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Heinz Mayer: Aus dem Verkehr gezogen

Heinz Mayer, geb. 1917 in Innsbruck. Mitglied bei Jung-Vaterland, der Vaterländischen Front und der Frontmiliz. Nach dem "Anschluss" 1938 Mitarbeit in der Widerstandsgruppe "Freies Österreich". Haft vom 14. 10. 1938 bis 17. 3. 1939. Zwangsverpflichtung in einen Rüstungsbetrieb. Frühjahr 1943 neuerliche Verhaftung, nach ca. dreieinhalb Monaten Haft im Arbeitserziehungslager Reichenau Überstellung in das KZ Buchenwald im Juni 1943. Am 7. 6. 1944 vom Sondergericht beim LG Innsbruck wegen "Vergehens nach dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien" zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt. Bis zur Befreiung 1945 im KZ Buchenwald in Haft.
Heinz Mayer galt nach den "Nürnberger Gesetzen" als "Mischling". Sein Vater Ludwig Mayer, ebenfalls Angehöriger der Gruppe "Freies Österreich", befand sich 1938/39 in Haft. Er wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und von dort 1944 nach Auschwitz überstellt und ermordet.

Nach 1945 Geschäftsführer, Frühpension wegen 100 % Invalidität, ab 1955 Trafikant, Präsident des Bundes der Opfer des politischen Freiheitskampfes in Tirol, Vizepräsident des Bundesverbandes österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus (KZ-Verband), Vizepräsident der Aktion gegen Antisemitismus, Gründungs- und Präsidiumsmitglied der Arbeitsgemeinschaft vaterlandstreuer Verbände Tirols, DÖW-Vorstandsmitglied.

Verstorben 1999.

 

 

Mein Vater musste also nach Wien. Ich bin dann hinuntergefahren, ich war aber als jüdischer "Mischling" wehrpflichtig, bekam die Einberufung, 1939 im Herbst, zur Musterung nach Innsbruck, wurde ausgemustert. Aber nur als tauglich ohne Waffe wegen politischer Unzuverlässigkeit. Ich habe mich dann bemüht, beim Arbeitsamt einen Posten zu bekommen, ich hätte damals bei der Volkshilfe Lebensversicherung einen Posten bekommen, das wurde nicht genehmigt. [...] Und obwohl man für alle Bereiche Leute gesucht hat, hat man einen "meinen Vorkenntnissen entsprechenden Posten" nicht gefunden und hat mich als Hilfsarbeiter dienstverpflichtet zum Bau der Wohnungen, die begonnen wurden für die Südtiroler Umsiedlungsaktion drunten an der Sill. Nachdem diese Häuser dann fertig waren, bin ich wieder weiterverpflichtet worden durch das Arbeitsamt unter Auftrag der Geheimen Staatspolizei in einen Rüstungsbetrieb, der nicht Munition erzeugt hat, sondern der die Desinfektion der ganzen Militäruniformen zu machen gehabt hat und auch die Umfärbung der erbeuteten Uniformen auf deutsche Farben. Wir hatten dann dort auch französische Kriegsgefangene beigezogen. [...] Das waren alles Leute, die wirklich gegen Hitler gearbeitet haben und bereit waren, etwas zu tun. Was konnte man tun? Möglichst langsam arbeiten, möglichst viel verpfuschen, aber so, dass es dem Betreffenden nicht den Kopf gekostet hat. [...] Eines Tages [im Frühjahr 1943] bin ich dann plötzlich von der Gestapo verhaftet worden. Das war eigentlich das "angenehmste" Verhör, das ich bei der Gestapo gehabt hab, denn das Verhör bestand nur darin, dass man mir erklärt hat, ich werde jetzt aus dem Verkehr gezogen, ich komme in ein Lager, und danach werden wir weitersehen. Ich kam also von der Gestapo direkt in das Lager Reichenau.

 

Die Arbeitsbedingungen waren gleich streng wie im KZ. Es wurden also die Häftlinge des Lagers dazu missbraucht, aus dem Inn Schotter herauszuholen. Zur damaligen Zeit hat die Stadt Innsbruck - ich glaube, von Mailand - alte Obusse angekauft, und die Häftlinge des Lagers Reichenau mussten die ganze Trassierung bis hinauf machen, die ganzen Betonmassen und die Straßenfundierungen, das wurde also alles zu billigsten Preisen von den Häftlingen für die Stadt Innsbruck gemacht. [...] Das Unangenehmere in Reichenau zum Unterschied von Buchenwald war, dass durch die Kleinheit des Lagers und die mengenmäßig überzogene Stärke der SS jeder Häftling fast den ganzen Tag unter den Augen eines SS-Mannes gestanden ist. Es waren daher auch die Einzeltorturen, wie Froschspringen oder Kniebeugenmachen, Rundenlaufen usw., viel öfter als in Buchenwald, wo natürlich die SS mengenmäßig herabgesetzt war unter der ganzen Lagerstärke, denn wir haben Blöcke gehabt, die haben gegen den Normalbestand von 400 über 1000 Überbelag gehabt, da war nur ein Blockführer zuständig. Ebenso war es bei den Arbeitsgruppen. Wir haben Arbeitskommandos gehabt, da waren 600, 700 Häftlinge und sechs oder acht SS-Leute. Bei einem Arbeitskommando in der Reichenau waren vielleicht zehn Häftlinge oder 15 Häftlinge und fünf SS-Leute. Daher also, das Ein-bissel-Ausrasten oder das Ein-bissel-sicher-Fühlen war in Reichenau schlechter als in Buchenwald, wo du doch unter der Masse untertauchen konntest. [...]

 

In Buchenwald hab ich das große Glück gehabt nach etlicher schwerer Zeit im Entwässerungskommando, wo ich sicherlich nicht mehr sehr lange überlebt hätte, dann auf die Poststelle zu kommen, wo man doch verhältnismäßig - zumindest vor Witterungseinflüssen - geschützt war und die Arbeit wesentlich leichter war wie woanders. [...]

 

Ursprünglich war es ja sehr schwierig für uns. Da wir Deutsch gesprochen haben, haben die ausländischen Kameraden gesagt: "Ja schön, aber ihr seids doch Deutsche." Also selbst als Häftlinge waren wir doch Deutsche. Und dabei muss ich sagen, dass gerade für uns Neuankömmlinge, wir waren ja sozusagen die zweite Gruppe zusammen mit den Tschechen bzw. "Protektoratlern", die ins Lager gekommen ist, wir haben natürlich profitiert davon, dass uns die "alten Hasen" gesagt haben, passts auf das auf, machts das so. Es wären viele von uns wahrscheinlich schon in den ersten Tagen irgendwie durch den "Kamin" gegangen, wenn wir nicht die entsprechenden Vorwarnungen von den alten Kameraden dort erhalten hätten. Erst 1944 hat sich dann ergeben, dass eine internationale Zusammenarbeit unter den einzelnen Nationen im Lager möglich gewesen ist. Es hat natürlich dann sehr große Schwierigkeiten gegeben. Die SS hat sich bewusst in diese inneren Angelegenheiten nicht eingemischt. [...] Die SS hat es sehr einfach gemacht. Der Chef des Arbeitseinsatzes, meistens ein Oberscharführer oder Hauptscharführer, hat dem Kapo der Arbeitseinsatzstelle, also einem Häftling, aufgetragen, wir brauchen übermorgen soundso viel, was weiß ich, 5000 Maurer, soundso viel Hilfsarbeiter, das oder das. Natürlich, sie mussten ja Leute stellen, und ich weiß selber, weil ich mit vielen, die sehr hoch dort waren, also Lagerältesten, durch meine Funktion in der Poststelle gesprochen hab, welche enorme seelische Belastung das für sie war. Auf der einen Seite haben sie natürlich versucht, verhältnismäßig kräftige Leute, das waren also Leute, die im Lagerschutz, bei der Lagerfeuerwehr usw. waren, die etwas besser ernährt wurden, oder Vorarbeiter in Rüstungsfabriken, die auch etwas mehr zu essen bekommen hatten, im Lager zu erhalten, für den Fall, dass es zu einem Aufstand kommt. Und natürlich jeder, der in ein [Außen-]Lager hinuntergekommen ist, der war dann böse für diese Entscheidung. Obwohl man es ja vorher nicht gewusst hat. Es hat viele gegeben, die dann sehr glücklich waren, weil sie das Glück gehabt haben, in ein Lager zu kommen, wo sie verhältnismäßig durch die Einsichtigkeit des betreffenden Lagerführers und durch die Tätigkeit, die sie verrichten mussten, ein verhältnismäßig - ich muss immer sagen: verhältnismäßig - leichteres und sichereres Leben gehabt haben wie andere, die z. B. in Köln-Deutz und solchen Maschinenfabriken gewesen sind, wo also bei der kleinsten Sabotage sofort die Leute erschossen worden sind als abschreckendes Beispiel. [...]

 

In den Schulen wird mir ja oft die Frage gestellt: "Wie konnte man überleben?" Dafür gibt es keine Regeln. Das Wichtigste war, dass man sich selbst in der Hand gehabt hat, dass man an sein politisches Ziel geglaubt hat, dass man versucht hat, seine Kräfte so gut wie möglich im Zaum zu halten und vor allem die Kameradschaft zu pflegen, denn Kameradschaftsdiebstahl hat meistens mit dem Tod geendet. Was auch klar ist. Zum Beispiel 1945 ist ein Haufen, zahlenmäßig konnte das überhaupt nie erfasst werden, ein so genannter "Evakuierungstransport" angekommen, denn alle die Lager, Groß-Rosen, Neuengamme usw., die im Anmarschgebiet der Roten Armee oder der amerikanischen oder der englischen Armee gelegen sind, sind nach Buchenwald, das ja bei Weimar liegt, zusammengezogen worden. Wir haben natürlich selber schon fast nichts zu essen gehabt. Die sind dann in Zelten im "Kleinen Lager", wie die frühere Gärtnerei genannt wurde, untergebracht worden. Hatten nichts oder fast nichts zu essen. Und wir - der Lagerschutz speziell und auch der Sani-Trupp - hatten die schwere Aufgabe, den Leuten klarzumachen, dass es nicht geht, wenn man Tote drinnen lasst, nur damit man das eine Schnitterl Brot [bekommt], das für den ganzen Stall ja sowieso nichts ausmacht, aber eine Gefahr darstellt. Denn wenn irgendeine Epidemie dort ausgebrochen wäre, dann wäre das Ganze in die Luft gesprengt worden. Es hätte dort also in keiner Weise vielleicht eine Desinfektion oder was gegeben, sondern der ganze Teil wäre in die Luft gesprengt worden.

 

Es war ja erlaubt, einmal im Monat ein Paket von zu Hause zu bekommen, das aber genau durchsucht wurde, wobei die SS sich dann Alkohol und Zigaretten gleich selber unter den Nagel gerissen hat. Und da wurde dann auch immer auf den Stubentischen für jene Kameraden ausgeteilt, die gar niemanden hatten, der ihnen etwas schicken konnte, und auch für Häftlinge, die in Strafkommandos waren und also schwer arbeiten mussten und nichts bekommen haben. Das, muss ich sagen, ist das Schöne, wenn man an die KZ-Zeit zurückdenkt, dass es eine Solidarität gegeben hat, die es unter normalen Umständen überhaupt nicht geben würde. Es war einer so auf den anderen angewiesen und einer so mit dem anderen verbunden, dass es wirklich eine Ausnahme war, wenn einer einmal aus der Rolle gefallen ist und vom Nachbarn das Brot gestohlen hat. 

 

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