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„Ihr macht jüdisches Leben in Österreich sichtbar, lebendig und selbstverständlich“

Laudatio von Isolde Vogel anlässlich der Verleihung des Leon-Zelman-Preises 2025 an die JöH

Am 15. September verlieh der Jewish Welcome Service den von der Stadt Wien gestifteten Leon-Zelman-Preis für Dialog und Verständigung 2025 an die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH). Isolde Vogel, Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscherin am DÖW, hielt bei der feierlichen Verleihung im Wiener Rathaus folgende Laudatio.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder und liebes Board der JöH!

Es ist mir eine besondere Ehre, heute die Laudatio auf die Jüdischen österreichischen Hochschüler*innen zu halten – und zugleich ist es mir eine persönliche Freude, euch als Kolleg*innen, Freund*innen und Verbündete feiern zu dürfen.

Seit ihrer Neugründung 1947 engagiert sich die JöH als Vertretung aller jüdischer Studierender in Österreich – in einem Land, das noch lange nicht bereit war, sich seiner Geschichte zu stellen und das sich selbst noch 40 weitere Jahre lang als „erstes Opfer“ der Nationalsozialisten präsentieren würde. Dass gerade in dieser Zeit eine jüdische Studierendenvertretung gegründet wurde, war ein Akt von Selbstbehauptung und Hoffnung – dass ausgerechnet die Vereinsregistrierung von 1947 noch auf Hakenkreuzpapier ausgestellt wurde, zeugt wiederum von den Zuständen des damaligen Österreich.

Die JöH hat seit jeher in verschiedenen Phasen, mal aktiver nach außen, mal bei internen Veranstaltungen bewiesen: Jüdisches Leben in Österreich ist nicht still und unsichtbar, sondern laut und pluralistisch, inklusiv, widerständig – und unangepasst in einem Land, in dem Jüdinnen und Juden für so manche nur an Gedenktagen zu existieren scheinen. Heute, bald acht Jahrzehnte nach der Neugründung, ist die JöH mehr denn je ein Ort für Austausch, Vernetzung und dabei auch eine Stimme der Vernunft, in Zeiten immer tiefer sinkender Hemmschwellen, nicht zuletzt was den Antisemitismus anbelangt.

Liebe JöH, ihr seid eine Initiative, die jüdisches Leben in Österreich sichtbar, lebendig und selbstverständlich macht. Ihr engagiert euch als Vertretung jüdischer Studierender in Österreich, aber auch international und gebt jungen Jüdinnen und Juden einen sicheren Raum, in dem sie sich entfalten können – sei es bei einem eurer Shabbes-Dinner, bei einem Purim-Fest, oder den zahlreichen anderen Veranstaltungen. Ihr habt den Noodnik wiederentdeckt und wiederbelebt, so dass in Österreich heute wieder eine jüdische Studierendenzeitung erscheint, die aktuelle, kleine und große Themen anspricht. Und ihr mischt euch ein: Ihr vertretet eure Rolle auch öffentlich und engagiert euch zivilgesellschaftlich, ob mit Demonstrationen und Mahnwachen, oder in klaren Stellungnahmen gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus und andere reaktionäre Tendenzen in Österreich.

Daher haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt – bei Workshops, Diskussionen, und vielen gemeinsamen Projekten. Aber ich kenne euch glücklicherweise nicht nur aus der Distanz meiner wissenschaftlichen Arbeit. Wir haben schon stundenlang versucht, gemeinsam antisemitische Memes zu enträtseln und über Texte für den Noodnik diskutiert, wir haben Paneldiskussionen und Filmscreenings organisiert und – nicht zuletzt – gemeinsam mit dem Filmclub Tacheles die unfassbaren BALAGAN-Partys am Universitätscampus ausgerichtet, die größte Pride-After-Party in Wien. Und neben all dem Politischen verbindet uns auch Freundschaft; und dafür bin ich persönlich besonders dankbar. Ich habe viel von euch gelernt, ich habe gesehen, mit wie viel Energie und Ernsthaftigkeit, aber auch mit Humor und Leichtigkeit ihr an die Dinge herangeht. Diese Mischung macht es so besonders, mit euch zusammenzuarbeiten.

 

Zelman-Preis 2025

Isolde Vogel bei ihrer Laudatio (Foto: PID)


Heute möchte ich noch, dem Anlass entsprechend, euer politisches Engagement hervorheben: Unermüdlich widmet ihr euch dem Kampf gegen den Antisemitismus und gegen jede menschenfeindliche Ideologie, gegen Rassismus, Antifeminismus und Rechtsextremismus. So habt ihr im letzten Jahr eine Mahnwache gegen den selbsternannten und zum Glück nur eine Fantasie gebliebenen „Volkskanzler“ Herbert Kickl organisiert, die für viel Aufregung gesorgt hat und die FPÖ aus lauter Verzweiflung dazu brachte, euch Shoah-Verharmlosung vorzuwerfen.

Eure Mahnung und euer Kampf gegen das Vergessen bedienen sich dabei nicht der verbreiteten Auffassung, dass Antisemitismus erst 1938 über Österreich hereingebrochen wäre und seit dem Ende des Nationalsozialismus 1945 der Vergangenheit angehören würde. Schon vor Jahren habt ihr die Ehrung von Karl Lueger scharf kritisiert, der als Begründer des politischen Antisemitismus in Österreich nicht nur für die Verstrickungen und Traditionen, sondern auch für mangelnde bis völlig verfehlte Erinnerungspolitik steht. Dass der Lueger-Platz im ersten Wiener Gemeindebezirk in einer Aktion symbolisch in den „Platz der gescheiterten Erinnerungskultur“ umbenannt wurde, war eine mehr als treffende Beschreibung dieser Zustände. Ihr habt absolut keine Scheu davor anzuecken, seid wachsam und lasst euch zugleich alles andere als vereinnahmen – was auch schon dazu führte, dass ausgerechnet Walter Rosenkranz sich am Internationalen Holocaust-Gedenktag selbst zum Opfer eures politischen Aktivismus erklärte. 

Seit dem 7. Oktober 2023 stellt ihr euch nochmal einem neuen Niveau antisemitischer Angriffe, die in gewisser Weise erschütternder sind als das, was wir vom rechten Rand gewohnt sind – an den Unis, an dem zentralen Ort eures Engagements, zeigt sich Judenhass heute im israelbezogenen und akademischen, vermeintlich progressiven Gewand, funktioniert dabei perfiderweise mit den gleichen Mechanismen. Von früheren Organisationspartnern und den eigenen Studienkolleg*innen so zur Projektionsfläche gemacht zu werden, ist ungeheuerlich und verlangt nach voller Solidarität mit euch.  

Ich weiß, dass all dieses Engagement nicht leicht ist. Viele eurer Veranstaltungen finden hinter dicken Stahltüren statt. Schon seit Jahren begleitet euch wie jede jüdische Organisation Sicherheitspersonal – und seit dem 7. Oktober hat sich diese Realität noch einmal dramatisch verschärft, eure Räumlichkeiten können nicht mehr beworben, öffentliche Veranstaltung nur mit massivem Sicherheitskonzept abgehalten werden. Gerade in den letzten beiden Jahren mussten daher viele eurer Veranstaltungen abgesagt werden, auch die schon genannte BALAGAN-Party, die größte jüdische Pride-Party Europas, konnte dieses Jahr nicht stattfinden.

 

Zelman-Preis 2025

Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und die Preisträger*innen von der JöH (Foto: PID)

Es sind nicht die Inhalte der Veranstaltungen – es ist allein die Tatsache, dass es jüdische Veranstaltungen sind, die sie zum Ziel antisemitischer Bedrohungen und zur Angriffsfläche machen. Das ist die Realität, in der ihr lebt und auch politisch agiert. Der sichere Raum, den ihr jungen Jüdinnen und Juden bieten möchtet, befindet sich aktuell „Zwischen Entfaltung, Bedrohung und Absagen“, wie ihr die Lebensrealität jüdischer Studierender selbst beschreibt. Und doch bleibt ihr sichtbar und lasst euch nicht zum Schweigen bringen. Aber noch viel mehr: Ihr bietet weiterhin einen Ort des Austauschs, der Entfaltung – trotz der Anfeindungen. Das ist keine Selbstverständlichkeit – es ist Ausdruck von unglaublicher Resilienz und Selbstbehauptung in Zeiten von Verrohung und Inhumanität. Ihr vertretet eine Generation junger Jüdinnen und Juden, ihr tut dies demokratisch von den jüdischen Studierenden gewählt, jedes Jahr mit neuen Gesichtern – und doch in bemerkenswerter Kontinuität und unglaublicher politischer Energie.

Uns allen hier ist es bewusst: Eigentlich sollte es nicht die Aufgabe von Jüdinnen und Juden sein, sich gegen Antisemitismus zu engagieren. Antisemitismus ist im Denken und Fühlen des Antisemiten begründet. Antisemitismus beruht auf Projektion und hat nichts mit dem Handeln oder der Haltung von Jüdinnen und Juden – oder Israel – zu tun. Der Judenhass ist ein Problem für Jüdinnen und Juden – aber dieses Problem ist nicht jüdisch. So spiegelt sich in eurer Arbeit letztendlich auch das ernüchternde Versagen einer Gesellschaft, die sich zwar öffentlich gegen Antisemitismus zu bekennen vermag, in der Realität aber weder etwas an der konkreten Bedrohungslage noch an der schleichenden autoritären Wende zu ändern weiß.

Der Kampf gegen Antisemitismus muss in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingebunden sein, die ihn hervorbringen, sie mit in die Kritik einbeziehen. Das bedeutet auch sich für die Freiheit aller Menschen und für emanzipatorische Werte einzusetzen, und Antisemitismus als eine modernefeindliche, reaktionäre, illiberale und komplexitätsreduzierende Ideologie in die Kritik zu nehmen.

Auch deshalb ist euer Einsatz nicht nur für jüdische Studierende wichtig. Ihr seid eine Stimme, die weit über die eigene Community hinausreicht. Ihr steht für eine freie Gesellschaft ein, für die Hoffnung auf eine Welt, die aufgeklärt, vielfältig und solidarisch ist. Euer Engagement richtet sich gegen Antisemitismus ebenso wie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen die Feindschaft gegen Queers und Frauen, gegen den Hass auf Minderheiten, gegen Diskriminierung und für eine Welt, in der die Menschen frei und gleich sein können.

 

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Alon Ishay von der JöH bei seinen Dankesworten (Foto: PID)

Liebe JöH, ihr seid eine emanzipatorische Stimme. Eure Kritik am Antisemitismus ist – nicht nur, aber auch aus der Perspektive der Betroffenen – unverzichtbar. Ihr seid eine wichtige politische Stimme: Ihr macht politischen Aktivismus mit einer Treffsicherheit und Pointiertheit und einer eloquenten Selbstverständlichkeit, die mich oft sprachlos und begeistert zurücklässt. Gleichzeitig wünschte ich euch und uns allen, es könnte bei euren schönen Aktivitäten bleiben, bei den Shabbes-Dinnern, bei den Balagan-Partys am Uni-Campus, bei den Purim-Feiern, bei Filmabenden, Noodnik-Lesungen und ab und an einer Preisverleihung. Ich wünschte, ihr wärt nicht mit ständigem Hass, On- und Offline, konfrontiert, mit Angriffen und abstrusen Unterstellungen an den Unis, von Ausschlüssen und Bedrohungen betroffen.

Ich möchte euch heute danken für eure Entschlossenheit, für euren differenzierten und kritischen Blick auf die Welt, für euere Selbstbehauptung und Resilienz, für das Unangepasst-bleiben, und für euren klugen, kritischen, manchmal unbequemen aber immer – ich meine das wirklich so – unersetzlichen Beitrag zur Kritik an den Zuständen dieser Welt. Liebes JöH-Board, lieber Alon, liebe Lia, lieber Manuli, liebe Milli, liebe Jenni, liebe Alisa, liebe Esther, liebe Eidel und lieber Adrian, – und alle Generationen vor euch: Vicky, Sashi, Lara, Noah, und vor allem auch Bini Guttmann und Beni Hess, die vor rund zehn Jahren die etwas eingeschlafen gewesene JöH wieder aktiviert und zu ihrer heutigen politischen Bedeutung gebracht haben. Ich danke euch allen auch persönlich von ganzem Herzen: Für euer Vertrauen, und für den Lichtblick, der ihr seid, in solch einer verrohenden, grauen, und oft kaum aushaltbaren Gesellschaft. Dafür gebührt euch dieser Preis – und dafür gebührt euch mein Dank.

Herzlichen Glückwunsch, liebe JöH, zum Leon-Zelman-Preis!

 

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