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Maria Berner: Mein Akt

Maria (Marie) Berner, geboren 1904 in Wien, aus sozialdemokratischer Arbeiterfamilie, mit 14 Jahren in Dienst, später Fabrikarbeiterin. Seit 1934 im kommunistischen Widerstand aktiv. Verhaftung im August 1939. Am 6. Jänner 1942 vom Oberlandesgericht Wien wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu drei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach Strafverbüßung Mitte August 1943 in das KZ Ravensbrück überstellt. Im KZ bis zur Befreiung 1945.

 

 

Wie es dann auch Transporte ins Gas gegeben hat oder hinaus, in die Autos - zuerst haben sies ja in den Autos vergast, solang noch keine Gaskammer war in Ravensbrück -, hat die SS von den Krankenblocks und überall die Leute zusammengesucht. Später hat man es gewusst. Vorerst aber haben wir nur geahnt, dass mit den Leuten etwas geschieht, die wir aus der Kartei haben ausreihen müssen. Die sind ja nicht mehr zurückgekommen. Eines Tages schreib ich eine Liste, Bestimmungsort unbekannt, und les meinen eigenen Namen! Meinen eigenen Namen. Ich schau zweimal hin, schau dreimal hin. Ich hab geglaubt, mich trifft der Schlag. Die Annerl und ich rennen sofort ins Revier, da haben sie auch eine Kartei gehabt. Nach deiner Ankunft im Lager bist du ja untersucht worden, sozusagen. Mein Finger da, der kleine, ist verkrüppelt. Die haben das gesehen und haben mich als teilverfügbar geschrieben. Eine rote Karte war das - die konnte ins Auge gehen. Im Revier hat die Toni Bruha gearbeitet, auch eine Kameradin von uns. Der ist es gelungen, meine Karte herauszuziehen. Und ich hab meinen Namen dann einfach nicht auf die Liste gesetzt.

 

Mein Akt hat den Vermerk getragen "Rückkehr unerwünscht“. Das hat mir schon mein Kiberer am Transport erzählt. Ich bin ja ganz vornehm nach Ravensbrück gekommen, das haben meine früheren Arbeitskolleginnen, glaub ich, für mich organisiert. Ich sitz in Wien in der Sammelzelle, auf einmal rufen sie mich, steht da draußen einer in Zivil, ein österreichischer Polizist. Sagt der, er fahrt mit mir, er bringt mich hinaus. Glaubens net, hat er gleich gesagt, Sie können mir abpaschen irgendwie. Sie reißen mich nur eini, ich hab a Familie mit Kinder! Fangens glei net mit sowas an, Sie kommen eh net durch. Ein gemütlicher Mann, ein Österreicher. Ich hab ja selber gewusst, die erwischen mich, wo hätt ich denn hinrennen sollen? Wir steigen also ein in den Zug, nirgends ein Platz, lauter deutsche Soldaten, die sind auf Heim-Urlaub gefahren. Einer hat mich immer so fixiert. Setzens Ihna auf mein Schoß, hat er dann gesagt. Ich war froh, dass ich hab sitzen können. War eh schon so schwach. Wie ich später aufs Klo bin, ist der Kiberer mitgegangen. Ist draußen bei der Tür gestanden. Fragt mich der Soldat: Was ist denn mit Ihnen los? Sag ich, das ist mein Bewacher. - Wieso? Sinds leicht eingesperrt? - Na, eingesperrt net, ich fahr jetzt ins KZ.
So bin ich mit dem Soldat ins Reden gekommen. Ja, gibts denn sowas, hat er gesagt, die lassen uns da draußen erschießen, und unsere Frauen, die steckens in Häfen. Wir haben ja noch nie was gehört vom KZ! - Dann hören Sies eben jetzt von mir! Ich geh jetzt dorthin, und von dort komm ich nimmer wieder. Da bin ich überzeugt davon. - Ja, kann man da nix machen, kann man da nix machen, hat er gestöhnt. Ihr könnts schon was machen, hab ich gesagt, hauts euer Gewehr weg, schießts net einer am andern, sind doch alles Brüder. Erzählts nur weiter, was ein KZ ist, sagts es euren Kollegen draußen am Feld der Ehre! - Hab ich noch eine politische Rede gehalten. Mein Kiberer hat nur so herübergeschielt, gesagt hat er nix, da hab ich schon gewusst, wo der hingehört.
So haben wir geredet. Zwei Kinder hat er gehabt zu Haus, der Soldat. Er hat noch aus meinem Koffer gefressen, meine Schwägerin hat mir allerhand eingepackt für die Fahrt. Mein Urlaub ist jetzt erledigt, hat er gesagt. Der ist ganz fertig gewesen.
Dann sind wir ausgestiegen, in Fürstenberg. Das war die Bahnstation. Das KZ ist ganz versteckt gelegen, im Wald. Mein Kiberer hat mir den Koffer getragen, ein Stückl, zum Trost. Nur, wie er das KZ schon gesehen hat, sagt er, jetzt kann ich ihn nicht mehr weitertragen, jetzt müssens ihn selber nehmen. Alles Gute hat er mir gewünscht, ein bisserl verlegen, Was soll ich da noch sagen, hat er gemeint. Ich hab ihm meine Lebensmittelkarten gegeben. Was tu ich denn damit, hab ich mir gedacht, Dann hat er mich abgeliefert in der Kommandantur. Bald darauf sind unsere Leut schon gekommen, die Minkerl, die Jursa, die hab ich von draußen gekannt, die hat mich freudestrahlend begrüßt.

 

Die Minkerl war meine Familie. Natürlich hast du Freundinnen gehabt im Lager, die Lisa Gavric, die Anni Hand, die hab ich erst dort kennengelernt. Und die Minkerl hat gesorgt für mich. Sie war mit der Bures befreundet, die hat von der Küche immer was bringen können, das hat die Hermi dann geteilt mit mir. Durch ihr Handwerk hat sie Verbindung gehabt zur Wäscherei, sie hat mir die Wäsch gewaschen, sie hat mir heißes Wasser gebracht. Die Hermi war wirklich meine Familie.
In der Früh - ich konnt nicht so gut mit meinem schlechten Fuß, ich bin im dritten Stock oben gelegen - hat sie mir das Bett gebaut, das hat ja ausschauen müssen wie bei den Soldaten. Dafür bin ich rüber und hab den Negerschweiß für uns geholt: was ein Kaffee hätt sein sollen. Wir haben uns also ergänzt. Alles haben wir geteilt: den Kasten und wenn ich - was selten genug war - ein Packerl gekriegt hab. Wir sind miteinander spazieren gegangen, wir haben politisiert, wir haben uns erzählt. Alles, was ich gelesen, was ich gehört, was ich im Theater, im Kino gesehen hab, hab ich ihr geschildert. Stundenlang. Ich war ja eine Märchentant, ich hab gezehrt von dem, schon im Gefängnis, ich hab alle damit erheitert, Die Hermi wird dir das heute noch genau sagen können: Wie ich mit ihr gegangen bin, auf der Lagerstraße, und hab ihr von meiner ersten Reise erzählt. Von der Adriareise. Eine Studienfahrt vom Kleinen Blatt, auf einem Luxusschiff, Königin Maria hat das geheißen. Heute träum ich noch davon. Genau mit dem Urlaubsgeld hab ich sie mir bezahlen können.
Alle waren schön angezogen dort, nur ich hab nix gehabt. Einen Faltenrock und ein Bluserl, mehr nicht. Und ein Badekostüm, das hat auf allen Seiten nicht gepasst. Ich hab die Reise trotzdem genossen. Da hast du gesehen, wie die reichen Leut leben - Silber, Kristall, immer weiß gedeckt, und die Kellner hinter ihnen. In Dubrovnik, ich weiß nicht, ob du das kennst, da sind wir spazieren gegangen, und die Sterne waren so groß und deutlich. Eine wunderbare Stadt. Ich hab ja sonst nie was gehabt und gemacht im Urlaub. Da hat die Hermi dann den Wunsch gekriegt, sie möcht auch einmal so eine Reise machen. Das war damals wie ein Geschenk für sie.

 

Wir haben das schon so empfunden, dass wir die Auserwählten sind - sozusagen. Aber es war ja nicht anders möglich, die SS hätte sonst gar nicht mit uns gearbeitet. Wir durften nicht stinken, wir durften nicht ungewaschen sein - die haben ja solche Angst gehabt, sie könnten den Typhus kriegen! Die ersten Blocks waren die Vorzeigeblocks, vom Küchenpersonal, von den Angestellten in den Büros. Alle, mit denen sie unmittelbar zu tun hatten. Natürlich haben auch wir Appell stehen müssen. Aber wir konnten uns baden, die anderen nicht. Die sind im Dreck fast erstickt. Die anderen sind eingerückt von der Arbeit, sind in den Waschraum, dort war eh kaum ein Platz, und haben sich zuerst einmal die Läus abgesucht. Vom Bad gar keine Red. Die waren so ausgelaugt, so erschöpft, dass sie gleich reingschloffen sind - und nix wie schlafen! Auf den hinteren Blocks, da sind sie zu viert oft gelegen in einem Bett, ganz unmöglich die Zuständ. Ich hab sie ja kennengelernt, diese Blocks.
Da war eine, mit der ich heute noch in Verbindung bin. Sozusagen mein Schützling, im Gefängnis schon. Die ist mit mir in einer Zelle gesessen. Eine Jüdin war das. Ich bin ja, wie gesagt, privat ins Lager gefahren. Sie aber hat den ganzen scheußlichen Transport mitmachen müssen, tagelang in den verlausten Waggons. Sie ist dann runtergekommen, die Haare abrasiert, auf die Blocks, wo die Jüdinnen und auch die Grünen [Kennzeichnung der Häftlinge nach den Kategorien des KZ-Systems: Grüner Winkel - "Kriminelle"] waren. Ich hab sie immer besucht dort und hab ihr ein bissel was zu essen besorgt. Essen ist gut gesagt, Steckrüben halt, hat ja sonst nicht viel gegeben, ich hab sie oft nicht mehr riechen können. Aber den Magen haben sie doch gefüllt. Sonntags bin ich meistens zu ihr, schrecklich der Block, dort hast du gar nicht reden können. Hab ich sie ein bissl herausgeholt, bin spazieren gegangen mit ihr auf der Lagerstraße, haben wir so geredet miteinander. An der Grenze nach Italien ist sie verhaftet worden, auf der Flucht. lhr Sohn ist grad noch durchgekommen. Ich hab die Hedwig dann bei Siemens untergebracht, dort ist sie geblieben bis zum Schluss. Unsere Anni, die Vavak, hat sich gekümmert um sie. Die Hedwig ist wieder nach Haus gekommen, jetzt ist sie 93 Jahr.
Na ja, so waren halt mehrere noch. Ich hab ja viele besucht, wenn ich Zeit gehabt hab, auch auf den Krankenblocks, hab geschaut, dass ich einen Tee bringen kann, ich hab mit meiner Binde am Arm ja im ganzen Lager herumgehen können. Oft bin ich auch runter, dorthin, wo die Erdäpfel waren und die Rüben, wo unsere Frauen gesessen sind und gearbeitet haben. Die hab ich besucht und hab mir bei der Gelegenheit Rüben und Erdäpfel überall reingesteckt, in mein Gewand. Damit man solche, die am Verhungern waren, auch noch über die Runden bringt.

 

Die politische Leitung im Lager hat eigentlich die Mela [Ernst] aufgebaut. Sie und die Mara Ginsburg, die ist noch erschossen worden, Ende 44. Leider Gottes, wir haben das nicht verhindern können. Schon vorher hat jede von uns getan, was sie konnte, jede Nation hat illegal gearbeitet, Verbindungen untereinander hat es auch schon gegeben. Die Annerl, die neben mir im Arbeitseinsatz gesessen ist, war sehr stark mit den Tschechinnen und Polinnen verbandelt. Die [Hanna] Sturm wieder hat sich mehr mit den Deutschen zusammengetan. So ist eine ganze Reihe von Gruppen entstanden im Laufe der Zeit.
Die [Rosa] Jochmann, zum Beispiel, hat sehr viel geleistet für die Häftlinge. Als Blockälteste hat sie Möglichkeiten gehabt: Mehr Brot zu geben etwa, einmal der, dann wieder der, wer es halt grad am meisten gebraucht hat. Sie hat Meldungen unterdrückt, mit der einen Aufseherin hat sie einen guten Kontakt gehabt, dadurch hat sie Verschiedenes für uns durchsetzen können. Die Politischen, vor allem die aus Wien, hat die Rosa bei sich zusammengeholt. Ihr Block war die Heimat für uns alle. Zwei ganz junge Mädchen waren bei uns, für die ist sie wie eine Mutter gewesen. Auch für die jungen Russinnen dort.
Anfang 44 ist die Mela Ernst gekommen. Die hat das Ganze dann mehr zusammengefasst, die Verbindungen zu den verschiedenen Nationen noch ausgebaut. Eine schwere Kämpferin ist sie gewesen, illegal tätig schon seit dem 34er-Jahr, zuerst in Österreich, bei den Interbrigaden in Spanien dann. In Frankreich ist sie schließlich hochgegangen.
So ist es zum illegalen Komitee gekommen, in Ravensbrück. Ich war auch dabei. Möglichst jede Nation hat eine Vertretung geschickt. Besprochen hast du dich meist auf der Lagerstraße, um die Mittagszeit, wo es am wenigsten auffällig war. Da hat sich die SS nicht so viel geschert um uns. Ohnehin hat sich alles sehr schnell abspielen müssen. Wenn man gesagt hat, Sonntag um zwei, hat jede um Punkt zwei da sein müssen. Wenn eine nicht gekommen ist, hat man ihr bewusst gemacht, wie riskant das ist. Die Leut mussten hundertprozentig verlässlich sein. Da hängt ja viel dran, nicht nur dein Leben, das der anderen auch. Du hast den Kreis auch nicht so einfach vergrößern können. Je größer, desto gefährlicher wars. Bevor du eine hinzugezogen hast, hast du sie dir noch dreimal anschauen müssen. Natürlich hast du geredet mit der einen oder andern, ein bissl herausgehorcht, ob und wie viel du ihr anvertrauen kannst. Ist auch ein Gefühl gewesen, irgendwie haben wir schon gewusst, an wen man sich wenden kann.
Ende 44 ist vom Lagerkomitee die Parole ausgegeben worden, jede muss alles dazu beitragen, dass keine mehr unter die Räder kommt. Das war die Pflicht jeder Einzelnen, auch wenn sie keine Funktion gehabt hat. Alles zu tun, damit Leben erhalten wird. Die Mizzi, die Bures, zum Beispiel, war in der SS-Küche, die hat geschaut, dass sie Lebensmittel herbeischleppt noch und noch, für unsere Kranken. Wir vom Arbeitseinsatz haben mit den Blockältesten immer guten Kontakt gehabt, die haben ihre Leute gekannt, waren ja Hunderte auf jedem Block. Die haben die Parole weitergegeben, haben gesagt, Kinder seids vernünftig, schauts, dass euch erhalts, gehts euch waschen, kümmerts euch ein bissel um die und die. Das war unsere Aufgabe: herauszureißen. Lassts euch net gehen, putzts euch, suchts euch die Läus ab - jede Einzelne hätten wir damals gern noch hinausgebracht.
Es war auch eine politische Frage. Für uns hat es für nachher ja auch eine Pflicht gegeben. Drum haben wir Schulungen organisiert. Auf der Lagerstraße. Oder am Block. Mit der Bures, der Mizzi, bin ich stundenlang herumgerannt, hab ihr erzählt von Österreich, von der Geschichte, warum wir eine eigene Nation sind. Draußen sollten ja auch welche sein, die politisch ein bisserl versiert sind. Fast beschwingt waren wir manchmal, möcht ich sagen, für den Fall, dass wir rauskommen. Was man da alles angehen wird.

 

Anfang 45, wie die Auschwitzer zu uns gekommen sind, waren fürchterliche Zustände dort in dem Zelt, wo sie untergebracht waren. Wie die Fliegen sind sie gestorben! Täglich ist das Leichenkommando hin, hat die Toten zwischen den Lebenden herausziehen müssen, nicht einmal zum Umfallen ist Platz gewesen. Schreckliche Dinge haben sich abgespielt. Die waren ja total verhungert nach diesem Todesmarsch. Wie zum ersten Mal die Suppenkessel reingekommen sind, nach zwei Tagen erst, haben sies gestürmt, alles ist am Boden zerflossen. Die haben sich buchstäblich erschlagen dabei. Keine Toilette war und nichts, man hat eine Grube ausgehoben, und eine Stange darüber. Auf der Stange sind die Frauen gesessen, wie die Hendeln, die SS ist daneben gestanden und hat gegrinst.
Wie viele hast du schon retten können aus dem Zelt? Wie haben halt die paar herausgefischt, die wir gekannt haben. Das ganze Zelt hast ja nicht herausfischen können. Von denen haben wir sofort den "Stern" kassiert, damit sie nicht als Jüdinnen erkennbar sind. Die haben ja alle den "Judenstern" getragen. Ich hab ihnen einen roten Winkel [Kennzeichnung der Häftlinge nach den Kategorien des KZ-Systems: Roter Winkel - Politische] verpasst, so viel hast du schon mogeln können, ich hab ja die Kartei geführt. Tausend Sachen haben sich dort abgespielt, die SS hat ja nicht überall sein können.
Drei sind damals mitgekommen, die sehr gefährdet waren: drei Jüdinnen, zugleich im kommunistischen Widerstand aktiv. Die Wexberg Edith ist das gewesen, die Gerti Schindel und die Toni Lehr.
Bei der Lagerpolizei waren damals auch schon unsere Leut, überall sind die Genossinnen gesessen. Früher haben die Kriminellen sehr viel in der Hand gehabt, aber den Politischen ist es gelungen, denen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach und nach haben wir unsere Leut in wichtige Positionen gebracht. Eines Tages kommt eine zu mir von der Lagerpolizei, die Grassinger Mizzi, sagt, du, pass auf, die drei da werden gesucht, die müssen nach vorn zur Kommandantur. Da wussten wir schon, was das heißt: Sie werden reingeholt zum Erschießen. Was tun? Sag ich zur Mizzi, sobald du eine stehen siehst vorn bei der Schreibstube, sag, sie soll schnell ins Lager rennen, sofort ins Lager hinein. Die Aufseherin muss ja in die Schreibstube, melden, wenn sie eine daherbringt. Die Mizzi ist geschwind nach vorn, steht die Gerti schon da, die ist grad von Siemens gekommen, die war die Erste. Renn, renn, hat die Mizzi gesagt. Die Gerti hat das gleich kapiert und lauft mir wenig später direkt in die Händ. Ich war schon heraußen vom Arbeitseinsatz, hab mir gedacht, jetzt muss ich die einfangen. Ins Büro kann ichs mir aber nicht setzen, wo die SSler sind. Kommt mir grad die Jursa entgegen, die war beim Handwerk, die hat den ganzen Tag herumlaufen können. Sag ich, Minkerl, nimm die sofort, die Gerti, nimms mit und schau, dass sie wo verschwinden kann. Die hat gleich gespurt und ist mit ihr abgezogen. Sie hats dann bei sich im Industriehof in ein Felllager rein.
Inzwischen hab ich geschaut, dass ich die Danuta erwisch, eine national eingestellte Polin, war das, Blockälteste vom Polenblock. Mit der hast du Pferde stehlen können. Ich stöber sie auf, du, da haben wir drei zum Retten, die sind zum Erschießen gesucht, kannst du sie auf deinen Block nehmen? - Natürlich, natürlich, mit mir kannst du rechnen, ganz oben am Stock versteck ich sie. - Waren die drei dann zeitweise oben eingebaut bei ihr, in den Betten, reingesteckt, und so schwarze Decken darüber. Rühren haben sich die nicht viel dürfen.
Essen hast du auch müssen organisieren, Sagt die Danuta, pass auf, du gehst jetzt zur Martha Baranovska, die ist am Küchenblock, sag ihr, ich schick dich, ich brauch Essen für drei Leut. Na, ich geh, ich hab die Martha gar nicht gekannt, war auch eine Polin, eine Freundin von der Annerl. Die schaut mich nur an, ist in Ordnung, sagt sie, und es hat schon geklappt.
Natürlich sind sie gesucht worden, von der SS. Mit den Hunden sind sie marschiert, alle Blocks haben sie umgedreht, nach der Reih, Strafe sind wir gestanden, stundenlang. Aber sie haben sie nicht gefunden. Immer wieder haben wir sie woanders versteckt, wieder herausgezogen und woanders hinein. Drei oder vier Wochen lang. Das war nicht leicht, es hat ja auch den anderen Häftlingen nicht auffallen dürfen. Du hast nie gewusst, ob dich nicht eine verrät. War eine Wienerin da, eine Jungkommunistin, von ihrer Stellung im Arbeitseinsatz leider korrumpiert. Die ist einmal gekommen und hat gesagt, ich weiß eh, ihr machts da irgendwas, ich bin da net dabei, ich geh net ins Gas wegen euch! Wir haben gewusst, die Guggi würde uns aufhauen, wenn sie wirklich was sieht.
Es war schon gegen Schluss damals, Ende März, Anfang April. Die Russen sind schon immer näher gerückt, da war auch die SS mehr und mehr nervös. Früher hättest du so eine Sache ja gar nicht angehen können. So viele haben damals geholfen. Ich hab das Ganze nur ein bissel koordiniert. Allein hätt ich gar nichts ausrichten können.
Die Blockältesten, die mich ja gekannt haben, sind automatisch zu mir, du, pass auf, mein Block wird morgen genau kontrolliert, ich kann die nimmer behalten, schau, dass du sie wegbringen kannst. Fast täglich ist irgendsowas gewesen. Also, wo geb ich sie wieder hin? Zu den Rotarmistinnen hab ich sie gesteckt, zu den Typhuskranken haben wir sie gebracht, dann wieder hab ich sie zu den Leichenträgern gegeben. Oft ist mir schon gar nichts mehr eingefallen, wohin. Die Gerti ist mit dem Wagerl gefahren, hat die Toten geschleppt. Sogar im Leichenkeller war sie einmal versteckt. Am Tuberkulosenblock war unser Lenchen, die Spanienkämpferin, dort hab ich die Gerti dann hingebracht. Sind die Aufseherinnen gekommen, wollten dort suchen, aber unser Lenchen, die sagt, ja, bitte schön, aber ich übernehme keine Verantwortung, die sind alle schwer tuberkulös, wenn Sie angesteckt werden, ist das Ihre Sach. Sind die wieder weg. Aber ewig hat die Gerti dort auch nicht bleiben können, hat doch immer wieder eine Selektion gedroht.
Daran kann ich mich noch gut erinnern: Die Toni war typhuskrank, 40 Fieber hat sie gehabt, die war die längste Zeit am Revierblock versteckt. Ich hab sie wieder einmal von irgendwo geholt, da ist sie mir zusammengebrochen, auf der Lagerstraße, und hat gesagt, lass mich liegen. Es ist nix zu machen, tu dich net auch noch gefährden, ich kann nicht mehr. Haben wir sie halt abgeschleppt. Ich weiß nicht, wo ich sie wieder hingelegt hab.
In der Nacht bin ich gegangen und hab mir die beiden geholt. Ich hab sie doch zur Operation bringen müssen. Mit der Nummer am Arm hätten die nicht auf Transport gehen können. Damals sind schon diese Rot-Kreuz-Transporte raus aus dem Lager, nach Schweden, da hat es ein Abkommen gegeben mit der SS, dass Häftlinge aus Skandinavien und aus Ländem der westlichen Allianz abgeholt werden. Die Listen dafür haben wir vom Arbeitseinsatz geschrieben. Da haben wir natürlich versucht, unsere Gefährdetsten in diese Transporte zu schwindeln. Die Mela Ernst hab ich da rein, die Ilse Hunger, die Lisa Gavric. Und die Mathilde aus der Steiermark, die wollten sie immer vergasen, die längste Zeit schon ist sie gelähmt am Krankenblock gelegen. Wir haben aus Toten Lebendige gemacht und aus Lebendigen Tote. Sozusagen. Ich hab immer geschaut - jeden Tag sind ja noch welche gestorben - ob da eine passende Nummer verfügbar ist. Die hat dann eine von den unsern gekriegt, damit ist sie rausgegangen auf den Transport.
Die Jüdinnen aber sind tätowiert gewesen. Mit der Nummer am Arm hätten die leicht auffliegen können. Hab ich also Verbindung aufgenommen mit einer Ärztin aus Jugoslawien, ein Häftling ist das gewesen, ich hab ihr die Sache erklärt, ja, ich mach das, hat sie gesagt, ich schneid ihr die Nummer heraus. Um Mitternacht, in einem Nebenraum vom Arbeitseinsatz, ist es geschehen. Alles, was sie gebraucht hat für die Operation, hat sie mitgenommen aus dem Revier. Wir haben das Zimmer verdunkelt, dass kein Lichtstrahl nach außen dringt. Die Edith hab ich als Erste geholt. Die Toni hat nicht kommen können, die ist schwer krank gelegen, versteckt im Revier. Der hat eine polnische Ärztin später die Nummer entfernt.
Die Edith ist damals schon ziemlich fertig gewesen, ist uns zusammengebrochen, aber wir haben es ihr trotzdem gemacht. Die Gerti war phantastisch, bei der ist es wunderbar gegangen, nur ich hab dann versagt: Ich hätte das Fläschchen halten sollen, mit der Vereisung, über die Wunde, hab aber so gezittert, dass die Ärztin geschimpft hat: Wenn du so wackelst, kann ich nicht operieren. Nimmt mir die Gerti das aus der Hand und hält es sich selber - ganz ruhig hat sies gehalten.
Die sind verbunden worden, wir haben alles reingewischt, das Zimmer wieder in Ordnung gebracht, damit ja keine Spur zurückbleibt. Wie ich die beiden wegbringen will und vorsichtig schau, ob die Luft auch rein ist, vor der Tür, steht da plötzlich so ein dunkler Schatten vor mir. Wachst da heraus. Hab ich mir gedacht, jetzt ist alles aus. Alles entdeckt. War aber unsere Tatjana, auch eine Genossin, die hat ein Soldat aus dem Ersten Weltkrieg mitgebracht nach Österreich. Schreck dich net, sagt sie zu mir, ich hab mich nur da hergesetzt, damit ich aufpass auf euch. Wegen der Kontrolle, weißt. Ich hab geahnt, es geschieht was bei euch. Nacht war, saukalt wars, und die sitzt da stundenlang. Wie leicht hätt die Aufseherin sie erwischen können oder die Hunde. Unsere Russin, die Tatjana Rothfuß, ist das gewesen.
Bei der Edith aber ist es schon sehr brenzlig geworden. Die musste zum Franzosenblock, dort hat man diesen Roten-Kreuz-Transport zusammengestellt. Sie hat den Namen und die Nummer einer toten Französin gehabt. Komm ich mit ihr hin, stürzt auf einmal ein französischer Häftling daher, will ihr die Nummer herunterreißen, schreit und plärrt: Falsch! Falsch! Das ist die Nummer meiner Freundin! Auf französisch, Gott sei Dank. Die Freundin war gestorben, ein, zwei Tage vorher, im Revier. Die Französin hat davon ja keine Ahnung gehabt.
Hab ich mir gedacht, jetzt ist alles verloren. Der Obersturmbannführer, der Pflaum, ist dort schon gestanden und hat gezählt. Was soll ich tun, ich hab dort gar nix verloren gehabt, was ist, wenn er mich jetzt fragt? Die Blockälteste war auch ganz verwirrt, hat sich nicht ausgekannt, was ist, was ist denn da los? Ich hab immer mein Blockbuch dabei gehabt, wenn ich etwas durchsetzen wollte. Und meine Binde am Arm. Da warst dann schon wer. Hab ich also getan, als müsst ich etwas abstimmen mit der Blockältesten dort. Ich hab sie angefaucht: Reiß die hinein, sofort! Nimm sie hinein auf deinen Block, und dass sie ja net mehr schreit. Ich sag dir dann später, warum. Weg mit ihr! Ganz energisch bin ich gewesen, und die hat gefunkt. Hat sie abgeführt, die plärrende Französin. Der Pflaum schaut schon immer so her, der hat schon etwas gespannt. Ich red und red, letztendlich hab ich um unseren Kopf geredet. Ein richtiges Theater hab ich gemacht, damit ich das Ganze kaschier. Und dann ist die Edith eingereiht worden - und weg. Der Transport ist hinaus.
Am Schluss bin ich zusammengebrochen, ich muss dir das sagen. Wie alle drei schon aus dem Lager waren, bin ich auf meinen Block, bin auf meinem Bett gelegen und schlummer so weg. Ich hab ja die letzten Nächte gar nimmer schlafen können. Auf einmal werd ich munter, und es riecht, es riecht, es riecht bei mir wie nach Tannen. Hab ich mir denkt, na, jetzt bin ich halt tot. Jetzt lieg ich im Sarg, man hat mich da aufgebahrt. Bin aber ganz ruhig geblieben. Blumen hats keine gegeben dort, hat mir die Waldkolonne ein Reisig gebracht, links und rechts von mir, auf meinem Bett, sind Tannenzweige gelegen. Haben sie mir eine Freud machen wollen, dafür, dass die endlich gerettet sind.

 

 

In den Jahren 1982 bis 1985 wurden im Rahmen von zwei Forschungsprojekten von den Forscherinnen Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lisbeth N. Trallori und Lotte Podgornik Gespräche mit über 100 Frauen in ganz Österreich über ihren Widerstand und ihre Verfolgung geführt. Eine Auswahl der Erzählungen ist in zwei Büchern veröffentlicht: "Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938 - 1945", Promedia Verlag 1985. Zwei Jahre später erschien ein Buch mit weiteren Erzählungen: "Ich geb Dir einen Mantel, dass Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen", Promedia Verlag 1987. Aus diesem Buch stammt die Erzählung von Maria Berner.

 

 

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