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Objekt des Monats

Objekte erzählen Geschichte

Hier finden Sie mit den Objekten des Monats unseren Neuzugang in der Dauerausstellung des DÖW. Monat für Monat werden wir Ihnen hier neue, unbekannte oder womöglich zu wenig beachtete Objekte und deren Geschichte aus unseren Sammlungen präsentieren. Hier erfahren Sie zudem die wichtigsten Hintergründe zu den Objekten und die Motive für deren Auswahl.

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Stereoskop als modernes Propagandamittel im Nationalsozialismus (1938)

Signatur: RARI 80004

 

Das Stereoskop, eine „Raumbild-Brille“, ist eine 3D-Brille aus den 1930er Jahren. Mit der Technik der Stereoskopie erscheinen zwei leicht versetzte Bilder – je eines für jedes Auge –dreidimensional. Die „Raumbild-Brille“ war Teil des 1938 erschienenen Bildbands „Großdeutschlands Wiedergeburt“ mit 100 nationalsozialistischen Propagandamotivpaaren für die dreidimensionale Ansicht.

Eine Stereofotografie zeigt den Aufmarsch der Österreichischen Legion 1938 in Wien, nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich. Entstanden war die Österreichische Legion als militante Vereinigung nach dem Verbot der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Österreich 1933. Tausende österreichische NSDAP-Anhänger flohen damals vor Strafverfolgung nach Deutschland, kamen in Lagern der Sturmabteilung (SA) unter, hielten illegale Verbindungen nach Österreich aufrecht und planten die Machtübernahme. Die Gruppe der Legionäre zeichnete sich durch eine hohe Überzeugung vom Nationalsozialismus aus, die sich auch in ihren Gewaltakten ausdrückte: Als bewaffneter Arm der illegalen SA begingen Angehörige der Legion zahlreiche politische Morde in Österreich. Besonders wichtig waren die Ereignisse rund um den Putsch gegen die österreichische Regierung am 25. Juli 1934. Nach dem Scheitern des Putschversuchs verlor die Legion an Bedeutung und wurde 1938 beim friedlichen Einmarsch der Nationalsozialisten nicht eingesetzt. Ihre „Heimkehr“ erfolgte erst später – trotz ihrer Loyalität ernteten die Legionäre wenig Anerkennung.

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Ein prominenter Legionär war das illegale SA-Mitglied Robert Haider. Er war 1934 am Juliputschversuch beteiligt und setzte sich nach nationalsozialistischen Aktivitäten nach Deutschland ab. Nach 1945 versuchte sich Haider, wie viele „ehemalige“ Nationalsozialist*innen, von seiner Verantwortung zu distanzieren. 1997 wurde ihm, trotz seiner bekannten Vergangenheit, das Goldene Ehrenzeichen der Republik verliehen – mit der Begründung, es gebe „keine Hinweise auf eine nationalsozialistische Haltung“. Selbst die Beteiligung „Illegaler“ am Erfolg des Nationalsozialismus stand dem kollektiven Entlastungswunsch in Österreich nicht entgegen. Auch Robert Haiders Sohn Jörg, später Obmann der Freiheitlichen Partei, trug mit relativierenden Aussagen zur Verharmlosung bei: Er lobte die Beschäftigungspolitik der Nazis und bezeichnete SS-Veteranen als „anständige“ Menschen mit „Charakter“ und „Überzeugung“, die nur ihre „Pflicht erfüllt“ hätten.

Die Stereofotografie belegt die Involvierung und Verantwortung österreichischer Nationalsozialisten – ein Aspekt, der in Abwehrnarrativen bis heute verharmlost oder verleugnet wird. Neben der inhaltlichen Dimension der ausgewählten Fotografien zeigt die „Raumbild-Brille“ symbolisch das ambivalente Verhältnis des Nationalsozialismus zur Moderne. So setzte die Propaganda auf technisch moderne und inhaltlich reaktionäre volkstümliche Ideen: Neben Rundfunk und Film war die Fotografie – und auch das „Raumbild“ – als für die Propaganda nutzbares Medium erkannt worden. Die Faszination für moderne Technologien und ihre Wirkung gab es nicht nur im Nationalsozialismus, auch aktuelle rechtsextreme Agitation funktioniert in einer ähnlichen Ambivalenz, wenn sie auf Social-Media-Kampagnen mit völkisch-modernefeindlichen Inhalten setzt.

 

Weiterführende Literatur:

 


Autorin: Isolde Vogel, Rechtsextremismusforscherin

Fotos: Michael Bigus (Objekt), Daniel Shaked (Porträt)

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