der Engerthstraße war. Der hat es auf sich genommen und die Maschinen abgestellt. Zugleich hat er die Simmeringer [im zweiten E-Werk] verständigt, die dem auch Folge geleistet haben. In beiden Fällen haben sie die Weisung gegeben, die Maschinen so herzurichten, dass sie momentan nicht wieder in Betrieb gehen können, aber keine Sabotageakte zu setzen. Nichts zerstören, sondern nur Teile herausnehmen, die man dann wieder leicht einbauen kann. Jetzt haben wir gewusst, warum gestreikt wird, und haben es einmal unseren Leuten im E-Werk erzählt und gesagt: "Ihr bleibt alle da, man kann auch streiken, indem man nichts arbeitet, man muss nicht hinausgehen." Die Leute sind beieinander gesessen und haben angefangen, Karten zu spielen, was man halt macht, wenn man sitzt und nichts zu tun hat. Ungefähr um die Mittagszeit ist die erste Weisung gekommen, dass sich der Schutzbund in der Mariannengasse sammelt und im Simmeringer E-Werk. Beim Simmeringer E-Werk wird erwartet, dass Polizei und Militär anrückt. Unsere Direktion hat sich überhaupt neutral verhalten, die hat mit uns geredet, aber überhaupt keine Stellungnahme abgegeben, haben gesagt: "Na, wollts nicht doch arbeiten?" - "Nein, wir arbeiten nicht." Dann ist in Simmering, lange bevor sie ins E-Werk in der Mariannengasse gekommen sind, ein Schub Militär angekommen. Was will das Militär da? "Das Werk besetzen." - "Was wollts denn besetzen?" - "Alles, was zum Besetzen ist." So haben sie verhandelt - ich war nicht dabei, das habe ich erst nachher gehört. "Da unten könnt ihr gar nichts besetzen, wenns dort wo ankommts, seids überall im Stromkreis drinnen." Haben sie denen Angst gemacht. "Da z. B. könnts hineingehen, von uns geht keiner hinein. Hinein kann man schon gehen, aber lebend kommt niemand heraus." So haben sie die unter Druck gesetzt. Darauf haben sie die Büroräume besetzt, zwei Posten aufgestellt, und einen ins Magazin ... Aber sie haben nicht versucht, den Betrieb wieder in Gang zu setzen.

 

In die Mariannengasse ist eine Polizeiabteilung gekommen, kein Militär, und die haben Druck ausgeübt, den Betrieb wieder in Gang zu setzen. Unsere Leute haben sich nach wie vor geweigert, sie arbeiten heute nichts, auf gar keinen Fall. "Wenn ihr es nicht macht, werden es andere machen, aber euch werden wir faschieren." So ungefähr war die Sprache. "Wenn ihr nicht arbeiten wollt, werden wir euch verhaften." - "Na gut, verhaftet uns." Dafür waren sie aber viel zu wenige. Aber sie haben Leute von der Militärverwaltung gebracht, ein paar Ingenieure, die von den Dingen etwas verstanden haben. Die haben sich das ein bisschen angeschaut und gesagt: "Sabotage, dass wir euch aufhängen könnten, habt ihr ja keine gemacht." - "So blöd sind wir nicht." So ist das hin und her gegangen, Tatsache ist, dass sie nach dreistündiger Arbeit am Abend noch imstande waren, den Betrieb wieder aufzunehmen. Aber es war trotzdem richtig, denn wenn wir wirklich Sabotage geübt hätten, am nächsten Tag hätten sie es doch in Betrieb gesetzt, und es hätte bei uns unnötige Opfer gegeben. Es ist zu keiner Kampfhandlung gekommen.

 

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