logo
logo

Erwin Ringel: Emotional begeistert

Erwin Ringel, geb. 1921 in Temesvár (Rumänien), 1926 Übersiedlung von Hollabrunn nach Wien. Mitglied beim Katholischen Deutschen Studentenbund, nach dem "Anschluss" 1938 Pfarrjugendhelfer von St. Stephan, Teilnahme an der Jugendkundgebung am 7. Oktober 1938 am Stephansplatz, mehrwöchige Gestapohaft, 1939 Beginn des Medizinstudiums in Wien, mehrmaliges Einrücken zur Deutschen Wehrmacht, ärztliche Hilfe für ein jüdisches "U-Boot".

1946 Promotion, Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Neurologie,1948 Aufbau des ersten Selbstmordverhütungszentrums der Welt in Wien, 1954 Leitung der Frauenpsychiatrischen Station und Aufbau der ersten psychosomatischen Station in Österreich, 1960 Gründung der Internationalen Vereinigung zur Selbstmordverhütung, 1961 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Individualpsychologie, 1968 Universitätsprofessor, 1971 Gründungsmitglied des Internationalen Kollegiums für Psychosomatik, 1972 Leiter der Psychosomatischen Abteilung der Psychiatrischen Klinik, 1978 Gründung der Österreichischen Gesellschaft für klinische psychosomatische Medizin, 1981-1991 Vorstand des Instituts für Medizinische Psychologie. Zahlreiche Publikationen zu Selbstmordverhütung, Psychosomatik, Neurosenlehre, Sozialpsychologie und tiefenpsychologischen Aspekten von Kunst, Religion und Politik.

Verstorben 1994.

 

 

Ich war, wie ich ausdrücklich betonen möchte, durch sehr glückliche Umstände völlig immunisiert und geimpft gegen den Nationalsozialismus. Es begann damit, dass ich aus einem christlichen Haus komme; meine beiden Eltern waren überzeugte Katholiken, haben sehr frühzeitig erkannt, dass Hitler ein Todfeind der Religion ist. Der zweite glückliche Umstand war: ich hatte einen Verwandten, der ein Filmfachmann war und als Österreicher in Berlin tätig war. Der kam einmal im Jahr zu uns und erzählte uns - also ab 1933 - die Wahrheit. Er ist auch später mit seiner Frau als Widerstandskämpfer hingerichtet worden. Und der dritte Umstand, der mich völlig immunisiert hat: ich war beim Katholischen Deutschen Studentenbund, der hieß also damals noch "deutsch", KDSB.

 

Ich war, was ich nicht verschweigen darf, emotional begeistert von Dollfuß, obwohl ich darunter sehr gelitten habe, was im Februar 1934 passiert ist; das habe ich schon damals als Unrecht erlebt. Persönlich habe ich nichts gesehen, aber man hat im Radio die Schüsse gehört und alles das, und ich habe gewusst, dass auf Häuser geschossen wird. Wir waren alle der Meinung, dass das nicht rechtens ist, aber trotzdem: ich war ein fanatischer Verteidiger Österreichs, und Dollfuß schien mir da der richtige Mann, das muss ich bekennen, das sage ich auch heute noch.

 

Am 25. Juli 1934, da waren wir in Schladming. Wie ich hörte, Dollfuß ist tot, habe ich schrecklich geweint, ich war damals 13 Jahre alt, ich glaube, ich habe im meinem Leben selten noch so geweint wie an diesem Tag, und meine Mutter sagte: "Erwin, reg dich doch nicht auf. Das österreichische Bundesheer schlägt ja den Aufstand der Nazis nieder. Du hast gehört, Schuschnigg wird Bundeskanzler ..." usw. Darauf habe ich gesagt: "Mutti, du irrst dich. Dollfuß ist tot, das bedeutet, Österreich ist verloren." Also mit anderen Worten, ich hatte vom ersten Moment an zu Schuschnigg kein wie immer geartetes Vertrauen. Er war volksfremd, er war ein Intellektueller. Dollfuß war ein Mann des Herzens - er [Schuschnigg] war ein reiner Mann des Verstandes, konnte meine Emotionen jedenfalls nicht bewegen, also ich war zutiefst skeptisch. [...]

 

Unter Schuschnigg, muss ich ehrlich sagen, hab ich sehr gelitten. Ich fand, dass das eine Art katholischer Diktatur war, und ich war immer gegen Diktaturen. Ich wusste auch, dass man in dieser Zeit, wenn man läppische Bekenntnisse zur Kirche ablegte, deren wirklichen Gehalt niemand erforschte, dann konnte man eine Wohnung bekommen, konnte man eine Stellung bekommen. Ich habe schon damals gesagt: "Ja, seid ihr denn ganz blind, die Leute spielen euch doch etwas vor. Das ist doch kein Katholizismus, das ist doch nix." Also ich war enttäuscht, bin dann in die so genannte Führerschule des KDSB gekommen. Gegen das "deutsch" habe ich mich schon damals sehr gewehrt und habe das Führerabzeichen dann bekommen, ich habe mich aber innerlich nicht mehr richtig begeistern können.

 

<< zurück

 

Unterstützt von: