logo
logo

Brief von Dr. Helmut Wintersberger an Prof. Dr. Erhard Hartung

Neues von ganz rechts - September 2002

Wien, 20. 8. 2002

Sehr geehrter Herr Prof. Hartung!

Ich danke für die Zusendung der Dokumentation "Südtiroler Freiheitskampf" (Der Tiroler, Ausgabe 48/2002) und nehme gleich vorweg, dass diese bei mir widersprüchliche Assoziationen und Emotionen ausgelöst hat. Einerseits werden Erinnerungen an viele Freunde wachgerufen, andererseits bin ich bestürzt, dass die Dokumentation dem Inhalt und dem Stil nach in keiner Weise den im Verlauf der letzten 40 Jahre eingetretenen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Südtirol selbst, aber auch der Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Italien und der Vertiefung der europäischen Integration Rechnung trägt. Ich werde mein Unbehagen nur exemplarisch an einigen in der Broschüre explizit oder implizit enthaltenen Aussagen und Thesen im folgenden konkretisieren:

"Südtiroler Freiheitskampf - Es musste sein!" ist der Titel des Hefts; oder mit anderen Worten "Die politischen Mittel waren ausgeschöpft; Gewaltanwendung war notwendig". Auch wenn diese Behauptung immer öfter wiederholt wird, ist das noch lange kein Beweis. Mit Sicherheit hatte auch die damalige politische Führung in Südtirol Fehler gemacht. Ihre Politik war in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg zu sehr auf den ländlichen Raum und die bäuerliche Bevölkerung beschränkt; der Strukturwandel wurde vernachlässigt. (Wenn ich mich richtig erinnere, hat Claus Gatterer bei einer Veranstaltung der Sozialistischen Studenten in Wien in den späten 60-er Jahren eine ähnliche These vertreten.) Auch die damalige Berührungsangst der SVP mit der italienischen Linken, welche erst vom gegenwärtigen Landeshauptmann Durnwalder durchbrochen wurde, war meines Erachtens ein gravierender politischer Fehler.

"Freiheitskampf - nicht Terror" (so der Titel eines Abschnitts der Dokumentation). Meines Erachtens ein weitgehend überflüssiger Streit um Worte (auch wenn der Versuch unternommen wird, die beiden Begriffe zu definieren). Die Entscheidung darüber ist letztlich immer rein ideologischer Natur. Daraus folgt zumeist in banaler Weise die Unterscheidung in Freiheitskämpfer (das sind die eigenen Leute) und Terroristen (das sind die auf der Seite des Gegners). Natürlich war es objektiv Terror, was ja nicht heißt, dass Terrorakte losgelöst von ihren Umständen und Auswirkungen völlig identisch zu beurteilen sind. Eine weitere Frage ist die der subjektiven Verantwortung auf individueller und kollektiver Ebene.

"Ohne Gewaltanwendung hätte es keine Lösung des Südtirolproblems gegeben." Auch dies eine oft wiederholte, jedoch unbewiesene und letztlich auch unbeweisbare Behauptung. Ich habe in einem Interview, das Frau Rottensteiner während ihres Studiums in Wien für die zweisprachige Bozner Zeitschrift "bz" mit mir gemacht hat, sinngemäß ausgeführt, dass der Terror im Allgemeinen kaum jemals Probleme gelöst, jedoch viele geschaffen hat. Dass es in Südtirol nicht so schlimm gekommen ist, mag zwar auch der relativen Besonnenheit einzelner führender BAS-Leute (wie Kerschbaumer) zuzuschreiben gewesen sein, das große Verdienst liegt jedoch bei den Politikern (auf Südtiroler Seite insbesondere bei Magnago), denen die Initiierung und Vollendung eines Dialogs gelungen ist, der schließlich der Südtiroler Bevölkerung Frieden und Wohlstand gebracht hat.

Auch meine ich, dass in der Dokumentation manches vereinnahmt wird, was eigentlich nicht hineingehört. Der meines Erachtens gelungene Versuch Mitterers, die Person Kerschbaumers als Teil der Südtiroler Geschichte in einer TV-Serie auch in seiner konstruktiven Seite zu zeigen und damit für Leute verständlich zu machen, die sich mit den Zielen des "Südtiroler Freiheitskampfs" nicht identifizieren konnten (wie zum Beispiel die in Südtirol lebenden Italiener), wird falsch instrumentalisiert.

Ich war selbst in die damaligen Ereignisse involviert und habe diesen Abschnitt immer als integralen Bestandteil meines Lebens begriffen. Dies gilt aber auch für die Zeit danach: die Gefängnisjahre in Rom, welche für mich nicht nur düstere Erinnerungen hervorrufen, sondern auch eine Möglichkeit zur vertieften Auseinandersetzung mit der italienischen Kultur, Gesellschaft und Politik bedeuteten, sowie die Jahrzehnte seither, die von zahlreichen touristischen und beruflichen Aufenthalten in Italien (darunter mehrere Gastprofessuren an italienischen Universitäten) geprägt waren.

Ich gestehe jedem und jeder zu, die Dinge anders zu sehen als ich dies tue. Allerdings meine ich, dass die vorliegende Dokumentation in Inhalt und Stil der gedeihlichen Entwicklung Südtirols nicht nützlich, letztlich aber auch einer sachlichen historischen Verarbeitung dieses Kapitels der Südtiroler Geschichte abträglich ist. Insgesamt bin ich jedoch zuversichtlich, dass eine solche Aufarbeitung aus einer Position des notwendigen historischen Abstands in nicht allzu ferner Zukunft gelingen wird, in welcher auch die in Attentate direkt oder indirekt involvierten Südtiroler, welche - im Vergleich mit involvierten Österreichern und Deutschen - die härtesten Folgen (Tod, Gefängnis, Exil, Verlust der Existenz) zu tragen hatten, einen angemessenen Platz finden werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Helmut Wintersberger

 

 

« zurück

 

Unterstützt von: