logo
logo

Hans Schiller: Mit Musik und Klimbim ins Werk hinein

Hans Schiller, geb. 1903 in Wien. 1917 Laufbursche für Wiener Bankverein, 1919 Modelltischlerlehrling. Sozialistische Arbeiterjugend, im Wiener Elektrizitätswerk beschäftigt, Sektionsleiter der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bis 1934 sowie Zentralkassier der Gewerkschaft der Angestellten der Stadt Wien. Leiter der Revolutionären Sozialisten Wien-Favoriten. Februar 1937 verhaftet, anlässlich der Weihnachtsamnestie 1938 aus dem Anhaltelager Wöllersdorf entlassen. Nach dem März 1938 Wiedereinstellung im E-Werk. 1945 Mitglied einer Widerstandsgruppe.

Verstorben.

 

 

Im Dezember 1937 bin ich nach Haus gekommen und war dann zu Hause, bis die Nazis gekommen sind. Bereits Anfang April haben sie mich schon ins E-Werk eingeladen. Zuerst haben sie mich gefragt, ob ich eine Arbeit habe oder ob ich Wert darauf lege, wieder zurückzukommen. Sage ich: "Nein, ich habe keine Arbeit. Wenn es möglich wäre, wieder ins Werk zu kommen, würde ich schon gehen." Haben sie gesagt: "Ja, selbstverständlich." Da haben sie noch auf loyal gespielt. Ungefähr 300 Leute sind zur gleichen Zeit wieder eingestellt worden. Ein riesiges Aufsehen im Werk Simmering, der Simmeringer Bezirksmarsch wurde organisiert. Da sind wir mit Musik und Klimbim ins Werk hinein. Dort ist feierlich verkündet worden, dass 300 Menschen wieder eingestellt werden. Ein riesiges Aufsehen ...

 

Nicht nur die aus der Illegalität, sondern auch die vom Februar 1934, also ehemalige Schutzbündler usw., sind wieder eingestellt worden. Ich bin natürlich keiner Organisation beigetreten, habe meine Arbeit wie vorher gemacht. Ich war wieder in der Mariannengasse. Nach zirka vier Wochen ließ mich der Leiter der "braunen Stuben" - so hieß das - zu sich rufen. Das war ein gewisser Ingenieur Dornfeld, und der hat mich gefragt: "Was ist, Herr Schiller, wie gefällt es Ihnen bei uns?" Sage ich: "Es gefällt mir sehr gut. Wenn man wieder eine Arbeit hat, ist alles gut." "Nicht nur die Arbeit meine ich", sagte er, "wollen S' nicht ein wenig der Organisation helfen und beitreten?" Schau ich ihn an und sage: "Herr Ingenieur, was wollen Sie jetzt von mir? Wollen Sie eine Schmeichelantwort oder die Wahrheit?" Sagt er: "Wir kennen uns lang genug, dass ich die wirkliche Antwort erwarten kann." Sage ich: "Nein, ich trete nicht bei." Sagt er: "Warum nicht? Was wir gutmachen konnten, haben wir gutgemacht." "Das werde ich nie vergessen, das werde ich immer anrechnen." "Warum wollen Sie dann nicht beitreten?" Sage ich: "Aus zwei Gründen: Erstens gefällt mir nicht, was ihr mit den Juden treibt. Leute Boden waschen lassen und solche Sachen. Das ist doch keine menschliche Behandlung, was Ihr da macht." Sagt er: "Haben die immer menschlich gehandelt?" Sage ich: "Ich kenne sehr viele, die menschlich gehandelt haben, und ich kenne auch andere, da haben Sie recht. Ich kenne aber auch manche Nazis, die nicht menschlich sind. Das Zweite ist, dass wir in einen Krieg hineinschlittern." Sagt er: "Was, wir, die Nationalsozialisten, in einen Krieg, was haben Sie für Vorstellungen?" "Wenn Sie es auch nicht sehen, ich sehe es. Können Sie mir sagen, zu welchem Zweck Waffen erzeugt werden?" "Damit wir uns verteidigen können." "Greift uns wer an?" Sagt er: "Das könnte sein." "Nein", sage ich, "ich bin der Meinung, Waffen werden erzeugt, damit sie in Funktion treten können. Speziell Waffen, wie sie jetzt erzeugt werden. In jedem Hafen, in jeder Schiffswerft liegt ein Panzerkreuzer, ein U-Boot. Die werden jetzt gebaut. Das sind alles keine Verteidigungswaffen. Das gehört doch für einen anderen Zweck." "Nein, nein", sagt er, "der Führer wird nie einen Krieg beginnen." Sage ich zu ihm: "Herr Ingenieur Dornfeld, ich mache einen Vorschlag, wenn wir bis Weihnachten keinen Krieg haben, dann trete ich bei." "Einverstanden, dann habe ich ein neues Mitglied gewonnen."

 

Im Herbst ist es in der Tschechoslowakei losgegangen und er hat mich nie mehr gefragt. Dieser Ingenieur war ursprünglich bei den Großdeutschen, und dann war er einer der ersten Nazi. Aber einer, der keinen Dreck am Stecken gehabt hat gegenüber seinen Kollegen. Da war er anständig. Mir ist nie bekannt geworden, dass der Mann irgendjemanden angezeigt hätte.

 

Das war auch der Vorteil in diesen großen Werken, wo man jemanden schon zehn, zwanzig Jahre gekannt hat, dass man mit dem ganz anders redet, als wenn einer frisch hereinkommt. [...]

 

Im Wesentlichen ist die Betriebsgemeinschaft geblieben. Sie haben keine großen Versetzungen gemacht. Die Kollegen, wie sie in einer Gruppe beisammen waren, bei uns in der Stromverrechnung waren es dreißig Leute pro Gruppe, blieben; ein paar Neue sind hinzugekommen, ein paar haben sie versetzt. Das waren zum großen Teil Sozialdemokraten. Das ist etwas - so glaube ich -, das man sehr leicht übersieht. Nämlich die Tatsache, dass diese Großbetriebe sehr von Sozialdemokraten durchdrungen waren. Im 45er Jahr hat sich das fabelhaft ausgewirkt. Die ganzen faschistischen Jahre hindurch ist dieser Kadergeist geblieben. Wie im 45er Jahr alles zusammengebrochen ist, war es dieser Kader, der die innere Betriebsorganisation zusammengehalten hat. Denn die Spitzen sind alle geflüchtet, sowohl die von den ersten österreichischen Faschisten als auch die Nazi. Der alte Kader vom 34er Jahr, der von uns aus, von den Sozialisten in der Leitung war, war in der Zwischenzeit auch schon in Pension, die waren auch nicht mehr so jung, als die Nazis gekommen sind. 1945 war nur der junge Kader aus der Illegalität vorhanden, und der hat die ganze Sache übernommen. Das war das, was dieses 45er Jahr für mich fast erfreulich gemacht hat. Dann hat sich gezeigt, dass die Organisationsarbeit, die wir gemacht haben, nicht umsonst war. Die Leute waren auf einmal alle wieder da und haben gezeigt, wer sie wirklich sind.

 

<< zurück

 

Unterstützt von: