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Josef Hindels: Nach rechts gerückt

Josef Hindels, geb. am 10. Jänner 1916 in Wien, kaufmännische Lehre. Mitglied der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler Wien, ab 1930/31 Kommunistischer Jugendverband, Mitglied der Jugendgruppe des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten Österreichs, Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO), 1933 Verhaftung wegen Teilnahme an einer Demonstration, 1935/36 Gründungsmitglied Revolutionäre Kommunisten Österreichs (RKÖ), 1936 mehrmonatige Haft, 1937 Flucht in die ČSR, Aufbau des Auslandszentrums der RKÖ, Annahme des Namens "Karl Popper", 1939 Norwegen, Mitarbeit im Sekretariat der Internationalen Arbeiterfront gegen den Krieg (IAF), 1939/40 Trennung von den RKÖ, 1940 nach Einmarsch der Deutschen Wehrmacht Flucht nach Schweden. 1940–1946 Vortragstätigkeit bei Sozialistischer Jugend Schwedens, Mitarbeit in Gruppe österreichischer Gewerkschafter in Schweden und Österreichische Vereinigung in Schweden.

1946 Rückkehr nach Wien unter dem Namen "Karl Popper", Wiederannahme seines richtigen Namens, 1946-1951 Schulungs- und Bildungssekretär der Sozialistischen Jugend Österreichs, 1951-1970 Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten. Freier Publizist, Stellvertretender Vorsitzender des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus. Mitglied des DÖW-Kuratoriums.

Verstorben am 10. Februar 1990.

 

 

Das Kriegsende war für mich aus vielen Gründen, trotz der großen, großen Freude über die Niederlage Hitlers und über die Befreiung, sehr deprimierend. Und zwar aus folgenden Gründen: Erstens hatte ich die Absicht - und war immer überzeugt davon, dass das auch gelingen wird -, sofort, wenn Österreich befreit ist, zurückzukommen. Das ist mir im Jahre 1945, trotz aller Bemühungen, nicht gelungen. Man brauchte, um nach Österreich zurückkehren zu können, die Erlaubnis der Alliierten; die habe ich erst im Januar 1946 bekommen und auch da war eine intensive Intervention des Kreisky notwendig, damit ich diese Erlaubnis bekommen habe. Das war die erste Enttäuschung. Die zweite Enttäuschung war, dass ich in Schweden erfuhr, dass in Österreich eine provisorische Regierung gebildet wurde mit Karl Renner an der Spitze. Ich habe das zunächst für nicht möglich gehalten. Renner war für mich nicht nur der Gegenspieler Otto Bauers, der Repräsentant des rechten Flügels in der alten Sozialdemokratie, sondern Renner war für mich der Mann, der 1938, als Österreich von Hitlerdeutschland annektiert wurde, diese Annexion begrüßt hat. Ich war damals überzeugt davon, dass er für immer politisch tot ist; und nun ist er an der Spitze einer provisorischen Regierung gestanden, und ich musste mich damit abfinden, dass, wenn ich nach Österreich zurückkomme, dieser Renner eine wesentliche Rolle spielen wird. Es hat sich dann herausgestellt, dass er damals sogar eine sehr positive Rolle gespielt hat. Ich erkenne das durchaus an, aber es war für mich eine sehr schwere Enttäuschung. Das nächste war, dass mir aufgrund der spärlichen Nachrichten, die meistens über Kreisky gegangen sind, sehr bald klar wurde, dass die österreichische sozialistische Partei, die ja jetzt wiedererstanden war - sie nannte sich damals "Sozialistische Partei" und in Klammer "Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten" - sehr weit nach rechts gerückt sein muss. […] Ich habe das Gefühl gehabt, die Partei, die jetzt wieder erstanden ist, das ist nicht die Partei des Austromarxismus, das ist nicht die Partei Otto Bauers und Max Adlers, sondern das ist eine irgendwie veränderte Partei. Kreisky war ganz anderer Meinung. [...]

 

Als sich das Kriegsende abgezeichnet hat und die Wiederherstellung von Österreich sicher war, gab es unter den schwedischen Emigranten Pläne über die Zukunft Österreichs sowohl auf politischer als auch auf gewerkschaftlicher Ebene. Bei den Gewerkschaftern war sehr stark die Vorstellung vorhanden: Es darf in Österreich nach der Befreiung keine Richtungsgewerkschaften mehr geben, wie wir sie früher gehabt haben, sozialistische und christliche, sondern es muss einheitliche, überparteiliche Gewerkschaften geben, und die Organisationsstruktur soll im Wesentlichen dem entsprechen, was es an illegalen Gewerkschaften in der austrofaschistischen Zeit gegeben hat. Man hat dann um Einzelfragen gestritten, wie z. B. über die Frage, ob Arbeiterkammern notwendig sind oder nicht, aber das ist schließlich nicht so bedeutungsvoll. Politisch waren die Meinungen sehr geteilt. Vor allem Kreisky hat die Auffassung vertreten: es muss in Österreich nach allem, was gewesen ist, eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Lagern geben. Kreisky sprach immer von den Lagern, nicht von den Parteien: Sozialdemokraten, Christlichsoziale. Er sagte immer: "Es hat in Österreich in der Zwischenkriegszeit diese beiden Lager gegeben, die konnten nicht zusammenarbeiten und deshalb sind sie beide zugrunde gegangen, dann haben sich ihre Vertreter im KZ, im Gefängnis oder in der Emigration wiedergesehen, und daraus muss man die Konsequenzen ziehen." Und außerdem war er der Auffassung, das hat er in vielen Diskussionen gesagt: "Österreich wird nach der Befreiung in einem katastrophalen Zustand sein, und ein solches Land wieder aufzubauen, das können weder die Sozialisten, noch können es die Bürgerlichen, da ist die engste Zusammenarbeit beider Lager notwendig." Demgegenüber haben wenige in der Emigration, zu diesen wenigen habe ich gehört, die Meinung vertreten: Eine solche Zusammenarbeit kann tatsächlich notwendig sein unmittelbar nach der Befreiung, im Zusammenhang mit dieser wirtschaftlichen Notlage, aber - und wir haben uns dabei immer auf Otto Bauer berufen - es kann sich nur um eine vorübergehende Zusammenarbeit handeln, denn früher oder später - wir rechneten eher früher - werden die Klassengegensätze wieder aufbrechen. Und das Ziel muss sein zu verhindern, dass in Österreich, im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau, der Kapitalismus wieder restauriert wird, denn der Kapitalismus war ja der Nährboden, auf dem der Faschismus entstanden ist. Das heißt, eine sozialistische Partei, die wieder entsteht, kann zwar für eine kurze Zeit mit dem bürgerlichen Gegner zusammenarbeiten, um die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen des Krieges gemeinsam zu beseitigen, aber dann steht die große historische Aufgabe auf der Tagesordnung, eine Wirtschaft aufzubauen, die nicht kapitalistisch ist. […]

 

Eines Tages, knapp nach der Befreiung Österreichs, hat uns Kreisky mitgeteilt, dass er einen Brief von Rosa Jochmann bekommen hat. Sie war damals bereits aus dem KZ Ravensbrück zurückgekommen, hat gleich eine führende Funktion im Parteivorstand gehabt, bei der Frauenorganisation, und sie schrieb: "Lieber Bruno, kommt so rasch wie möglich zurück, wir brauchen euch." Und: "Ich hoffe noch, dass unser Freund Manfred Ackermann" - der in Amerika war, aber das wusste sie nicht – "auch zurückkommen wird." Ich habe damals, nicht zu Kreisky, sondern so im Gespräch mit anderen gesagt: "Dieser Brief der Rosa Jochmann beweist in Wirklichkeit, dass es in Österreich einflussreiche Leute geben muss, die die Rückkehr nicht wollen." Denn er war so geschrieben, so flehentlich, dass man sich sagen musste: "Na ja, es ist ja eigentlich selbstverständlich, dass ein Kreisky zurückkommt." Es muss hier Kräfte geben, die etwas anderes wollen, und die hat es natürlich gegeben. Die sind vor allem repräsentiert worden von Schärf und Helmer, wobei sich das bei Schärf nicht auf Kreisky bezogen hat. Die Rückkehr Kreiskys hat auch Schärf gewünscht, aber die Rückkehr anderer Emigranten hat er nicht gewünscht und besonders hat er nicht gewünscht, dass eine große Anzahl jüdischer Emigranten zurückkehrt. Kreisky galt sozusagen als der Ausnahmsjude, aber ansonsten hat er das nicht gewünscht und hat sogar einen Brief dieses Inhalts nach England geschickt. Der Schärf ist dann davon abgerückt und hat behauptet, das sei missverstanden worden usw. Aber in Wirklichkeit hat er bei der Rückkehr der Emigranten so etwas wie einen "Numerus clausus" haben wollen. Gewisse Emigranten wie z. B. der Kreisky, aber auch der Oskar Pollak, die sollten zurückkehren, obwohl sie jüdischer Herkunft waren, aber nur nicht zu viele. […]

 

Als ich im Jänner 1946 nach Wien zurückkam, war der Erste, mit dem ich eine stundenlange Aussprache hatte, Peter Strasser. Ich kannte ihn sehr gut aus der Illegalität, denn er war ja ein führender Funktionär der RS-Jugend [Revolutionärsozialistische Jugend], und ich habe mit ihm sehr eng zusammengearbeitet. […]

 

Die Gespräche mit Peter Strasser, mit Karl Czernetz und auch sicher noch mit einigen anderen haben mir ein ungefähres Bild vermittelt, wie diese Partei, nachdem sie wiedererstanden ist, ausschaut. Und dabei ist mir Folgendes klar geworden: Es gibt ein ganz starkes Übergewicht der Rechten. Denn die Linken, wobei der Begriff "links" jetzt in einem sehr weiten Sinn gemeint ist, haben in der Zeit des Faschismus die größten Opfer gebracht. [...]

 

Sie waren ja größtenteils die Opfer und dementsprechend dezimiert. Dann kam hinzu, dass bei den Linken, besonders in Wien, der Prozentsatz der Juden ein verhältnismäßig hoher war. Wenn man nur an die Stärke der Jugendorganisationen in der Leopoldstadt denkt, an den hohen Anteil jüdischer Intellektueller in der marxistischen Diskussion - die sind zum größten Teil in den Vernichtungslagern zugrunde gegangen.

 

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