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Corona-Pandemie und NS-Verharmlosung

Stellungnahme des DÖW zur Problematik historischer Vergleiche

 

Grundsätzliches

 

1.

Verharmlosung der NS-Verbrechen kann auf unterschiedliche Weisen geschehen: durch das direkte Herunterspielen der historischen Ereignisse ebenso wie durch eine übertriebene, verfälschende Darstellung aktueller Ereignisse in Form von Vergleichen oder der Gleichsetzung mit dem damals Geschehenen.

Die letztgenannte Form der Verharmlosung durch Gleichsetzung bzw. relativierende Vergleiche wird seltener als solche erkannt – oft nicht einmal von den handelnden Personen selbst.

 

 

2.

NS-Verharmlosung ist ein objektiver Tatbestand. Sie kann absichtsvoll unternommen werden – etwa von Neonazis, die damit den Nationalsozialismus als politisches Projekt rehabilitieren wollen. Sie kann aber auch gleichsam "passieren", wenn Menschen mit den historischen Ereignissen zu wenig vertraut sind und/oder aktuelle Ereignisse monströs überzeichnet wahrnehmen, z. B. aufgrund von falschen Behauptungen, die von sogenannten "Alternativmedien" oder politischen Akteuren gezielt verbreitet werden. Verharmlosung kann dementsprechend in guter oder böser Absicht erfolgen. In jedem Fall beschädigt sie das Andenken an die Opfer und entlastet die Täter.

 

 

3.

Als objektiver Tatbestand ist NS-Verharmlosung nicht an biographische Voraussetzungen gebunden. Wie unterschiedlich die Motive und Erfahrungen der Sprechenden auch sein mögen: ob Aussagen den historischen Fakten und der gegenwärtigen Realität entsprechen, ist keine Frage der Familiengeschichte. Dementsprechend immunisieren auch familiäre Verfolgungserfahrungen nicht dagegen, NS-Verbrechen zu verharmlosen – und kann Herkunft niemals eine Rechtfertigung für NS-Relativierung sein.

 

 

NS-verharmlosende Bezüge in Zeiten der Pandemie

 

4.

Aktuell dient der Umstand, dass zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie einzelne Maßnahmen ergriffen werden, die in vermeintlich ähnlicher Form auch vom NS-Regime verhängt wurden – wie z. B. Ausgangssperren oder Eintrittskontrollen –, manchen "MaßnahmenkritikerInnen" als Beleg dafür, dass "die Geschichte" sich wiederhole. Dabei wird meist explizit auf die Verfolgung von Jüdinnen und Juden, also auf die Shoah, Bezug genommen.

Solche Parallelisierungen blenden freilich eklatante Unterschiede aus hinsichtlich

  • der Ursachen für die Maßnahmen,
  • der Motive der handelnden AkteurInnen,
  • der Zielgruppenbestimmung,
  • der Art der Maßnahmen sowie ihres Ausmaßes sowie vor allem:
  • ihrer Konsequenzen für die Betroffenen.

 

Diese Ausblendungen verleihen der Parallelisierung ihren verharmlosenden Charakter, völlig unabhängig von der Biographie oder den Intentionen der sprechenden Personen.

 

 

5.

Bekanntlich bestand die erklärte Absicht der Nationalsozialisten in der völligen gesellschaftlichen Isolation und schließlich physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, also in der Ermordung von Millionen Menschen.

Nur ein Unterfangen, das einem ähnlich monströsen Zweck dient, könnte einen NS-Vergleich rechtfertigen, der nicht verharmlosend wäre.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie mag die Eignung oder Notwendigkeit konkreter Maßnahmen Gegenstand von Diskussionen sein. Wer allerdings in den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie – und damit zur Bewahrung von Gesundheit und Leben – ein Vernichtungswerk im Gange sieht, wandelt tief im Feld der Verschwörungsphantasien.

 

 

6.

Bekanntlich wurden Menschen den antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes unterworfen, weil sie – nach den Kriterien des Regimes – Juden waren. Ihr Schicksal hatte nichts mit ihren persönlichen Entscheidungen (etwa für oder gegen eine Impfung) zu tun. Den Opfern war es nicht möglich, sich der Verfolgung zu entziehen.

Gesundheitspolitische Maßnahmen wie Eintrittstests stellen keine Verfolgung dar.

 

 

7.

Bekanntlich begründeten die Nationalsozialisten ihre Verfolgungspolitik mit pseudowissenschaftlich unterfütterten, rassistischen und antisemitischen Wahnideen. Maßnahmen wie eine Masken-Tragepflicht in Innenräumen oder die Covid-19-Impfung stützen sich auf das Gegenteil davon: einen breiten Konsens der internationalen Wissenschaftsgemeinde hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit zur Eindämmung der Pandemie.

 

 

8.

Bekanntlich verhängten die Nationalsozialisten keine Testpflicht oder temporären Lockdowns, sondern demütigten, misshandelten, beraubten und folterten ihre Opfer, bevor sie diese in Lagern internierten, wo sie verhungerten, an Seuchen starben, durch Zwangsarbeit zu Tode gebracht oder industriell ermordet wurden.

 

 

Die Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern, Regierungshandeln kritisch zu beobachten und zu kommentieren, ist für Demokratien lebenswichtig. Es gibt unzählige legitime Möglichkeiten, solche Kritik zu artikulieren. Die Verharmlosung der NS-Verbrechen zählt nicht dazu – am wenigsten in eben jenen Ländern, in denen diese Verbrechen ersonnen und verübt wurden.

 

 

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