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Nicht nur ein Nazijäger

Wolfgang Neugebauer

Simon Wiesenthals umfassende Leistungen wurden seit seinem Tod von vielen Seiten gewürdigt. Hier soll ein zentraler Aspekt seines Wirkens beleuchtet werden: die Verfolgung der NS-Täter und Österreichs Verhalten in dieser Frage. Schon die Tatsache, dass eine private Person sich dieser staatlichen Aufgabe annehmen musste, weist auf die Versäumnisse von Politik, Justiz und Polizei bei der Verfolgung der NS-Verbrecher hin. Nach einer kurzen Periode konsequenter Strafverfolgung unmittelbar nach 1945 gingen die Bemühungen Österreichs zur justiziellen Ahndung der NS-Verbrechen drastisch zurück; Verfahren wurden eingestellt oder gar nicht mehr aufgenommen, Urteile aufgehoben, Verurteilte amnestiert, schwer Belastete in skandalösen Prozessen freigesprochen. ÖVP und SPÖ buhlten um die Stimmen der ehemaligen Nationalsozialisten, versuchten diese für ihre Parteien zu gewinnen und verhalfen nicht nur einfachen Nationalsozialisten und Mitläufern, sondern auch Tätern zu Karrieren. Der Fall des von der SPÖ und dem Bund sozialdemokratischer Akademiker geförderten Euthanasiearztes Heinrich Gross steht paradigmatisch für diese bis in die achtziger Jahre andauernde Entwicklung.

 

Simon Wiesenthal war sich stets bewusst, dass er gegen einen politisch-gesellschaftlichen Mainstream anzukämpfen hatte. Motivation und Kraft schöpfte er aus seinen Erfahrungen in zwölf deutschen Konzentrationslagern. Sein daraus resultierendes unermüdliches Eintreten für Gerechtigkeit hieß konkret: Suche nach flüchtigen NS-Tätern, Recherchen, Sammlung von Informationen, Einwirken auf Staatsanwälte und zuständige Politiker, um Gerichtsverfahren in Gang zu bringen. Das von Wiesenthal aufgebaute Dokumentationszentrum war zwar eine kleine, mit bescheidenen Mitteln arbeitende Organisation, zeichnete sich aber durch hohe Effizienz aus. Seine Stärke bestand in der Persönlichkeit Simon Wiesenthals, in seinem Wissen und seinen Fähigkeiten, insbesondere in seinem präzisen Gedächtnis. Die Ergebnisse von Wiesenthals Wirken sind bekannt: Mehr als 1.000 NS-Verbrecher wurden unter seiner Mitwirkung vor Gericht gestellt, vor allem in der damaligen BRD. Unter anderem er leistete einen Beitrag zur Ausforschung von Adolf Eichmann, dem Organisator der "Endlösung der Judenfrage". Diese heute weltweit gerühmte Arbeit fand in Österreich nicht nur keine Anerkennung, sondern wurde sabotiert. Wiesenthal wurde kritisiert, diffamiert und attackiert - bis hin zu einem Bombenattentat von Rechtsextremisten 1982.

 

Wiesenthal war der Erste, der die Frage der österreichischen Mittäterschaft aufrollte. 1966 hatte er in einem Memorandum an die Bundesregierung zahlreiche österreichische Täter angeführt und auf den überproportionalen Anteil der Österreicher beim Holocaust hingewiesen. Während in der BRD nach dem Eichmann-Prozess 1960 die Strafverfolgung der NS-Täter durch die Schaffung der "Zentralstelle" in Ludwigsburg intensiviert wurde und Wiesenthals Recherchen in viele Ermittlungsverfahren und Prozesse einflossen, wurde in Österreich unter dem langjährigen Justizminister Christian Broda (SPÖ) Mitte der siebziger Jahre die Strafverfolgung de facto eingestellt.

 

Die Entlarvung von vier Ministern der SPÖ-Alleinregierung als ehemalige Nationalsozialisten brachte Wiesenthal einen langen Konflikt mit Bundeskanzler Bruno Kreisky und der SPÖ ein. Höhepunkt war die Auseinandersetzung um den FPÖ-Obmann Friedrich Peter 1975, den Wiesenthal als Angehörigen einer SS-Mordeinheit outete und der von Kreisky vehement verteidigt wurde. Die von Wiesenthal vorgelegten belastenden Dokumente waren keine Fälschungen östlicher Geheimdienste, wohl aber beruhten die diffamierenden Aussagen Kreiskys über Wiesenthals NS-Kollaboration auf solchen lancierten Verleumdungen. Mit der von den damaligen SPÖ-Spitzenfunktionären Leopold Gratz und Heinz Fischer ins Spiel gebrachten Androhung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses sollte der unbequeme Mahner mundtot gemacht werden. (Es zeugt von der menschlichen Größe des nunmehrigen Bundespräsidenten, dass er sein damaliges Verhalten später bedauerte.)

 

In den achtziger Jahren begann sich das politische Klima Österreichs zu ändern. Durch die Waldheim-Diskussion, unter dem Einfluss literarischer Werke von Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und anderen Autoren, durch zeitgeschichtliche Forschungen und mediale Aufbereitung wurde die Mitverantwortung der ÖsterreicherInnen für den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen allmählich akzeptiert. Sichtbaren Ausdruck fand diese geänderte Einstellung in der Erklärung von SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky 1991 über die Mittäterschaft der ÖsterreicherInnen, in der Schaffung des Nationalfonds und in der Zwangsarbeiter- und der "Arisierungs"-Entschädigung. Nun wurde Simon Wiesenthal auch in Österreich zu einer allseits geachteten Persönlichkeit, zu einer moralischen Instanz, zu einer unantastbaren Institution.

 

Es ergäbe ein eindimensionales Bild, wenn man Wiesenthal auf die Rolle des "Nazijägers" reduzierte. Er kämpfte gegen Antisemitismus und Rassismus und leistete einen wichtigen Beitrag zur zeitgeschichtlichen Aufklärung der jungen Generationen. Vor allem ging es ihm um die Durchsetzung von Gerechtigkeit und Menschenrechten in der ganzen Welt. Die Schaffung internationaler Strafgerichte gegen Politverbrecher - fast 50 Jahre nach den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio - hängt auch mit Wiesenthals lebenslangem Wirken zusammen.

 

 

Der Text ist eine leicht gekürzte Version eines Beitrags von Wolfgang Neugebauer, der im Falter, Nr. 39/2005, erschienen ist.

 

 

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