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Hugo Ebner: Wir versuchen es über die Berge

Hugo Ebner, geb. 1913 in Stanislau. Verband Sozialistischer Mittelschüler, später Verband Sozialistischer Studenten Österreichs. Transportierte illegales Material für die Kommunistische Partei Jugoslawiens, Stützpunkt ist der 1936 von der Vereinspolizei aufgelöste "Club Jadran", der kulturpolitische Veranstaltungen und Reisen nach Jugoslawien organisiert. Nach kurzer Haft Fortsetzung der illegalen Tätigkeit als Mitarbeiter eines jugoslawischen Reisebüros. 1938 Abschluss des Jusstudiums. Verhaftung am 13. März 1938 gemeinsam mit Jura Soyfer beim Versuch, in die Schweiz zu gelangen. Bis Anfang Mai 1939 Haft in den KZ Dachau und Buchenwald. Juli 1939 Emigration nach Großbritannien. Herbst 1940 bis Juni 1942 Internierung in Kanada.

1946 Rückkehr nach Wien. Rechtsanwalt.

Verstorben 1997.

 

 

Es war ein großes Aufatmen, als man hörte, dass Verhandlungen mit der Regierung stattfinden, und als dann die Volksabstimmung [gemeint ist die für den 13. März 1938 geplante Volksbefragung] ausgeschrieben wurde. Ich selbst war sehr optimistisch, und ich erinnere mich auch an ein Gespräch mit jemandem, der mich im Reisebüro besucht hat, es muss im Februar gewesen sein. Das war ein Sozialdemokrat, Jude, der die Frage aufgeworfen hat, ob man nicht auswandern solle, ob nicht die große Gefahr besteht, dass Österreich von den Deutschen okkupiert wird. Da erinnere ich mich, dass ich ihm sehr optimistisch gesagt habe, nein, gerade jetzt nicht, es wird nichts passieren, im Gegenteil, wir kommen zu einer demokratischen Entwicklung in Österreich.

 

Jura Soyfer ist mit der Februaramnestie entlassen worden und hatte einen Pass, aber der Pass war abgelaufen. Wie wir am 11. oder 12. März 1938 zusammenkamen, um die Situation zu besprechen, und wie wir gefunden haben, es ist gut, dass wir verschwinden, war das Problem, dass er keinen gültigen Pass hatte. Wir sind daher zu dem Ergebnis gekommen, wir versuchen es über die Berge. Wir waren halbwegs gute Schifahrer, und ich war das Jahr vorher im Montafon Schifahren, in Gargellen, und ich kannte ein bisschen die Gegend. Außerdem erschien es mir ganz günstig, wenn wir gefragt werden, was wir da machen, dass man darauf hinweisen kann, ich war ja schon voriges Jahr zum Schifahren hier, als politisch noch nichts los war. Freitag- oder Samstagabend (12. März) fuhren wir mit dem Schweizer D-Zug, der voll von Menschen war, die auch Österreich verlassen mussten. Dieser Zug wurde wiederholt von mehr oder weniger regulären Nazis kontrolliert, die einige, die ihnen besonders jüdisch vorkamen, herausfischten, sonst aber korrekt waren. Die Passagiere kamen übrigens durch, soweit sie Pässe hatten. Ich habe später Bekannte aus diesem Zug wiedergesehen. In Bludenz stiegen wir um und fuhren im Montafontal mit der Bahn bis Schruns, und dann stiegen wir auf bis Gargellen.

 

Hinter Gargellen wurden wir von einer Gendarmeriepatrouille kontrolliert, die aus einem alten Gendarmen bestand, dem die ganze Sache nicht sehr angenehm war, einem zweiten, an den ich mich nicht mehr erinnere, und einem dritten, der offenbar ein Nazi war. Dieser bestand auf unserer Verhaftung, obwohl nach dem ersten Anblick eigentlich kein Grund vorhanden gewesen wäre. Als Vorwand nahm er Folgendes: In meinem Rucksack war eine Sardinenbüchse, die unnötigerweise in einem Stück Zeitungspapier eingepackt war. Diese Zeitung war eine durchaus legale Gewerkschaftszeitung aus dem Jahr 1936, also eine vaterländische. Aber er hat das zum Vorwand genommen, hat das als eine illegale Zeitung betrachtet und hat darauf bestanden, dass wir verhaftet werden und mitkommen. Er war offenbar tonangebend. Wir wurden von Gendarmen nach St. Gallenkirch hinuntergeführt, wo wir eine Nacht unter Bewachung verbrachten und wo unsere Bretteln geblieben sind auf Nimmerwiedersehen. Am nächsten Tag wurden wir nach Bludenz gebracht. In Bludenz haben wir einige Tage verbracht, das war ein sehr kleines, angenehmes, freundliches Gefängnis, wo uns der Gefängniswärter Filzpatschen zur Verfügung gestellt hat, damit wir den Boden nicht schmutzig machen. Von dort wurden wir nach Feldkirch gebracht, wo uns die Gestapo übernahm. Wir wurden in verschiedenen Zellen untergebracht, Einzelzellen, und besonders in Erinnerung habe ich das Verhör. Das hat sich im Keller abgespielt, und wie ich in den Keller hinuntergeführt wurde, ist mir alles in Erinnerung gekommen, was ich jemals aus Deutschland über die Gestapo gelesen hatte. Aber der Gestapobeamte wollte nur wissen, wer ich war und was ich gemacht habe. Ich musste natürlich alles, was dokumentarisch nachprüfbar war und was sicher in meinem Akt in der Wiener Zentrale aufgelegen ist, sagen, aber es hat sich alles in zivilisierten Formen abgespielt. Ich bin auf meine Gerichtspraxis zu sprechen gekommen bei dem Verhör durch den Gestapobeamten. Der hat sich nämlich mit dem Formulieren ein bisschen schwer getan, und da ich vom Gericht her diese Vernehmungspraxis hatte, ist dieses Verhör dann dazu "ausgeartet", dass ich ihm meine Aussage in die Maschine diktiert habe.

 

Diese Vernehmung durch die Gestapo-Beamten hat ziemlich lang gedauert, aber war, nachdem der Schreck der ersten drei, vier Minuten vergangen war, nicht bedrohlich, aber es ist mir schon zu Bewusstsein gekommen, die werden mich nicht mehr auslassen, nicht in ein paar Tagen. Wir sind dann weiterhin in Einzelzellen gewesen, der Jura und ich. Aber wir haben uns beim Spaziergang im Hof getroffen, und da lernte ich auch im Hof vom Feldkircher Gefängnis den Max Hoffenberg kennen, den der Jura schon kannte, ich nicht, und das ist eine lebenslange enge Freundschaft bis zum heutigen Tag geblieben. Im April oder Mai wurden wir nach Innsbruck überstellt, und zwar zuerst ins Polizeigefängnis und dann ins Landesgericht. Aus dieser Zeit ist mir eigentlich kaum etwas in Erinnerung. Auch dort hat man wieder Leute getroffen. Mit dem ehemaligen Bundeskanzler Ender, dem Landeshauptmann-Stellvertreter Gamper haben wir uns beim Spaziergang im Hof unterhalten. Die wahrscheinliche Überstellung in ein KZ hat bereits eine Rolle gespielt, wobei die, besonders der Gamper, sehr optimistisch waren und noch so Legalitätsvorstellungen hatten und gesagt haben, dass alle drei Monate überprüft wird, ob noch ein Haftgrund vorliegt, und selbst wenn man da nach Dachau kommen würde, dass es nicht so lange dauern wird. Dann, eines Tages im Juni, das war so der 22. Juni, haben wir im Hof in der Früh Bewegung gesehen und gehört. Eine Kompanie SS war angetreten, das müssen ganz ausgewählte Leute gewesen sein, so alle in der Größe von 1,90 m oder mehr, und da hieß es: "Überstellung nach Dachau!"

 

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Mitteilungen 217 / August 2014 (S. 5 ff.)
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