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Die Farben des Widerstands

Rede von Andreas Kranebitter anlässlich der Befreiungsfeier in Gusen am 6. Mai 2023

Andreas Kranebitter

Sehr geehrte Damen und Herren!

Widerstand, das war der Schlag ins Gesicht, den Malka Zimetbaum einem SS-Angehörigen versetzte, als sie nach einer misslungenen Flucht am Appellplatz des KZ Auschwitz gehängt werden sollte.

Widerstand war es, als der als Berufsverbrecher ins KZ Ebensee deportierte Zimmermann Hans Losskarn, der als Lagerstrafe 25 Schläge erhalten sollte, dem Lagerführer ins Gesicht sagte: „Erschießen Sie mich, Herr Lagerführer, aber schlagen lasse ich mich nicht.“

Widerstand leistete der mehrfach vorbestrafte Schriftsetzer Rudolf Vacek, von August 1938 an im KZ Mauthausen inhaftiert, als er sieben Jahre lang ablehnte, Kapo zu werden.

Widerstand übten polnische Jüdinnen und Juden in Sobibór, als sie am Weg in ihren Tod auf der zynisch so genannten „Himmelfahrtsstraße“ ihre Geldscheine zerrissen. „Nackt und machtlos, wie sie waren“, erinnerte sich Toivi Blatt, einer der wenigen Überlebenden des Aufstands von Sobibor, „hatten sie systematisch das wenige, was ihnen am Ende blieb, zerstört, damit es den Deutschen nicht in die Hände fiel.“

Widerstand leistete der Schlosser Georg Binder, „krimineller“ Kapo der Waffenkammer des KZ Mauthausen, als er die gefürchtete Dogge des Schutzhaftlagerführers Bachmayer mit Blausäure vergiftete und spanischen Häftlingen Pistolen und Handgranaten übergab.

Widerstand war es, als das französische Resistance-Mitglied Jean Cayrol versteckt unter dem Tisch einer Produktionshalle zwischen Februar 1944 und April 1945 im KZ Gusen Gedichte verfasste, die er zur Stärkung der Moral nachts seinen Mitgefangenen vorlas.

Der Widerstand in den Konzentrations- und Vernichtungslagern hatte zahllose Formen und Farben. Nach allem, was wir wissen, war er nicht vorhersehbar: er war im Prinzip keine Frage der politischen Einstellung, der Winkelfarbe oder des Alters, der sexuellen Orientierung oder der Nationalität, sondern eine zarte Pflanze, die nur in manchen Situationen blühen konnte.

Einige der geschilderten Aktionen erkennen wir bedingungslos als Widerstand an, bei anderen zögern wir. Warum?

Wir scheuen uns, zumal in Ländern wie Deutschland oder Österreich, den Widerstandsbegriff allzu weit zu öffnen – weil wir Angst haben vor einer inflationären Verwendung, die den Blick auf die Täterschaft verstellt. Wir können es nicht so darstellen, wie Wolfgang Benz schreibt, dass „jeder, der dem NS-Regime nicht ständig Beifall spendete, schon Widerstand geleistet hätte.“ Wir müssen auch allzu einfache Identifikationsangebote vermeiden.

Das ist verständlich, erklärt aber alleine noch nicht unsere Zögerlichkeit.

Wir messen Widerstand an Effizienz. Erfolgreiche symbolische Akte erkennen wir problemlos als Widerstand an. Erfolglosen, hilflosen, symbolisch gering aufgeladenen Aktionen verweigern wir meist dieses Prädikat. Militärische, weithin sichtbare, aktive, als männlich wahrgenommene Akte des Widerstands lassen sich gut erzählen und werden gerne gehört. Verborgene, passive, als weiblich wahrgenommene Formen der Verweigerung klammern wir aus den Erzählungen oft aus, erklären wir allemal zu Vorformen eines „echten“ Widerstandes.

Mehr noch: Wir scheuen uns, „unreinen“ Widerstand als solchen anzuerkennen. Aber was macht ihn „unrein“? Sind es die falschen Motive, die falschen Methoden, die falschen Haftkategorien, die den Handelnden im KZ anhafteten?

In Österreich führte das lange zu einem engen Widerstandsbegriff, der mit einem verengten Opferbegriff einherging: Opfer war in Österreich gesetzlich nach der Befreiung nur, wer „mit der Waffe in der Hand für ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewußtes Österreich“ eingetreten war. Aus dieser Definition wurden zahllose NS-Opfer jahrzehntelang ausgeschlossen. Dutzende Novellierungen des Opferfürsorgegesetzes waren notwendig, bis Gruppe um Gruppe doch endlich anerkannt wurde.

Heute noch schließt dieses Gesetz aber jene von der Anerkennung aus, die zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens mit dem Strafgesetz in Berührung gekommen waren. Dass das österreichische Opferfürsorgegesetz im Jahre 2023 aber überhaupt noch irgendjemanden symbolisch aus dem Opferbegriff ausschließt, ist nichts weniger als ein erinnerungspolitischer Skandal.

Wir müssen einen verengten Opferbegriff ebenso erweitern wie einen verengten Widerstandsbegriff.

Wir müssen versteckte Formen des Widerstandes erkennen können und sichtbar machen – das Sich-Entziehen, das Verweigern. Wir müssen Formen des Widerstandes, die als weich, die als erfolglos, die als unrein diffamiert werden, in die Geschichtsschreibung zum Widerstand einschreiben. Die Erinnerung an den großen Widerstand verstellt oft den Blick auf den Widerstand im Kleinen – die Fokussierung auf den kleinen macht den großen Widerstand aber nicht unsichtbar. Im Gegenteil: sie erlaubt die Einordnung, die Perspektive, erst recht die Würdigung großer Taten, etwa die Gründung der Widerstandskomitees vor der Befreiung der KZ.

Wir müssen in Forschung und Gedenken künftig dort hinsehen, wo das eigensinnige, widersprüchliche, zuweilen unverständliche Verhalten der Deportierten nicht immer zum Hinsehen verleitet.

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ist diesem engen, staatlichen Begriff von Widerstand und Opferschaft nie gefolgt, hat diese Begriffe immer zu erweitern versucht und wird das auch in Zukunft tun. Unsere Aufgabe ist es, zu dokumentieren, zu rekonstruieren, zu unterscheiden. Unsere Aufgabe ist es nicht, unbequeme Formen des Widerstands aus einem Widerstandsbegriff auszuschließen.

Das Gift der Erinnerung ist die Opferkonkurrenz. So wenig wie der Blick auf den kleinen Widerstand die Würdigung des großen Widerstandes verhindert, so wenig steht ein Gedenken in Gusen einem Gedenken in Mauthausen entgegen, ein Gedenken in Maly Trostinec einem Gedenken in Auschwitz-Birkenau oder ein Gedenken an die als „Berufsverbrecher“ Verunglimpften einem Gedenken an politisch und rassistisch Verfolgte der Lager.

Opferkonkurrenz entsteht in Zeiten gesellschaftlichen Gegenwinds gegen progressive Kräfte. Jahrzehntelang hatten die Überlebenden und ihre Organisationen in Österreich und Deutschland mit den Resten nationalsozialistischer Ideologien und Strukturen zu kämpfen. In der Defensive, mussten wir verteidigen, wofür uns Rechtsextreme mit allen Mitteln attackierten. In der Defensive war oft kein Platz für schwierige Themen.

Es werden – und dafür braucht es keine Glaskugel – wieder harte Zeiten auf uns zukommen. Ein erstarkender Rechtsextremismus wird uns wieder in die Defensive zu drängen versuchen. Umso notwendiger ist es, dem kommenden Gegenwind nicht abwartend, defensiv, vorsichtig oder feig zu begegnen, sondern offensiv entgegenzutreten und zu sagen, was ist. Zum Beispiel, dass niemand zu Recht im KZ war. Die Antwort auf die radikale Exklusion von Menschen, für die die Konzentrationslager stehen, ist die radikale Inklusion, mit der wir aller Opfer der Konzentrationslager gedenken sollten, gemeinsam gedenken sollten.

In diesem Sinne: Gehen wir das gemeinsam an.

Vielen Dank!

 

 

 

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