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Kristo Srienc: Misah, Sidrah und Abdenago

Kristo Srienc, geb. 1910 in Pudlach/Podlaz. 1938 Priesterweihe. Festnahme im Zuge der Verhaftungen nach dem Überfall auf Jugoslawien im April 1941. Mehrere Wochen in Haft.

Verstorben 2002.

 

 

Meine Primiz war am 24. 7. 1938 in Neuhaus. Das war damals mitsamt seiner Umgebung noch gänzlich slowenisch. Die Zweisprachigkeit, die utraquistische Schule, kannten wir noch nicht. Die Germanisierungswelle kam hauptsächlich aus dem Lavanttal, und es wurde versucht, Neuhaus systematisch einzudeutschen. Als Primiziant wurde ich Bleiburg zugeteilt. Da war ich knappe zwei Jahre Kaplan. Unter den Bleiburger Bürgern war der nazistische Geist schon sehr stark verbreitet.

 

Es war am 29. 9. 1938, am Tag des historischen schicksalhaften Treffens Hitlers mit Mussolini, Chamberlain und Daladier in München. Ich wartete am Bleiburger Bahnhof auf meinen Freund Gustl Čebul, der sich dazu entschlossen hatte, auf eine Eingebung des Heiligen Geistes hin, könnte man fast sagen, in die Kartause von Pleterje einzutreten. Ich mochte ihn sehr und mag ihn auch heute noch. Der Zug hatte fast zwei Stunden Verspätung, und bei der Gelegenheit erschien dort der Beamte Šuligoj aus Dravograd, der eine Art jugoslawischer Geheimpolizist war. Ich unterhielt mich mit diesem Mann ein bisschen, und die deutsche Geheimpolizei beobachtete uns vermutlich vom Fenster des Bahnhofs aus. Drei Tage später, als ich nach Ravne zu Dr. Erat, einem Arzt, fuhr, fingen sie mich bei meiner Rückkehr im Zug ab. Ich durfte mich nicht mehr rühren und die Gestapo führte mich am Bahnhof ab. Ich musste mich nackt ausziehen. Sie durchsuchten mich und ließen mich mit der Drohung frei, sie würden mich ständig bewachen. Und wirklich, ich bemerkte, dass mir von dem Tag an, wenn ich irgendwohin ging, stets ein Schatten folgte.

 

Noch eine Episode aus der Bleiburger Zeit: In der Karwoche 1940 wurde ich als erster Priester unserer Diözese zur Musterung gerufen. Diese war am Kardienstag in der jetzigen Volksschule. Vor meinem Beichtstuhl warteten noch ca. 50 Menschen. Heute würden, glaube ich, in der ganzen Karwoche nicht mehr so viele kommen. Ich musste sie stehen lassen und in die Schule gehen. Dort grüßte ich den diensthabenden Hauptmann mit "Grüß Gott" und bat ihn um die Erlaubnis, den Wartenden die Beichte abzunehmen. Er erlaubte es mir gerne. Bei der Musterung grüßte ich konsequent mit "Grüß Gott". Die Bleiburger Gendarmerie fasste mich schließlich und drohte mir, wenn ich mich nicht des deutschen Grußes bedienen würde, mich zu kassieren. Am Ende der Musterung gab mir ein zivil gekleideter Beamter - ich glaube, er war von der Völkermarkter Bezirkshauptmannschaft - den Wehrpass hin und sagte, ich solle ihn unterschreiben. Ich verweigerte in meiner jugendlichen Unbekümmertheit die Unterschrift. Heute würde ich so etwas nicht mehr wagen, aber damals hatte ich mich getraut, als junger Mensch ohne Erfahrung. Ich verweigerte also die Unterschrift energisch. Der Beamte fragte mich, mit welchem Argument ich sie verweigere. Da berief ich mich auf das österreichische Konkordat, wonach kein Priester verpflichtet sei, militärische Verpflichtungen zu übernehmen. Der Beamte schmunzelte ein bisschen, nahm aber dann den Wehrpass zurück. Er blieb ohne Unterschrift, und ich musste bis heute nicht zu den Soldaten. Dem Herrn Kaplan Kutej, er war damals Kaplan in St. Michael, gefiel das derart, dass er das Gleiche ein Jahr später wiederholte, aber für ihn war das schicksalhaft, er wurde gleich am nächsten Tag arretiert und in das KZ Buchenwald gebracht.

 

Im März 1940 wurde ich nach St. Philippen versetzt, wo die heimischen Verräter meinen Vorgänger Polak nach Dachau beziehungsweise Oranienburg gebracht hatten. Der war zu offen gewesen in seinen Gedanken und Worten. Schon bald kam eine Urne mit seiner Asche ins Dorf, er war an einer "Lungenentzündung" gestorben. Jetzt hatte ich das Glück oder Unglück, seine Asche zu begraben. Das war eine gefährliche Sache. Es wimmelte nur so von Gestapo und Verrätern, die darauf warteten, wie ich den Mund aufmachen und was ich sagen, worüber ich möglicherweise stolpern würde. Ich machte das Begräbnis lateinisch, nicht ein Wort Deutsch oder Slowenisch, und so musste die Gesellschaft, die auf meine Verhaftung gewartet hatte, unverrichteter Dinge wieder abziehen. [...]

 

Zu Ostern 1941 wurde selbstverständlich auch ich abgeholt. Sie arretierten mich am Karmontag gegen 6 Uhr früh vom Altar weg. Der Gestapo-Mann im Auto witzelte noch: "Herr Pfarrer, nach dem Krieg kaufen wir alle einen Volkswagen." Sie brachten mich im Volkswagen weg. Ich dachte mir, du schon, du hast ihn ja schon, ich werde ihn vermutlich sowieso nicht brauchen. Denn auf dem Gendarmerieposten Miklauzhof empfing mich der Bezirkskommandant, beschimpfte mich wie einen Verbrecher und drohte mir, mich ins Konzentrationslager zu schicken. Im Eisenkappler Gefängnis leerten sie mir zuerst die Hosentaschen und sperrten mich in eine dunkle Zelle, ich glaube, Nummer 8. Sie brachten auch noch den Ebriacher Pfarrer Župan herein und den grauhaarigen Kommendator Šporn aus Rechberg sowie den Jurij Pasterk, einen aufrechten jungen Bauern aus Lobnig, der später in Wien geköpft wurde. Den Šporn ließen sie bald frei, Jurij Pasterk wurde in eine andere Zelle verlegt, so blieben wir mit dem Župan alleine und warteten jede Nacht darauf, unauffällig ins Konzentrationslager gebracht zu werden. Eines Abends klopfte jemand ans Fensterchen unserer Zelle. Es war Maria, die Köchin des Eisenkappler Dekans. Durch das Fenster reichte sie uns eine kleine Flasche echten Klagenfurter Klostergeist. Bei der Gelegenheit baten wir sie, den Dekan in unserem Namen um das Allerheiligste zu bitten. Der Kerkermeister, ein gewisser Damej, war uns wohlgesonnen. Es lebten damals auch in einer solchen Umgebung Menschen, die sich ein Herz, Anständigkeit und eine gewisse Liebe zu uns Priestern bewahrt hatten. Ich erkannte in ihm einen Freund und trug Maria auf, sie sollte uns am nächsten Abend in der Dämmerung das Allerheiligste schicken. Hinter dem Gefängnis sei ein Garten, rundherum ein Holzzaun und durch diesen Holzzaun sollte sie uns das Allerheiligste reichen. Zur vereinbarten Stunde brachte mir der Kerkermeister einen Überzieher. Ich nahm einen Kübel Asche und hantierte damit im Garten herum. Da kam auch schon der Kaplan Lex und brachte das Allerheiligste. In dem Moment meldete sich aus dem zweiten Stock der Richter, der sehr hasserfüllt gegen uns war. Er hatte ein paar Tage zuvor zum Kerkermeister gesagt: "Jetzt laden Sie Ihre Pistole, wir gehen in die Zelle 8, da sitzen die Pfaffen, ganz gefährliche Leute." Und gerade als ich das Allerheiligste in Empfang nehmen wollte, brüllte er von oben: "Wer ist da unten?" Ich antwortete schnell: "Der Kerkermeister." - "Ah so, bitte um Entschuldigung." Ich hatte ja den Überzieher des Kerkermeisters an.

 

Im Buch "Naši rajni duhovniki [Unsere verstorbenen Priester]" beschrieb ich seinerzeit alle Ereignisse rund um die Eisenkappler Geschehnisse. Dieses Abendmahl im Gefängnis hatte ich auch beschrieben, das war vielleicht das schönste Erlebnis meines Lebens. Im Arrest benannten wir uns nach den drei Jünglingen im brennenden Ofen aus der Bibel: Misah, Sidrah und Abdenago. Šporn war Misah, ich Sidrah und Župan war Abdenago. [...]

 

Nie zuvor und nie danach beteten Abdenago und ich so viel. Ich glaube, das war eine Art im Voraus bezahlten geistigen Kapitals. Fünf Wochen später kam ein Gestapo-Mann in die Zelle und legte uns einen Revers vor, den wir unterschreiben mussten. Darin stand geschrieben, dass wir innerhalb von drei Tagen die Pfarre zu verlassen, jeden Kontakt zu den Pfarrkindern und jegliche Amtshandlung zu unterlassen hätten, weitere Anweisungen würden wir auf der Diözese erhalten. Als ich am nächsten Tag nach Klagenfurt fuhr, um mir weitere Anweisungen bei Generalvikar Kadras zu holen, da wollte ich in Kühnsdorf im Zug einen freien Platz besetzen. Daneben saß eine Dame. Wie ich mich setzte, ich war im Priesterkleid, da schoss sie wie eine Schlange hoch und zischte feindselig: "Neben einem Pfaffen sitze ich nicht." Das war damals die vergiftete Denkwelt der Menschen. Und diese Dame traf ich 1951 in Sittersdorf als Lehrerin wieder. Auch dieses Beispiel zeigt, wie man in Kärnten vorgeht: schon ein paar Jahre nach Kriegsende wurde eine Person, die für Hitler geglüht hatte, als Erzieherin in unseren Schulen eingesetzt. Der Zweck heiligt eben die Mittel.

 

Nach meiner Vertreibung aus St. Philippen versetzte mich die Diözese nach Hohenfeld. Noch etwas möchte ich erwähnen. Zwei Tage blieb ich noch in St. Philippen und las jeweils um drei, vier Uhr früh heimlich die Messe. Das war mir ja verboten worden. Öffentlich. Die Menschen kamen heimlich über die Mundpropaganda in die Kirche. Nach der Messe legte ich mich für gewöhnlich gleich wieder hin. Ich glaube, es war am zweiten Tag nach meiner Freilassung, da lärmte jemand an der Küchentür. Die Köchin machte die Tür auf, und es war L., der Postenkommandant von Miklauzhof. "Was macht der Herr Pfarrer?" - "Der schläft." - "Ja was, jetzt liest er doch die Messe?" - "Nein, er liest keine Messe." - "Kann ich ihn sprechen?" Er kam zu mir und sagte: "Herr Pfarrer, ich komme offiziell um eine amtliche Auskunft. Besteht hier bei Ihnen eine Pfarrbibliothek?" Ich spürte sofort, was dahintersteckte, und sagte: "Herr Inspektor, ich muss Ihnen jede Auskunft verweigern, weil mir ja jede amtliche Handlung verboten ist." - "Ach so." Hätte ich gesagt, die Pfarrbibliothek existiert oder existiert nicht, er hätte mich sofort verhaften können. Ich hatte mich zurechtgefunden.

 

Nach Malta kam ich am 21. 12. 1941. Dort war ich auf den Tag genau vier Jahre, vom 21. 12. 1941 bis 21. 12. 1945. Meine Rückkehr war verbunden mit einer bitteren Enttäuschung. Der Generalvikar Kadras wollte schon früher, dass ich nach Suetschach oder Latschach gehe. Ich lehnte das auch diesmal energisch ab mit dem Argument: "Wenigstens für einen Monat will ich nach St. Philippen zurück, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird, denn mich hat nicht die Kirche versetzt, ich wurde auch nicht eines Fehlers wegen versetzt, sondern aus politischen und nationalen Gründen. Ich will meine Genugtuung, ich will zurück nach St. Philippen." Mein Nachfolger, d. h. mein Vertreter in der Zeit meiner Vertreibung, aber war der bekannte Pfarrer Muhar gewesen. Der hatte in der Pfarre gegen mich Unterschriften gesammelt und wollte auf diese Art meine Rückkehr verhindern. Auch dieser Schmerz und alles, was ich Bitteres und in den Jahren des Grauens erlebte, soll Gott geklagt sein. Und meinem toten Mitbruder verziehen.

 

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