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Wissenschaftliche Stellungnahme zum FPÖ-"Historikerbericht"

Nachwort zum FPÖ-Bericht "Analysen und Materialien zur Geschichte des 'Dritten Lagers' und der FPÖ"

Pressekonferenz, Presseclub Concordia, 3. Februar 2020: Stellungnahme von Margit Reiter, Oliver Rathkolb und Gerhard Baumgartner

 

Historikerkommissionen haben in Österreich Tradition. Immer wenn es heikle geschichtspolitische Debatten gibt, ruft die Politik nach historischen Experten und Expertinnen, die ein umstrittenes Thema, das meist sehr emotional aufgeladen ist und auch zu internationaler Kritik und Verwunderung führt, versachlichen und möglichst schubladisieren sollen.

 

So auch im Falle der sogenannten FPÖ-"Historikerkommission", die anlässlich der ersten "Liederbuch-Affäre" Anfang 2018 von der FPÖ-Führung eingerichtet wurde. Der damalige FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache sah sich damals gezwungen, eine Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Korporationen und des "Dritten Lagers" einzusetzen.

 

 

Phantom-Kommission

 

Die Vorgangsweise und personelle Zusammensetzung dieser Kommission ist aus mehreren Gründen zu kritisieren: Die Kommissionsmitglieder waren fast ein Jahr lang unbekannt, bis heute ist unklar, wer die eigentliche Entscheidungsbefugnis über die Zusammensetzung der beteiligten Autoren hatte und aus welchem Grund der Kreis der Autoren anscheinend mehrmals erweitert wurde. Von einer Historikerkommission zu sprechen ist eigentlich grob irreführend, da sich eine Kommission im eigentlichen Wortsinn allem Anschein nach nie gebildet, keine Sitzungen abgehalten und auch keine gemeinsamen Ergebnisse vorgelegt hat.

 

Die Unkoordiniertheit der Kommissionsautoren spiegelt sich in der eklektischen Kombination der einzelnen Beiträge wider, die häufig mit der eigentlichen, ursprünglichen Fragestellung so gut wie nichts zu tun haben. Die Kombination mit Stellungnahmen führender politischer Repräsentanten der FPÖ und der fachlich kaum zu argumentierenden Beiziehung zweier Autoren aus Israel lassen den Gesamteindruck einer wenig durchdachten Materialsammlung entstehen, der durch die weit auseinanderdriftenden akademischen Standards der Beiträge noch einmal unterstrichen wird.

 

 

Nichteinhaltung wissenschaftlicher Grundstandards

 

Etliche Beiträge des Berichts haben eindeutig journalistischen Charakter, doch auch bei vorgeblich wissenschaftlichen Beiträgen werden grundlegende internationale wissenschaftliche Standards nicht eingehalten. So bleibt bis heute unklar, wo mehrere der zitierten Quellen und Archive der FPÖ zugänglich sind, aus denen a.o. Univ.-Prof. Lothar Höbelt exklusiv zitiert und zu welchen der Universitätsprofessorin Margit Reiter der Zutritt verweigert wurde.

 

Kennzeichnend für den Bericht ist ferner das Versagen, den vorgeblichen Forschungsgegenstand, das sogenannte "Dritte Lager", auch nur annähernd anhand nachvollziehbarer Kriterien zu definieren und sowohl zeitlich als auch ideologisch-politisch in seiner Bandbreite darzustellen. Bestenfalls 100 Seiten des auf fast 700 Seiten aufgeblasenen Berichts widmen sich dem Kernthema, und auch dies nur in unzulänglicher Weise.

 

Als "Herzstück" des vorgelegten Berichts wurde der Beitrag von Michael Wladika über die NS-Vergangenheit von Funktionären des VdU und der frühen FPÖ bezeichnet. Darin stehen jedoch nicht – wie der Titel verspricht – die ehemaligen Nationalsozialisten in VdU und FPÖ im Zentrum, sondern es handelt sich um einen Abriss zur Parteigeschichte des VdU bis hin zur frühen FPÖ, worin im Wesentlichen bereits Bekanntes reproduziert wird. Der Beitrag folgt unkritisch der vorliegenden FPÖ-Parteigeschichtsschreibung (Herbert Kraus, Viktor Reimann, Kurt Piringer, Lothar Höbelt). Aktuellere und unabhängige Arbeiten mit neuen Forschungserkenntnissen (Margit Reiter, Bernhard Weidinger, Matthias Falter u. a.) werden nicht berücksichtigt, lediglich ein älterer Aufsatz von Reiter wird fallweise zitiert (z. T. sogar wortwörtlich übernommen), ohne jedoch die darin getroffenen Erkenntnisse einzuarbeiten. Bei den fallweise eingefügten biographischen Skizzen zu ausgewählten VdU- und FPÖ-Funktionären werden zwar NSDAP-Mitgliedschaften und NS-Funktionen angeführt, es erfolgt aber weder eine tiefer gehende Analyse ihrer konkreten Aktivitäten im NS-System noch ihrer Haltung zu Nationalsozialismus, Antisemitismus und der Shoah nach 1945. Die angekündigte quantitative Erfassung und statistische Auswertung ehemaliger NationalsozialistInnen im VdU und in der FPÖ fehlt ebenso wie eine Auswertung der Entnazifizierungs- und Volksgerichtsverfahren prominenter Repräsentanten des "Dritten Lagers".

 

Die organisationsgeschichtlichen Beiträge von Lothar Höbelt zum VdU und der FPÖ in Oberösterreich sowie zu Raab und Reinthaller sind quellenmäßig vergleichsweise fundiert, aber thematisch für die vorgegebene Fragestellung weitgehend irrelevant. Darin wird erneut die Legende von Anton Reinthaller als "gutem Nazi" reproduziert, wohingegen seine tiefe NS-Involvierung nicht näher beleuchtet wird. Vielmehr werden Entlastungsschreiben aus den 1950er-Jahren unkritisch übernommen, sein SS-Rang als vollkommen bedeutungslos abgetan und seine möglichen Verantwortlichkeiten im NS-System (z. B. im Bereich der "Arisierung" und Zwangsarbeit) nicht untersucht. Nicht thematisiert wird auch die von Reiter quellenmäßig belegte Tatsache, dass der überzeugte Nationalsozialist Reinthaller auch nach 1945 ein antisemitisches Weltbild beibehielt. Seine aktive Rolle bei der Gründung der FPÖ wird beschönigend als Beitrag zur Demokratie dargestellt und Reinthaller ohne entsprechende Belege als "bester Garant gegen eine Radikalisierung der Ehemaligen" bezeichnet. (S. 119) Dieser entlastenden Deutung schließen sich auch die Autoren des Resümees (Nemeth/Grischany) an.

 

 

Polemische Relativierungsversuche

 

Was in den Beiträgen an fundierter Analyse fehlt, soll allzu oft durch Polemik wettgemacht werden: etwa wenn Höbelt süffisant schreibt, dass es "selbstverständlich jedem frei [stünde], Reinhaller – oder Kamitz und Kery – als ‚braune Flecken‘ ihrer jeweiligen Parteien zu betrachten. Konsequenterweise müsste man dann freilich Angela Merkel als ‚dunkelroten Fleck‘ der CDU betrachten, ja den Landbündler Reinthaller als grünen, den Großdeutschen van Tongel als blauen Fleck der NSDAP". (S. 122) Derartige unwissenschaftliche und relativierende Kommentare sind typisch für die den Bericht durchziehende Strategie der Relativierung nicht abstreitbarer Tatsachen.

 

 

Vernebelungstaktik

 

Das zentrale Forschungsziel, die Vergangenheit des "Dritten Lagers" und seine Affinitäten zu Antisemitismus und Rechtsextremismus zu untersuchen, wurde nicht annähernd eingelöst. Nur ein Beitrag beschäftigt sich mit der Überbaugeschichte der schlagenden Burschenschaften seit dem 19. Jahrhundert bis 1938, einer mit dem burschenschaftlichen Liedgut und einer teilweise mit der Rolle einzelner Burschenschaftler bei Bombenattentaten gegen italienische Einrichtungen in Südtirol in den 1960er-Jahren, mit dem unreflektierten Ergebnis, dass es sich um Einzelfälle handelte, die nichts mit den konkreten Burschenschaften zu tun hatten.

 

Völlig negiert wird hingegen der aus der "völkischen" Tradition stammende und nach 1945 im Wesentlichen ungebrochene Antisemitismus und Rassismus in schlagenden Studentenverbindungen. Dieses fehlende Problembewusstsein für Fragen des Antisemitismus zieht sich prägend durch die Beiträge des vorgelegten Berichts. Anstatt die Vorreiterrolle der Burschenschaften für den rassistischen Antisemitismus herauszuarbeiten, wird behauptet, dass alle politischen Lager "mehr oder weniger" gleich antisemitisch gewesen wären.

 

Völlig ausgeklammert werden dabei die organisatorischen, personellen und ideologischen Überlappungen der FPÖ mit Exponenten und Organisationen rechtsextremer, neonazistischer sowie offen rassistischer Bewegungen der Nachkriegszeit (wie z. B. Norbert Burger, aus dessen direktem Umfeld H. C. Strache zur FPÖ kam).

 

Unhinterfragt und unterbeleuchtet bleibt die politische Sozialisation einer großen Anzahl führender PolitikerInnen der FPÖ in verschiedenen Korporationen ebenso wie die weitverzweigte Vernetzung durch gegenseitige Einladungen zu Vorträgen und Festveranstaltungen, oft auch mit amtsbekannten rechtsextremen Repräsentanten, oder die wechselseitigen Publikationen in rechtsextremen Blättern.

 

Die der vorgeblichen Kernfrage des Berichts gewidmeten Beiträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie die zu diesen Themenkreisen in den letzten fünf Jahrzehnten geführten akademischen Diskussionen fast völlig negieren. Dabei wird weder

 

a) auf die kritischen Analysen aus dem Bereich der Zeitgeschichteforschung zu den Themen NS-Kontinuitäten, Rechtsextremismus, schlagende Burschenschaften und FPÖ Bezug genommen, noch wird

 

b) eine argumentative Auseinandersetzung mit Darstellungen und Analysen zu diesem Themenkomplex von burschenschaftlichen Autoren geführt,

 

c) geschweige denn auf die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der Burschenschaften eingegangen, wie sie etwa in Deutschland vorgelegt wurde.

 

 

Fazit

 

Der vorgelegte Bericht bringt keine neuen historischen Erkenntnisse, sondern reproduziert zum großen Teil bereits bekannte Sachverhalte, er klammert die zentralen Inhalte und Fragestellungen der ideologischen Kontinuitäten von Antisemitismus und Nähe zum Rechtsextremismus aus und versucht nicht zu leugnende Fakten, wie z. B. die personellen NS-Kontinuitäten mit dem Verweis auf die übrigen Parteien zu relativieren. Nicht Leugnung, sondern Relativierung ist die neue Strategie.

 

Zwar wird im Bericht einmal eingeräumt, dass sich in der FPÖ "mehr als bei den anderen Parteien ehemalige Nationalsozialisten in Führungspositionen befanden" (S. 651), dieser unleugbare Befund wird allerdings im Vorwort mit der abschwächenden Formulierung "wahrscheinlich mehr" wieder relativiert. (S. 7) Die Kommission, die keine war, wie selbst Mitautoren bestätigen, kommt zu dem "Ergebnis", dass der VdU und die FPÖ "keine Nachfolgepartei der NSDAP" waren und nicht "die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Regimes" angestrebt hatten. Damit wird etwas dementiert, was nie behauptet wurde und aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten nach 1945 (NS-Verbotsgesetz) auch nicht möglich gewesen wäre.

 

Die jüngere FPÖ-Geschichte wird nur kursorisch gestreift, ohne Bezug auf NS-Kontinuitäten und Überlappungen mit aktuellem Rechtsextremismus, obwohl dieser Zeitraum eigentlich den Fokus der ursprünglichen Aufgabenstellung hätte bilden sollen.

 

Da die Ergebnisse der neueren Zeitgeschichteforschung kaum bzw. nicht rezipiert wurden und auch die erforderliche Transparenz der Quellen nur fallweise gegeben ist, kann insgesamt nicht von einer methodisch sowie quellenmäßig fundierten und wissenschaftlich seriösen Aufarbeitung der Parteigeschichte am aktuellen Stand der akademischen Forschung gesprochen werden.

 

 

Am Podium:
Univ.-Prof. Dr. Margit REITER, Salzburg
Dr. Gerhard BAUMGARTNER, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien
Univ.-Prof. DDr. Oliver RATHKOLB, Wien

 

 

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