logo
logo

Franz Hahn: Ich bin kein Andenkensammler

Franz Hahn, geb. 1913 in Nové-Zámky (Slowakei), in Wien aufgewachsen, Arzt. Als Jugendlicher Mitglied des Republikanischen Schutzbunds und der Roten Falken. Oktober 1942 gemeinsam mit seiner Mutter Deportation in das Ghetto Theresienstadt, von dort am 23. Oktober 1944 nach Auschwitz, wenige Tage später in das KZ Oranienburg und weiter in eines der Kauferinger Lager (Außenlager von Dachau). Während des "Evakuierungstransports" Befreiung durch amerikanische Truppen in der Nähe von München.

Rückkehr nach Wien.

Verstorben 2000.

 

 

Ich bin kein Andenkensammler, in keiner Weise. Ich glaube sogar, mein letztes Häftlingsgwandl, das ich noch nach Wien mitgeschleppt habe, habe ich auch schon weggeschmissen. Einfach - wozu? Ich habe es nicht gern, mich mit einem Schilderl zu behängen: "Ich bin ein armer KZ-ler. Ich habe das und das mitgemacht." Das ist mir nie gelegen. Ich habe immer wieder mit den Leuten Krach gehabt nach dem Krieg, wie ich dann wieder in Wien war und gearbeitet habe als Arzt im Ambulatorium der Gebietskrankenkasse. Da habe ich immer gesagt: Es gibt drei Typen, mit denen hänge ich. Für die bin ich unangenehm. Da ist: "Ich war in russischer Kriegsgefangenschaft", "Ich bin Heimatvertriebener" und "Ich bin ein KZ-ler". Diese drei Typen, die habe ich gehasst. Wenn ein neuer Patient gekommen ist und man hat gesagt: "So, was fehlt Ihnen denn?" und wenn der als Erstes sagt: "Ich bin ein Heimatvertriebener", so habe ich immer gesagt: "Das ist keine Krankheit." Genauso wie mir einer einmal am Tisch gehaut hat und gesagt hat: "Sie haben mich warten lassen, ich bin ein KZ-ler." Den habe ich angeschaut und habe gesagt: "Wo warst du denn? Und wie lange warst du denn?" Der war dann ganz klein, dann haben wir uns verstanden. [...]

 

Ich bin zurückgegangen und habe gesagt: "So, jetzt ist das vorbei und jetzt fängt die Zukunft an." Ich habe mir, wie man so schön sagt, in die Hände gespuckt. Ich war auch nicht einer, der herumgelaufen ist von einer Stelle zur anderen, vielleicht kann ich da was kriegen, vielleicht dort. Ich bin dem nicht nachgelaufen. Ich habe dafür auch keine Zeit gehabt. Ich bin zurückgekommen am 15. August 1945, und ein paar Tage später bin ich schon im kleinen Jüdischen Spital in der Malzgasse gestanden und habe meinen Dienst ausgeführt. Dort war ich dann bis 1949. [...]

 

Da fällt mir was anderes ein vom Jahre 1945: Ich komme zurück, ich habe keine Wohnung, nichts, ich habe kaum was zum Anziehen. Nun, wohin gehst du, du bist Arzt? Immerhin habe ich in Wien promoviert. Ich gehe also in die Ärztekammer, zum Wohnungsreferenten. Der war sicher kein Antisemit, denn er hatte, glaube ich, eine jüdische Frau. Der sagte zu mir: "Herr Kollege, eine Wohnung kann ich Ihnen leider nicht vermitteln. Denn die haben wir auch nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, in welchem Bezirk wir zu viele Ärzte haben, wo Sie sich nicht niederlassen dürfen." Können Sie sich das vorstellen? Ich habe ihn angegrinst und gesagt: "Und Sie glauben wirklich, dass ich als befreiter jüdischer KZ-ler im Jahr 1945, wenn ich eine Wohnung vom lieben Gott kriege in einem Bezirk, den Sie für mich sperren, dass ich mich um diese Sperre kümmern werde? Guten Tag!", und ich bin gegangen. Was gibt man denn darauf zur Antwort? Aber das hätte er einem Militärheimkehrer genauso gesagt, der Depp. Verstehen Sie mich, ich bin nie so verfolgungswahnsinnig auf Antisemitismus gewesen, der sicherlich da ist. Aber das war Dummheit, nichts anderes, Gleichgültigkeit und Dummheit. Ich habe dann Anfang 1946 eine Wohnung gekriegt. Fragen Sie mich nicht, auf welchen Wegen! [...]

 

Dann, Jahre später, läutet es an der Tür, meine Gattin macht auf, steht ein junges Paar draußen. Und er sagt: "Bitte, sind Sie uns nicht böse, ich bin in der Wohnung aufgewachsen. Und das ist meine amerikanische Frau, ich möchte ihr gerne zeigen, wo ich aufgewachsen bin. Dürfen wir hereinkommen?" Meine Gattin hat das gerne gemacht. Wie er gehört hat, ich bin kein "Ariseur", sondern ich bin selber Jude, war er doppelt froh. Der ist durch die Wohnung marschiert und hat sich schrecklich gefreut. Ich war damals nicht zu Hause. Wie ich nach Hause gekommen bin, hat meine Frau gesagt: "Heute hast du was versäumt, wir haben Besuch gehabt." Es hat Leute gegeben, die haben Kämpfe geführt um ihre ehemaligen Wohnungen. In unserer Wohnung von vor 1938 saß dann eine sehr nette Hauspartei drinnen, die den Nazi, der drinnen war, selber hinausgeschmissen hat, weil sie einen Bombeneinschlag gehabt hat in ihrer Wohnung. Na, soll ich die rausschmeißen? Das war eine hochanständige Frau. Ich habe sie besucht. Sie hat sich schrecklich gefreut, dass ich zurückgekommen bin. Ich habe den Bücherkasten gesehen mit meinen Büchern. Na, glauben Sie, dass ich gesagt hätte: "Pass auf, die gehören ja eigentlich mir, gib sie mir." Ich bin ein komischer Mensch, was das betrifft. Das war weg, aus, Schluss. Ich fange neu an. Das ist gegangen. Ich habe allem, was ich verloren habe, nie nachgetrauert - nutzlose Trauer, weg ist weg, Schluss, fang neu an! Vielleicht habe ich genauso manche grässlichen Sachen aus dem Lager verdrängt. Aber es liegt mir nicht. Wozu soll ich darüber trauern? Hurra schreie ich nicht, weil ich im Lager war. Hurra schrei ich nur, dass der Schutzengel mich herausgeholt hat oder durchgebracht hat.

 

<< zurück

 

Unterstützt von: