logo
logo

Hedwig Leitner (geb. Bodenstein): Uns werden sie schon nichts tun

Hedwig Leitner (geb. Bodenstein), geb. 1916 in Ebensee, wächst in katholisch-liberalem Umfeld auf, Studium in Wien. Mitarbeit in der "Österreichischen Freiheitsbewegung/Gruppe Scholz", Haft vom August 1940 bis Dezember 1942, am 6. Dezember 1943 vom Volksgerichtshof wegen "Beihilfe zur Vorbereitung zum Hochverrat" zu 2 Jahren 3 Monaten Gefängnis verurteilt.

Nach Kriegsende Abschluss des Studiums und Lehrtätigkeit in Wien, 1951-1957 Betreuung des Auslandsreferats für Frankreich, Großbritannien und die USA im Unterrichtsministerium.

Verstorben 1994.

 

 

Meine persönliche politische Entwicklung, die war dann irgendwie klar. Man hat die Ereignisse gesehen. Man hat gesehen, was sich da abgespielt hat. An der Hochschule haben sich Gruppen gebildet, und man hat gesagt, ihr seht ja, was da passiert. Wir müssen schauen, dass wir wenigstens irgendwie Widerstand leisten. Ich hab mich dann eben bei so einer Widerstandsgruppe engagiert. Das war schon zwischen 1938 und 1939, es war ziemlich bald nach dem "Anschluss". [...]

 

Im August 1940 bin ich eingesperrt worden. Ich hab einen Juristen kennen gelernt, einen gewissen Dr. Smekal, und der Dr. Smekal hat die Verbindung mit Scholz hergestellt. Der Dr. Smekal, der war während der Verhandlung mein Rettungsanker. Ich konnte mir keinen Verteidiger wählen, sondern es wurde jemand zur Verfügung gestellt, und der hat mir gesagt, der war anständig: "Um sich aus der Affäre zu ziehen, können Sie nur sagen, dass Sie in diesen Mann sehr verliebt waren und alles gemacht haben, was er Ihnen vorgelegt und empfohlen hat." Und so ist auch das Urteil. Es steht [dort]: "wegen sexueller Hörigkeit". Das war lächerlich, aber so heißt das einfach in diesem Jargon. Ich denk mir, wenn das meine Tochter liest, die wird entsetzt sein.

 

Ha, aber immerhin, durch den Dr. Karl Smekal bin ich in Verbindung mit der "Österreichischen Freiheitsbewegung" gekommen. Und zwar schon im Jahr 1938, das hat sich ja hingezogen. Dann hat mir der Dr. Smekal gesagt: "Wir brauchen Material aus der Schweiz, Schulungsmaterial, Propagandamaterial." Das bekommt man natürlich nicht in Österreich oder in Deutschland. Ich hatte einen Verwandten in der Schweiz, der war dort Universitätsprofessor, und dem hab ich geschrieben, er möge mir postlagernd in der Schweiz, in der Nähe der österreichischen Grenze, in der Nähe von Vorarlberg, gewisse Bücher deponieren, die wir dort abholen können. Und das hat er auch getan. [...] Propagandabücher gegen den Nationalsozialismus, die der Professor Scholz gebraucht hat für die Schulung seiner jungen Leute. Wir waren ja damals alle noch sehr jung, aber es hat noch jüngere gegeben als mich. Das waren der Herbert Crammer und sein Bruder Walter und und und. Das waren Schüler, und die hat er geschult; aber man hat ja etwas gebraucht, Bücher, um das vortragen zu können. Und die hab ich aus der Schweiz geholt; die waren postlagernd in Davos deponiert. Da waren von Vorarlberg so Ausflüge angekündigt, und da bin ich einmal mitgefahren. Bitte, der Scholz ist auch mitgefahren, aber ich hab sie im Rucksack gehabt, und so haben wir sie nach Österreich gebracht, diese Bücher.

 

Dann hab ich auch noch Übersetzungen gemacht für Soldaten, die der Widerstandsbewegung angehörten, für den Fall, dass sie gefangen genommen werden, dass sie das vorzeigen können und dann natürlich besser behandelt werden bzw. dass die Engländer, Franzosen, Amerikaner wissen, mit wem sie es zu tun haben. [Die so genannten "Legitimationen" wiesen ihren Besitzer als Mitglied der "Österreichischen Freiheitsbewegung" aus.]

 

Also das war meine Tätigkeit. Ich hab niemanden gekannt außer dem Dr. Smekal und dem Scholz. So ist das bei einer Widerstandsbewegung, dass man nur drei kennt, für den Fall, dass, wenn man gefangen genommen wird, nicht gleich die ganze Gruppe hoppgenommen wird. Aber da gab 's einen, diesen Schauspieler [Otto] Hartmann, der hat sonderbarerweise eine Liste aller Mitglieder gehabt. [...] Der Verräter, dieser Hartmann, war ein Gestapospitzel, und der hat alle Namen angegeben. Dadurch sind wir alle fast zur gleichen Zeit, alle im August [1940], alle auf einmal hopp, hopp, hopp verhaftet worden und auf die Gestapo gekommen, am Morzinplatz. Und dann ist es also mit Verhören losgegangen. [...]

 

Ja, wir haben uns das alles anders vorgestellt. [...] Wir haben ja weder Waffen noch sonst was zur Verfügung gehabt. Nix! Und auch nicht die Erfahrung, die die Kommunisten gehabt haben. Die Kommunisten haben immer schon Erfahrung gehabt im Untergrundkampf, und sie waren ja sehr stark vertreten. Also die Kommunisten haben sie ja fürchterlich verfolgt, die waren sehr anständig, muss ich sagen. [...]

 

Ich hab ein irrsinniges Glück gehabt, wenn mich die gefasst hätten an der Grenze und die Bücher gesehen hätten, dann wär ich sofort eingesperrt worden. Andere, z. B. meine Freundin und andere, wollten ein Munitionslager auskundschaften. Und das hat man so geplant: meine Freundin hätte eine Ohnmacht vortäuschen sollen und man hätte sie dann da hineintragen müssen in einen Schutzraum in der Nähe von Klosterneuburg, von dem man gewusst hat, dass da Munition drinnen ist. Und da hätten sie bei dieser Gelegenheit das auskundschaften müssen. Das war doch lächerlich. Das ist etwas, das können Kinder so planen, aber doch nicht erwachsene Leute. Wir waren nicht gewöhnt und auch gar nicht geschult, dass wir uns solche Dinge richtig überlegen. Denn das ist ja sicher bewacht worden [...] Man hätte die also sofort geschnappt, und Juristen haben gesagt, das wäre ein Todesurteil gewesen gegen diese Freundin. Die wäre dann um einen Kopf kürzer gemacht worden, wie man bei uns sagt. Dazu ist es Gott sei Dank nicht gekommen. Wieso und warum weiß ich nicht, aber sie haben 's nicht durchgeführt. [...]

 

Das Ziel war die Befreiung Österreichs. Das ist ein großes Ziel gewesen. Wir haben uns gedacht, wir können die jungen Leute dafür gewinnen, und niemand hat sich gedacht, dass das so ein teuflisches System ist, dass wir da sofort verhaftet werden. Wir haben ja keine Erfahrungen gehabt, auch nicht von außen, von Deutschland her. [...] Wir haben uns gedacht, ja gut, die Politiker, die in der Systemzeit waren, die haben sie sofort abgeführt und hinaus ins Konzentrationslager ... Und wir haben gedacht, wir jungen Studenten, uns werden sie schon nichts tun. Ich hab nicht geglaubt, dass wir einmal ... Auch wie sie mich verhaftet haben, hab ich das nicht gedacht, dass ich jetzt nicht mehr ins Studentenheim zurückkomm. [...]

 

[Anfang 1945 kam Hedwig Leitner als Beschäftigte der Fa. Universale Bau A. G. in Kontakt mit Häftlingen des Mauthausen-Außenlagers Ebensee.]

 

Da sind also jeden Tag in der Früh die Männer gekommen, diese Partieführer, die Vorarbeiter, und haben gemeldet: 30, zehn ab. Was weiß ich: 50, 20 ab. Sag ich: "Was soll denn das heißen, immer das 'ab'?" - "No", sagt er, "die sind bei der Nacht gestorben." 30 sind angetreten zur Arbeit, 15 sind gestorben. Das waren ja Menschen, die überhaupt ... Das waren ja nur mehr Gerippe, die sich geschleppt haben. [...] Da war auch ein Krematorium, das hat Tag und Nacht gebrannt, und die sind gar nicht nachgekommen, die Leichen einfach zu verbrennen. Und dann im März sind die Ostlager, weil die Russen immer weiter vorgerückt sind, aufgelassen worden. Die Leute, die noch gelebt haben, wurden mitgenommen nach Mauthausen und dann auch nach Ebensee. Sie wurden auf offenen Waggons - einige waren gedeckt -, mit denen man Schotter und Kohle führt, transportiert; in den ganz dünnen Gewändern, in den gestreiften. Das hat meine Mutter selbst gesehen: Wie sie die Tür aufgemacht haben, sind sie steif gefroren heruntergefallen. Und ich hab sie gesehen, wie man sie getrieben hat bzw. auch teilweise aufgeladen und ins Lager geführt hat. Die waren mehr tot als lebendig. Unbegreiflich. Wie ich nach Hause gegangen bin, ich war immer kurzsichtig, hab ich mir gedacht: da liegt ein Riesenberg auf dem Frachtbahnhof. Was ist denn das? Bin hingegangen, ein Riesenberg, so hoch wie das Zimmer, nur Leichen, lauter Leichen. [...]

 

Meine persönliche Einstellung war auch nicht die Wiederherstellung der Monarchie, sondern unsere persönliche Einstellung war die Wiederherstellung Österreichs als Republik oder "Ständestaat". Der "Ständestaat" hat sich ja überhaupt nicht profilieren können. Man hat nicht gesehen, wie das weitergeht, wie sich das entwickeln könnte. Aber wir haben eines gewusst: angliedern, eine Provinz Deutschlands, das wollten wir alle nicht. Wie das weitergegangen wäre, das hätte auch der Scholz nicht sagen können, weil er hätt ja unbedingt mit den Sozialisten und Kommunisten zusammenarbeiten müssen. Also er hätte eine Demokratie machen wollen - müssen! Ja, das hätt er machen müssen.

 

<< zurück

 

Unterstützt von: