logo
logo

Laudatio von Bundespräsident a. D. Heinz Fischer

Verleihung des Ferdinand Berger-Preises an Hans Rauscher, Wiener Rathaus, 21. Oktober 2021

 

Wenn ein Preis gestiftet wird und in weiterer Folge an einen dieses Preises würdigen Preisträger verliehen wird, dann sind beide Seiten von Interesse: Sowohl die Person, nach der der Preis benannt ist, als auch die Person, die diesen Preis erhält. Im konkreten Fall – heute – also Ferdinand Berger und Hans Rauscher.

 

Über Ferdinand Berger findet sich in meinem Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer, in dem die Biografien von circa 1400 österreichischen Spanienkämpfern enthalten sind, folgender Eintrag: "Berger Ferdinand, geboren am 27. November 1917 in Graz. Automechaniker. 1933–1936 Haftstrafen wegen politischer Betätigung. Im Dezember 1937 aus Österreich nach Spanien. 14. Flakbatterie. 1939 St. Cyprien und Gurs. Im Mai 1940 in Vannes verhaftet. Februar 1941 bis Juli 1944 Dachau. Anschließend bis 1945 Flossenbürg. Nach der Befreiung Wiens Studium der Rechtswissenschaften, höherer Polizeidienst. Obmann der Lagergemeinschaft Dachau. Gestorben am 25. April 2004 in Wien."

 

Eine eindrucksvolle Biografie. Ein Leben, das mit allen Konsequenzen dem Kampf gegen den Faschismus gewidmet war.

 

Wir wissen außerdem: Vor dem Krieg Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, nach dem Krieg zunächst Mitglied der KPÖ, nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution von 1956 aus der KPÖ ausgetreten.

 

Der Ferdinand Berger-Preis soll also die Erinnerung an einen Mann wachhalten, der nicht nur in Wort und Schrift, sondern mit der Waffe in der Hand und unter Einsatz seines Lebens und der Erduldung aller Qualen in einem Konzentrationslager gegen die Diktatur und insbesondere gegen Franco und Hitler gekämpft und dafür einen hohen Preis gezahlt hat.

 

Und es sollen Menschen geehrt werden, die den Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus auch heute noch – oder vielleicht schon wieder – mit Überzeugung, Idealismus und Klugheit führen und aus der Geschichte gelernt haben.

 

Die Jury für den Ferdinand Berger-Preis hat entschieden, den Preis für 2021 an den freien Publizisten und Autor Hans Rauscher zu verleihen. Ich freue mich über diese Entscheidung und begrüße sie!

 

Ich kenne Hans Rauscher seit etwa 50 Jahren, also seit jener Zeit, die man die Kreisky-Jahre nennt, schätze seine Arbeit und möchte ihn als würdigen Preisträger vorstellen.

 

Er ist 1944, also im vorletzten Kriegsjahr, in Wien geboren, besuchte – so wie ich – ein humanistisches Gymnasium, schätzt die antiken Klassiker und ist ein unabhängiger, mutiger, verantwortungsvoller Denker und Schreiber. Er hatte auch einen mutigen Geschichtsprofessor, der sich gegen den Nationalsozialismus aktiv zur Wehr setzte und das mit der Verschleppung nach Dachau und Mauthausen büßen musste. Durch ihn lernte Hans Rauscher viel über das Wesen des Nationalsozialismus und über die tiefe Verstrickung vieler Österreicherinnen und Österreicher in diese menschenverachtende Ideologie, deren Akzeptanz und Verbreitung in Österreich – siehe z. B. den Heldenplatz im März 1938 – nach 1945 auf Basis der sogenannten Opfertheorie relativiert und teilweise verharmlost wurde.

 

Dabei ist ja die Drohung Hitlers mit einer militärischen Aggression gegen Österreich im März 1938 eine Tatsache. Österreich war – so gesehen – tatsächlich ein Opfer. Aber ebenso eine Tatsache ist, dass diese militärische Aggression Hitlers von beschämend großen Teilen der österreichischen Bevölkerung begrüßt und bejubelt wurde. Dass es rund 700.000 NSDAP-Parteimitglieder in Österreich gab und dass unter den exponiertesten Tätern der Hitler-Maschinerie ein beschämend großer Prozentsatz von Österreichern war.

 

Zurück zu Hans Rauscher: Karl Kraus, Josef Roths Radetzkymarsch, Alfred Polgar, H. C. Artmann, Elfriede Jelineks Klavierspielerin und nicht zu vergessen der Herr Karl, waren für ihn Impulsgeber und Leitfiguren, die zu seinem Geschichts- und Gesellschaftsbild wichtige Beiträge leisteten.

 

Rauscher studierte Publizistik an der Universität Wien und begann schon sehr früh als Journalist zu arbeiten. Zunächst für Oscar Bronner im Trend und im Profil, dann mehr als zwei Jahrzehnte beim Kurier, wo Hugo Portisch zu seinen Lehrern und Vorbildern zählte; und seit seinem Wechsel zum Standard ist er dort ständiger Kolumnist. Er schreibt das sogenannte Einserkastl, also die Glosse auf Seite 1 unter dem Kürzel "RAU", die ich sehr oft mit Vergnügen lese, aber auch längere Kolumnen, Essays und Reportagen.

 

Rauscher betrachtet sich selbst als Liberalen, vielleicht sogar als bürgerlichen Liberalen, obwohl das Prädikat bürgerlich inzwischen viel von seiner Definitionsmacht eingebüßt hat. Er ist jedenfalls ein Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, gesellschaftspolitisch liberal und ein Bewunderer und Anhänger von Karl Popper – was ich gut verstehen kann.

 

Weniger liberal ist Rauscher, wenn es um rechtsautoritäre Versuchung oder Verblendungen geht, die in Österreich aber starke Wurzeln haben und die in den Jahrzehnten seit dem Innsbrucker FPÖ-Parteitag von 1986 mit Haider, Strache oder Kickl nicht unbeträchtlichen, wenn auch wechselvollen Einfluss auf die österreichische Innenpolitik genommen haben.

 

Rauscher analysiert die Zeit zwischen 1938 und 1945, aber auch die Entwicklung seit 1945 so, dass das Österreich der Zweiten Republik zwar manches aus der Geschichte gelernt hat, aber gleichzeitig die Opfertheorie lange Zeit als Lebenslüge zum Überleben gebraucht hat.

 

Er war und ist der Meinung, dass die Neigung zur Verharmlosung und Verschleierung von nationalsozialistischen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Tendenzen daher eine klare, starke, permanente, wertorientierte und faktenbasierte Gegenposition benötigt, um den Weg in eine demokratische Zukunft nicht zu gefährden.

 

In einem Essay im Standard vom 21. Jänner 2017, also zu Beginn der jüngsten Phase der österreichischen Innenpolitik, schrieb er zum Thema "Vormarsch der illiberalen Demokratie in Europa" Folgendes: "Die liberale Demokratie ist unter Druck von illiberalen Tendenzen und Bewegungen. Im Wesentlichen ist es der extreme Rechtspopulismus, der eine andere Demokratie haben will."

 

Dabei versteht er unter einer liberalen Demokratie das angelsächsisch geprägte Modell, das auf Pluralismus, Öffnung, Rationalität, Toleranz und Interessenausgleich aufgebaut ist und darüber hinaus auf Weltoffenheit und der Überzeugung beruht, dass internationale Zusammenarbeit nicht nur beschworen, sondern auch gelebt werden muss.

 

Im Lichte der allerjüngsten Vergangenheit wird Hans Rauscher nicht müde zu den Wesenselementen einer liberalen Demokratie auch noch die Bedeutung eines funktionierenden Rechtsstaates hinzuzufügen. Wenn sich Rechtskonservative mit Rechtspopulisten zusammenschließen, wie das bei der türkisblauen Koalition von 2017 der Fall war, und es kommen noch ein enormer Machtwille, politische Kaltblütigkeit und ein verschworenes Team skrupelloser Berater in strategisch wichtigen Positionen hinzu, dann kann man – wie Rauscher in einer Kolumne geschrieben hat – "sehr viel erreichen". Und dennoch hat eine solche Regierung – wie Rauscher wörtlich schreibt - "kein Mandat für eine Reise nach Orbánistan".

 

Ich möchte persönlich hinzufügen, dass wir derzeit wirklich in einer ganz außergewöhnlichen Phase der österreichischen Politik leben. Vieles, was sich heute vor unser aller Augen abspielt, was wir schwarz auf weiß lesen können, was als Faktum nicht bestritten werden kann, wäre vor wenigen Monaten, ja Wochen noch unvorstellbar gewesen. Was hilft die rechtsstaatlich gebotene Vermutung der Unschuld, wenn unbestreitbar feststeht, dass Sebastian Kurz einer Bundesregierung, der er selbst angehörte, Schaden zufügen wollte und auch zugefügt hat, um seinen Aufstieg zu fördern. Wenn feststeht, mit welchen Mitteln von ihm und seinen Mitarbeitern die Strategie ins Kanzleramt verfolgt wurde, wenn feststeht, welchen Stil und welchen Inhalt die Aktivitäten der engsten Mitarbeiter des Bundeskanzlers hatten und wie sie sich nicht nur über politische Mitbewerber, sondern auch über Menschen aus den eigenen Reihen schamlos und zynisch geäußert haben.

 

In Zeiten wie diesen ist die Arbeit von Journalisten wie Hans Rauscher für die politische Hygiene in Österreich enorm wichtig und zwar unabhängig von der Arbeit, die Justiz und Rechtsstaat leisten müssen.

 

Das Bild von Hans Rauscher wäre aber nicht vollständig, würde man nicht auch auf seine kulturellen Interessen und seine zeitgeschichtlichen Kenntnisse verweisen: Er pflegt Freundschaft zu vielen Intellektuellen und Künstlern in Österreich und ich hoffe und erwarte, dass es von ihm auch in den kommenden Jahren viele kluge und inhaltsreiche Analysen der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Fehlentwicklungen geben wird.

 

Es war jedenfalls eine gute Entscheidung, die Arbeit von Hans Rauscher zu würdigen. Denn es ist eine Arbeit im Interesse einer offenen Gesellschaft und einer starken pluralistischen Demokratie, die auf Werten und Menschenrechten beruht. Das ist wichtig für Österreich und dafür danke ich Hans Rauscher.

 

 

<< zurück

 

Unterstützt von: