logo
logo

Auf der Suche nach Scheinehen in der NS-Zeit

Irene Messinger

Die Politikwissenschaftlerin Irene Messinger informiert über ihr Projekt "Scheinehen in der NS-Zeit".

Irene Messinger lehrt an der Universität Wien und der Fachhochschule für Sozialarbeit zu den Themen Flucht und Migration, Migrationspolitik und -forschung sowie Sozialstaat und soziale Ungleichheit.

 

 

Das Forschungsprojekt Scheinehen in der NS-Zeit beschäftigt sich mit dem Phänomen Scheinehe als weibliche Flucht- und Überlebensstrategie im Zeitraum 1933 bis 1945. Frauen erhielten damals durch die Eheschließung fast überall automatisch die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes. Durch Eheschließungen mit Ausländern konnten sich verfolgte Frauen in Exilländer retten oder waren durch die fremde Staatsangehörigkeit geschützt. Manche Ehen wurden nur pro forma auf dem Papier aus Solidarität und/oder gegen Bezahlung geschlossen und als Scheinehen bezeichnet.

 

Eine Scheinehe war jedoch immer mit Risiken behaftet, denn es konnte auch bedeuten, in Abhängigkeit vom Ehemann und in ständiger Angst vor Verrat, Erpressung und sexueller Gewalt leben zu müssen. Nicht alle Frauen konnten oder wollten über ihre Scheinehe sprechen und verheimlichten sie, sei es aus Scham oder Furcht vor rechtlichen Konsequenzen. Andere hingegen waren stolz auf ihre Überlebensstrategie und erzählten offen darüber. Doch selbst Letztere sind schwer zu finden: Die Interviews mit ZeitzeugInnen sind in den zahlreichen Online-Archiven zwar beschlagwortet, doch ist "Scheinehe" nicht als Suchbegriff etabliert. In Kurzbiographien werden Scheinehen selten erwähnt.

 

Durch meine Recherchen in Fachliteratur, (Auto-)biographien und Interviews sowie durch Hinweise von KollegInnen, bei Konferenzen und im DÖW konnte ich bislang über siebzig Scheinehen zusammentragen. Bei den bisherigen Fällen handelte es sich mehrheitlich um als "jüdisch" definierte Frauen aus der Mittel- und Oberschicht mit internationalen Kontakten. Es wurde in zahlreiche Länder Europas, aber auch in die USA, Palästina und Ägypten geheiratet. Die Vermittlung von Scheinehen lief meist über politische oder religöse Kontakte sowie im persönlichen Umfeld, der Ehemann war daher oft aus den entsprechenden Netzwerken. Nur in wenigen Fällen wird davon berichtet, dass die Ehe gegen Bezahlung eingegangen wurde. Ein weiteres Tabu sind die intimen Arrangements innerhalb einer Scheinehe, denn in manchen Fällen musste das Paar zusammenleben, um nach außen ein Eheleben vorzutäuschen.

 

Der Fokus meiner aktuellen Recherche liegt auf den Lebensgeschichten von Frauen, die von sich aus in irgendeiner Form hinterlassen haben, dass es sich bei ihrer Ehe um eine Scheinehe gehandelt hat, sei es in Memoiren, Briefen oder Erzählungen. Mittels Biographieforschung gehe ich den mir bekannten Fällen - sowie weiteren noch zu entdeckenden - Scheinehen nach. Daher haben Hinweise auf autobiograpisches Material und Erzählungen von Nachkommen oder aus dem persönlichen Umfeld besonders große Bedeutung für meine Forschung. Das Forschungsprojekt will jene Frauen als aktive Akteurinnen sichtbar machen, die ihre sozialen und politischen Netzwerke zu nutzen verstanden, um eine Scheinehe zu organisieren.

 

 

Wissen Sie aus Ihrer Familie, Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis oder aus der wissenschaftlichen Forschung von einer solchen Geschichte? In diesem Fall bittet Irene Messinger um Ihre Mitarbeit. Auf Wunsch werden die Informationen selbstverständlich vertraulich behandelt.

 

Kontakt: Dr. Irene Messinger | irene.messinger@univie.ac.at | scheinehe-exil.at

 

 

<< Neues

 

Unterstützt von: