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Otto Horn: "Wiener Mischlingsliga"

Otto Horn, geb. 1923 in Wien, Bauabrechner. Nach den "Nürnberger Gesetzen" "Mischling 1. Grades". Betätigung für die Widerstandsorganisationen "Sonderabteilung NN" und "Wiener Mischlingsliga", die Verfolgte nach den "Nürnberger Gesetzen" zusammenfasste. Festnahme Ende Februar 1944, am 21. September 1944 vom Volksgerichtshof wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. Bis 6. April 1945 in Haft.

Nach der Befreiung 1945 Rückkehr nach Wien. Journalist und Schriftsteller.

Verstorben 1991.

 

 

Zuerst war ich in einer katholischen Widerstandsbewegung. Wir haben uns in der Nacht mit der HJ [Hitler-Jugend] geprügelt, haben denen die Uniformen ausgezogen etc. Wir haben noch keine großen Widerstandshandlungen durchgeführt. Interessant war der 8. Oktober 1938, als Kardinal Innitzer, der ja mit "Heil Hitler" den "Führer" begrüßt hatte, sich vor uns, den jungen Katholiken Wiens, entschuldigte und sagte, dass sich auch ein Bischof irren könne. Daraufhin gab es eine große Kundgebung der jungen Katholiken – ungefähr 4000 waren auf dem Stephansplatz - während der Nacht. Als Antwort darauf hat die HJ das Erzbischöfliche Palais gestürmt und einen Prälaten aus dem Fenster geworfen. Gauleiter Bürckel organisierte eine Demonstration mit dem Ruf "Pfaffen an den Galgen". Das war die erste Etappe meines Widerstands, die etwa bis 1941 dauerte, dann sind alle meine Freunde aus der Katholischen Jugend zur Wehrmacht eingezogen worden. Ich wurde nicht eingezogen, denn ich gehörte zum ersten Jahrgang von Wehrpflichtigen, bei dem man "Mischlinge 1. Grades" nicht mehr zur Deutschen Wehrmacht einzog. [...]

 

Durch Zufall wurde ich in dem Rüstungsbetrieb, in dem ich als Techniker arbeitete, mit einem Kollegen konfrontiert, der Otto Ernst Andreasch hieß und Funktionär des illegalen Kommunistischen Jugendverbandes war. Er war zum Zeitpunkt unseres Bekanntwerdens wegen "Hochverrats" bereits einmal verhaftet gewesen, war aber mangels an Beweisen freigelassen worden. Er erzählte mir, dass er vom Zentralkomitee [der illegalen KPÖ] den Auftrag hatte, vor allem junge österreichische Bürger, die von den "Nürnberger Gesetzen" betroffen waren, in einer eigenen Organisation zu sammeln. Er hatte schon vor seiner Verhaftung eine solche Gruppe aufgebaut, die aber natürlich in der Zwischenzeit zum Großteil verloren gegangen war. Nun baute ich mit ihm zusammen ab 1941 wieder eine solche Organisation auf, die wir "Sonderabteilung NN" nannten. NN bedeutete "nach Nürnberger Gesetz". Diese Organisation umfasste immer ungefähr 200 bis 250 Mitglieder. Ich sage immer, weil ein sehr großer Wechsel der Mitglieder stattfand, denn damals begannen schon die Deportationen, und die Juden wurden nach einem festen Plan mit Zügen in die Vernichtungslager bzw. in die Ghettos transportiert. Auch die meisten unserer Mitglieder wurden deportiert. Wir konnten nichts anderes tun, als ihren Widerstandsgeist zu stärken, und wir haben später gehört, dass einige auch Widerstand leisteten. [...]

 

Wir wussten, dass es Vernichtungslager gab, in denen die Leute selektiert und ins Gas getrieben werden. Ich meine, das war damals sicher nicht jedem Österreicher bekannt, und ich bin überzeugt, dass jene Leute, die sagen, sie hätten nichts gewusst, nicht lügen. Aber dass man gar nichts davon gemerkt oder geahnt hätte, das glaube ich nicht. [...]

 

Jeder hat trotzdem gehofft. Es war ein Wettlauf mit dem Tod, jeder hat gehofft, dass Hitler den Krieg verliert, noch bevor er alle Juden vernichten kann. Das war unsere einzige Hoffnung. Es gab auch junge Leute, die andere Hoffnungen hegten, das waren die Zionisten. Mit den Zionisten war es etwas schwierig. Wenn sich ein Zionist unserer Organisation näherte, sagten wir ihm, dass für uns das Entscheidendste ein freies und unabhängiges Österreich sei, in dem die jüdischen Bürger, genauso wie andere Bürger, frei und ruhig leben können. Wir sagten ihm klar und deutlich: "Bist du dafür, dass das eintritt, und bist du bereit, mit uns gegen den Faschismus zu kämpfen, dann nehmen wir dich auf. Ist dir der Judenstaat wichtiger, dann gehe deinen Weg." [...]

 

Im Jahre 1943, als wir schon sehr ausgeblutet waren und vielleicht drei Viertel unserer Mitglieder durch die Transporte verloren hatten, sahen wir, dass unser Auftrag nur für die "Mischlinge" gelten kann, weil sie nicht deportiert wurden. Wir entschlossen uns, eine solche spezielle "Mischlingsorganisation" zu gründen. Es sind natürlich jene Juden oder "Geltungsjuden", die noch hier waren, in der Organisation geblieben. Aber wir benannten unsere Organisation in "Mischlingsliga Wien" um, gaben ihr eigene Statuten und nahmen Kurs darauf, uns als die Organisation der "Mischlinge" zu fühlen. Dieser Organisation sollte eigentlich nach unserer Auffassung jeder "Mischling" angehören. Wenn wir einen "Mischling" trafen, rekrutierten wir ihn eigentlich zu unserer Organisation. Um einen Deckmantel zu haben, wollten wir unsere Organisation gleichzeitig auch als kulturellen Verein der "Mischlinge" anmelden. [...] Dazu ist es aber nie gekommen. [...]

 

Eine Aktivität der "Sonderabteilung NN", die man nicht unterschätzen darf, war die Literaturarbeit. Vor allem Mädchen aus unserer Organisation waren in der so genannten Leergutsammelstelle eingesetzt. Die Leergutsammelstelle war jene Stelle, wo alle verbotenen Bücher, die konfisziert worden waren, zusammengetragen wurden. Die Mädchen haben die besten politischen Bücher, die wir für unseren Kampf brauchen konnten, aussortiert und haben sie uns gebracht, und wir ließen sie in unserer illegalen Organisation zirkulieren. Es gab natürlich zur Zeit der "Mischlingsliga" verschiedene Ansätze zu Sabotageaktionen. Für die "Mischlinge" waren die Möglichkeiten größer. Wir hatten fast alle die Matura und daher anständige Posten in der Rüstungsindustrie, wo wir wirklich aktiv werden konnten. [...]

 

Ich will dazu nur eine Aktion erzählen - man kann ja nicht zwanzig erzählen -, die war bei der Firma Kraus. Das war eine Firma, die Kolbenbolzen für Flugzeugmotoren erzeugte. Ein Mitglied von uns war dort Techniker und hat mit einem tschechischen Techniker zusammengearbeitet. Das war auch kein vollwertiger "Arier" im Sinne der Nazis, weil er einem "minderwertigen Volk" angehört hat, nämlich den Tschechen. Gemeinsam mit dem tschechischen Techniker startete er eine ganz ausgezeichnete Sabotageaktion. Sie haben alle vorhandenen Messlehren, die dazu benützt wurden, um die Kolbenbolzen nachzumessen, in einer Nacht um 1/10 mm ausgefeilt. Man brauchte 14 Tage, um draufzukommen, dass man mit diesen Kolbenbolzen nie einen Motor machen kann, weil alle falsch waren. Das war eine ganz gute Sache, weil damit eine Produktion von 14 Tagen für den Gully bestimmt war. Solche Dinge haben wir uns einfallen lassen. Es gab derartige Aktionen auch noch vor der Gründung der "Mischlingsliga", aber da war noch nicht sehr viel möglich. [...]

 

Wir machten zum Beispiel auch verschiedene Anschläge auf den Verkehr. Einmal, das war eine ganz einfache Geschichte, da haben wir von einer Brücke, die über die Badner Bahn läuft, eine Kupferlitze mit einem starken Stein beschwert und über die Oberleitung der Bahn geworfen. Es entstand ein Kurzschluss. Das war in der Früh, um 1/2 6, als die Züge mit den Arbeitern in die Rüstungsbetriebe fuhren. Diese Aktion war nicht nur eine Störung des Verkehrs, sondern vor allem auch ein Zeichen für die Arbeiter, dass etwas gegen das Regime unternommen wird. Die propagandistische Seite war noch wichtiger. [...]

 

Das Risiko war eigentlich bei beiden Organisationen das Höchstrisiko, also auf jeden Fall mussten wir bei etwaiger Verhaftung mit der Todesstrafe rechnen. 1943 gelang es uns, Kontakte zu den jugoslawischen Partisanen aufzunehmen. In der Folgezeit organisierten wir den Partisanennachschub, und zwar schickten wir Material, vor allem Verbandsmaterial und Chinin - sie hatten dort Malaria -, aber auch einen kleinen Sender, den wir gebaut hatten. Dieser Sender hatte 25 km Reichweite, damit sich die einzelnen Abteilungen der Partisanen dort untereinander verständigen konnten. [...]

 

Dadurch, dass wir eigentlich wegen der "Mischlingsliga" angeklagt wurden, hatten wir unverschämtes Glück. Das Glück war, dass der Senat des Volksgerichtshofs, der über uns geurteilt hat, doch irgendwie der Meinung war, man müsse uns zugute halten, dass wir nicht über unseren Kreis hinausgegangen sind. Wir haben Flugblätter hergestellt. Wenn sie das Geringste davon in der Hand gehabt hätten, wären wir alle geköpft worden, aber sie haben dafür keinerlei Beweise gehabt. Nach der Anklage war auch das Todesurteil zu erwarten, denn in der Anklageschrift stand: "Die so und so, alle bisher ohne Verteidiger, klage ich an, in Wien in den Jahren 1943 und 1944 als Funktionäre oder Mitglieder der 'Wiener Mischlingsliga' den organisatorischen Verfassungshochverrat vorbereitet und dadurch den Feind des Reiches begünstigt zu haben". "Feindbegünstigung" galt schwerwiegender als "Hochverrat". Dann hieß es in der Anklageschrift: "Sämtliche Angeschuldigte haben es während des Krieges unternommen, eine geheime, militärisch ausgerichtete Organisation zu gründen, deren Ziel es gewesen ist, mit Hilfe anderer illegaler Organisationen oder der Feindmächte die Verfassung des Reiches zu stürzen." Wenn diese Paragraphen, die hier angeführt worden sind, geblieben wären, hätte keiner überlebt. Aber der Staatsanwalt selbst, also der "Reichsanwalt", hat die Anklage wegen "Feindbegünstigung" fallen gelassen, weil er keine Beweise dafür in der Hand hatte. [...]

 

Leider Gottes haben wir, um überhaupt zusammenkommen zu können, doch gegen die Regeln der Konspiration verstoßen müssen. An sich sollten in einer illegalen Organisation nicht mehr als drei Leute zusammenkommen. Aber wir wollten ja, dass die jungen Leute Kontakte haben. Wir hatten deshalb Gruppen von bis zu zehn, zwölf Leuten, die sich untereinander gekannt haben. Aber natürlich wussten sie nicht genau, wer jeder Einzelne ist und wo er wohnt. Der Verrat war auch nur dadurch möglich gewesen, dass der Verräter jemand war, der dem Stab angehört hatte, der zufälligerweise alle Mitglieder des Stabs kannte. Er hat alle restlos verraten. Das waren insgesamt 20 Leute, mehr hat er nicht gekannt, aber das waren schon viel zu viele. Aber er war eben einer, der der Führung angehört hat. Von mir hat er die Adresse gewusst, von Hans Wewerka auch, aber von Otto Ernst Andreasch hat er nicht den Namen gewusst, weil wir alle Decknamen trugen. Wir verkehrten nur mit Decknamen untereinander. Der Verräter war allerdings anlässlich einer Stabsbesprechung in der Wohnung von Andreasch gewesen. Er führte die Gestapo an dem Tag, an dem wir alle schlagartig verhaftet wurden, in die Wohnung und so haben sie Andreasch festnehmen können. [...]

 

Es sind sicherlich mindestens 60, 80 Leute zurückgeblieben, die aber keinen Kontakt untereinander hatten. Einer der Führung wurde nicht erwischt, weil ihn der Verräter nicht kannte, und wir hatten untereinander abgemacht, dass derjenige von der Führung, der übrig bleibt, die anderen aus dem Gefängnis holt. Wir hatten einen Alarmplan ausgearbeitet, wie man die Polizei im Polizeigefängnis überwältigen kann, und hatten das vorbereitet. Die wichtigste Aufgabe des noch vorhandenen Führungsmitgliedes war natürlich zunächst, nach Jugoslawien zu fahren, um dort mitzuteilen, was passiert ist. Das hat er auch gemacht und hat eine Kurierin mitgenommen, die an der Grenze ein Haus hatte. Er ist zu den Partisanen gegangen. Wir haben gewartet, dass wir endlich herausgeholt werden aus dem Gefängnis, aber es ist nichts geschehen. Später, wie wir schon bei dem Sprengkommando waren, konnte ich diese Kurierin zu einer Arbeitsstelle hinbeordern, und da hat sie mir Folgendes erzählt: Er ging hinüber zu den Partisanen und wollte so bald wie möglich zurückkommen. Sie hat auf ihn eine Woche lang gewartet, aber er ist nicht gekommen. Dann musste sie zurückkehren. Nach dem Krieg habe ich erfahren, dass rein zufällig zur selben Zeit diese Verbindung in Maribor [Marburg] hochgegangen ist. Unser Verbindungsmann, also das Mitglied unserer Führung, der zu den Partisanen gegangen ist, konnte deswegen nicht mehr zurück, weil diese Verbingungsstelle tot war. Er ist dort bei einem Partisaneneinsatz gefallen. [...]

 

Wir sind alle an einem Tag, am 29. Feber 1944, morgens aus den Betten geholt und verhaftet worden. Wir waren einige Wochen auf der Roßauer Lände [Polizeigefangenenhaus], und während dieser Zeit sind wir mit Handschellen gefesselt auf den Morzinplatz geführt worden, zum Gestapo-Hauptquartier. Dort wurden wir verhört. Nachdem die Verhöre abgeschlossen waren, hat man uns ins Landesgericht überstellt. Der Reichsanwalt beim Volksgericht hat Anklage erhoben. Das hat einige Monate gedauert. Im Oktober 1944 sind wir vor einen Senat des Volksgerichtshofes, der aus Deutschland gekommen ist, und zwar vor den 5. Senat, der Vorsitzende hieß Albrecht, gekommen, und der Prozess ist innerhalb von zwei Tagen abgewickelt worden. Bei diesem Prozess sind wir, also die Erstangeklagten, zu sechs Jahren und die anderen zu vier Jahren, drei Jahren, zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden.

 

Nach dem Prozess sind wir in das Landesgericht 2 am Hernalser Gürtel gekommen. Wir wussten schon, also mein Freund und ich, dass wir nach Straubing kommen werden. Das war ein Zuchthaus in Niederbayern. Eines Tages ist einer von den Aufsehern gekommen und hat gefragt, wer sich freiwillig zum Sprengkommando melden will. Da haben wir uns, ohne uns vorher miteinander verständigen zu können, freiwillig gemeldet, weil wir die Absicht hatten, so rasch wie möglich von einer Arbeitsstelle zu fliehen und nach Jugoslawien zu gehen.

 

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