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Karl Mark: Plündern war selbstverständlich

Karl Mark, geb. 1900 in Wien, Jusstudent. 1921-1934 Bezirkssekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Döbling, Exponent der "Linksopposition", Verhaftung im Februar 1934, April bis Oktober 1934 Haft im Anhaltelager Wöllersdorf, 1935 und 1936 neuerlich in Polizeihaft. Während der NS-Zeit gründete er mit Freunden die Widerstandsgruppe "Sozialistische Einheitsbewegung".

1945 Bezirksbürgermeister in Döbling, 1945-1966 Nationalratsabgeordneter, Parteivorstandsmitglied der SPÖ Wien, Bezirksobmann der SPÖ Döbling, Präsident bzw. Vizepräsident des Instituts für Wissenschaft und Kunst.

Verstorben 1991.

 

 

Zuerst [nach Kriegsende] waren alle begeistert. Aber dann kamen leider die Plünderungen und die Vergewaltigungen. Ich habe mit Müh und Not eine Polizei aufgestellt, indem ich die alten Schutzbündler mobilisiert habe. Ich habe durch meine Freunde die einzelnen Leute geholt; wir haben vielleicht 150 von den alten Schutzbündlern zusammengebracht. Denen habe ich die Aufgabe gegeben, zum Beispiel auch die Keller zu bewachen. Aber wenn ich einen Posten vor einem Keller gehabt habe, so sind sicher eine halbe Stunde später irgendwelche Leute gekommen und haben den Russen gesagt: "Das sind Faschisten, die wollen das halten." Daraufhin haben die Russen die Polizisten verjagt und die Keller aufgebrochen. Und dann sind die Leute, die Wiener, reingegangen und haben dort geplündert. Die Wiener haben schon vorher geplündert. Das kann man sich ja gar nicht vorstellen. Die Russen sind natürlich mitgegangen, dabei sind sie draufgekommen, dass man einen Wein auch saufen kann. Das sind sie nicht gewohnt gewesen. Und wenn sie besoffen waren, haben sie randaliert und alles Mögliche gemacht. Bevor die Russen noch da waren, erinnere ich mich an einige Episoden. Ich gehe auf der Alserbachstraße, sehe eine Dame im Pelz, die einen Mehlsack auf dem Rücken schleppt und vom Franz-Josefs-Bahnhof kommt. Wo hat sie den geholt? Vom Land sicher nicht, weil Bahn hat keine verkehrt. Die Leute haben einfach am Franz-Josefs-Bahnhof Waggons, die dort gestanden sind, geplündert. Ich habe hier, in der nächsten Nähe eine Meinl-Filiale: Ich habe einen angesehenen Bürger von Döbling mit einer Kiste Zucker aus dem Geschäft herausgehen sehen, Verkaufspersonal war keines drinnen. Und wenige Tage danach kam ich nach Hause, meine alte Bedienerin gibt mir so einen Sack mit Lebensmitteln, sage ich: "Was ist denn das?" Antwort: "Ja, die Greißlerin hat gesagt, der Mark war der einzige von ihren Kunden, der nicht plündern war, warum soll der nichts haben?" Und auf die Weise habe ich Rosinen, Mehl usw. bekommen. Einfach nur, weil ich nicht geplündert habe. Aber Plündern war selbstverständlich, war eine Massenerscheinung. […]

 

Eines Tages kommt mein Ernährungsreferent zu mir und sagt: "Ich habe drei Waggons Kartoffelmehl dort und dort aufgetrieben." Und ich habe gesagt: "Sofort verteilen an die Bäcker, die mit dem Mehlvorrat, den sie haben, Brot backen müssen." So waren wir dann imstande 1 1/2 Laib Brot jedem Döblinger zu geben. Drei Jahre später ist der spätere Vorsteher Schwendner wegen Diebstahls angeklagt worden. Und ich musste bei Gericht aussagen, dass er erstens auf meinen Befehl gehandelt hat und zweitens dass ich in diesem Zeitraum die alleinige Befehlsgewalt im Bezirk gehabt habe. Dass man ihm also keinen Vorwurf daraus machen kann und mir erst recht nicht, denn ich habe das ja im Interesse der Bevölkerung gemacht. So hat das ausgeschaut. Die Russen haben ja auch viel Gutes getan, aber ich will das nicht zu stark betonen. Ich habe eines Tages z. B. die Weisung bekommen, ich muss ein Dutzend Frauen zum Annähen von Distinktionen und Knöpfen zur Verfügung stellen. Ich habe zwölf Nazifrauen mobilisieren lassen und sie hingeschickt. Die kamen am Abend empört zu mir und haben sich beschwert. Na, habe ich gefragt: "Wieso, was ist euch passiert?" - "Ja, nichts, aber wie kommen wir dazu, und andere müssen nicht?" Die eine hatte einen Korb mit, mit einem Tuch darüber. Ich habe das Tuch zurückgeschlagen und gefragt: "Was haben Sie da?" Drinnen hat sie Wurst, Eier, Brot gehabt. Sage ich: "Na, wo haben Sie das her?" - "Na, das haben uns die Russen gegeben." Sage ich: "Mir haben die Russen das nicht gegeben, das haben sie Ihnen gegeben. Ich lebe von Erdäpfelgulasch, und Sie haben Fleisch und Brot und Butter." Das ist der Unterschied. Ich habe wochenlang von Erdäpfelgulasch gelebt, weil ich sonst nichts gehabt habe. Ich hatte mir Gott sei Dank im Herbst 1944 zwei Sack Erdäpfel aus dem Waldviertel geholt. Wenn ich am späten Abend nach Haus gekommen bin, ist das ganze Haus in meinem Zimmer gewesen und hat wissen wollen, ob es etwas Neues gibt, und dann haben sie mir gierig zugeschaut, wie ich Erdäpfelgulasch esse; und das habe ich natürlich teilen müssen. Da habe ich meiner Bedienerin gesagt: "Machen Sie die dreifache Portion, es ist ja nicht für mich allein, die anderen wollen ja auch etwas essen." Das war die wirkliche Situation. Aber dann bin ich nach Kritzendorf gekommen, und in Kritzendorf haben sie alles gehabt, was möglich ist. Warum? In Kritzendorf lag ein Dampfer mit einer Ladung Zucker. Das sind ein paar tausend Tonnen. Die haben das eingetauscht und alles dafür kriegen können, was sie wollten.

 

Ich habe eine Gemeinschaftsküche aufgerichtet, und da hat man mir erzählt, irgendwo im Burgenland oder wo da unten gäbe es Büffel zu verkaufen. Habe ich einen meiner Freunde mit einem kleinen Lastauto hinuntergeschickt, er soll was kaufen. Er ist hinuntergefahren und mühselig hat er einen Büffel aufgetrieben. Aber er hat fast nichts davon nach Wien zurückgebracht. Unterwegs ist er ausgeraubt worden. Aber nicht von den Russen, weil die haben es nicht notwendig gehabt. Dass die Pferde, die zu Hunderten hier zugrunde gegangen sind, natürlich alle aufgegessen worden sind, das ist eh klar. Aber das alles kann man sich ja nicht vorstellen, wenn man es nicht miterlebt hat. Es hat kein Wasser gegeben. Wenn man Wasser wollte, hat man zum nächsten Hydranten gehen müssen, sich anstellen und warten, bis man drankommt. Es kam der Russe zu mir und sagte: "Also, ich höre, die Wasserversorgung ist nicht in Ordnung. In 14 Tagen muss sie in Ordnung sein, widrigenfalls Sie erschossen werden." Habe ich gesagt: "Herr Major, gleich erschießen! Denn ich kann das nicht, das von mir zu verlangen ist unmöglich." Ich habe ihm erklärt, die Quellen sind 150 km von hier entfernt, ich habe erstens keine Leute, zweitens keine Transportmittel, drittens keine Werkzeuge, und ich kann die Wasserleitung nicht in Ordnung bringen, das geht eben nicht. Na, da ist er gegangen, und ich lebe heute noch.

 

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