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April 1945: Massaker im Zuchthaus Stein

"[...] bedeckten viele zerfetzte Leichen den Hof und was Lebenszeichen von sich gab, wurde erbarmungslos niedergeschossen [...] Aus allen Schlupfwinkeln wurden sie [die Häftlinge] hervorgezerrt und sofort niedergemacht, oder zu Gruppen [...] rückwärts in den sogenannten Wäschereihof gebracht und dort niedergemäht. Inzwischen wurden Häftlinge, die sich schon in Freiheit und auf dem Heimweg befunden hatten, die aber aufgegriffen worden waren, in die Strafanstalt zurückgebracht und im Ökonomiehof zu Gruppen von 30 bis 40 Mann zusammengestellt, [...] nach rückwärts in den Wäschereihof getrieben und gleichfalls niedergemacht. Andere SS-Männer ließen sich Zellen aufsperren und holten noch darin befindliche Häftlinge heraus, sobald sie aus dem Überbelag der Zellen den Eindruck gewannen, daß sich die Häftlinge aus dem Hof hieher geflüchtet hatten, führten sie gleichfalls in den Hof und schossen sie nieder. Ja selbst aus dem Anstaltsspital wurden alle Häftlinge erschossen, die über die vorhandene Bettenanzahl hinaus darin vorgefunden wurden. [...]"

Aus: Urteil des LG Wien als Volksgericht gegen Leo Pilz u. a., 30. 8. 1946

 

 

Gegen Kriegsende setzten Massenerschießungen und Zerstörungen auch auf deutschem Reichsgebiet ein, oft ausgelöst durch lokale NS-Funktionäre. Eine angebliche "Revolte der Häftlinge" im Zuchthaus Stein - in Wirklichkeit deren Freilassung durch die Anstaltsleitung - nahmen SS-, Volkssturm- und Wehrmachtangehörige am 6. April 1945 als Vorwand, mehr als 200 Häftlinge in der Strafanstalt zu ermorden; weitere Dutzende Häftlinge wurden am 6. und 7. April im Stadtgebiet von Krems a. d. Donau und in der Umgebung erschossen. Unter den Ermordeten befanden sich politische wie kriminelle, inländische wie ausländische Häftlinge (darunter besonders viele Griechen). Noch am 6. April wurden der Anstaltsleiter Franz Kodré, der die Freilassung der Häftlinge beschlossen hatte, sowie Verwaltungsinspektor Johann Lang und die Justizbeamten Johann Bölz und Heinrich Laßky (auch: Lasky, Lahsky, Lassky) ohne Verfahren hingerichtet; Verwaltungssekretär Johann Kwis wurde angeblich versehentlich erschossen.

 

Die Gesamtzahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt. Die auf dem Gedenkstein auf dem Friedhof Stein angegebene Anzahl von 386 Opfern umfasst wahrscheinlich die am 6. und 7. April in Stein und Umgebung erschossenen Häftlinge und die fünf erschossenen Beamten sowie möglicherweise auch 44 am 15. April 1945 im Zuchthaus Stein erschossene Gefangene des LG Wien.

 

Gedenkstein 

Friedhof Stein: Erinnerungszeichen für die im Zuge des "Steiner Massakers" ermordeten Häftlinge und Angehörigen des Justizpersonals
Foto: Peter Mähner

 

Als Verantwortliche für das Massaker wurden am 30. August 1946 der Kremser Volkssturmkommandant Leo Pilz sowie vier nationalsozialistische Beamte des Zuchthauses Stein - Alois Baumgartner, Anton Pomassl, Franz Heinisch und Eduard Ambrosch - zum Tode verurteilt und im Februar bzw. März 1947 hingerichtet. Das Urteil enthält eine ausführliche Schilderung des Tathergangs und stellt die wichtigste historische Quelle für die Ereignisse des 6. April 1945 dar. Das einzige existierende Exemplar des Urteiles ist im Laufe der Jahre allerdings schwer beschädigt worden. Im Rahmen des DÖW-Projekts Die Verfahren vor dem Volksgericht Wien (1945-1955) als Geschichtsquelle erarbeiteten Winfried R. Garscha und Claudia Kuretsidis-Haider (beide DÖW) in den 1990er-Jahren eine wissenschaftliche Edition des Urteils, wobei versucht wurde, fehlende Textteile zu rekonstruieren.

 

 

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