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Albert Sternfeld: Jedenfalls fühlte man sich dort ganz zu Hause

Albert Sternfeld, geb. 1925 in Wien. 1938 mit Kindertransport nach Großbritannien, 1940 nach Palästina, wo er seine Eltern wieder traf. 1943 zur britischen Armee, in Ägypten Mitglied des "Free Austrian Movement". In Israel Mithilfe beim Aufbau der israelischen Luftwaffe.

1966 Rückkehr nach Wien. Leitende Position in der Versicherungsbranche. Initiator von Restitutionsabkommen und Entschädigungsleistungen für die "Ex-38er" (ab 1938 aus Österreich vertriebene Jüdinnen und Juden). Mitglied des Kuratoriums des DÖW. Publizistische Tätigkeit, u. a. "Betrifft: Österreich. Von Österreich betroffen" (Böhlau 1990, 2. aktual und erw. Aufl. 2001).

Verstorben 2007.

 

 

[1943 lebt Albert Sternfeld in Palästina.]

 

Ich hatte mir damals bereits vorgenommen, sobald man mich nehmen würde, den britischen Streitkräften beizutreten. Es stellte sich heraus, dass man unter 18 Jahren niemanden nahm. Ich habe mich im Jänner 1943, also einige Wochen vor meinem 18. Geburtstag, gemeldet, wurde für den 18. Geburtstag aufgerufen und bin kurz darauf in die britischen Streitkräfte eingetreten. In der Zwischenperiode seit der Einwanderung in Palästina im Mai 1940 bis Mitte 1943 hatte ich sicherlich keinerlei Gedanken an Österreich. Die Vorgänge vor der Flucht waren noch zu frisch in Erinnerung. Man hatte andere Sorgen, man war ja aus "rassischen" Gründen aus Österreich weggegangen, nicht aus politischen, zumal ich ja bei der Auswanderung noch kaum 14 Jahre alt war und daher keine politische Motivation hatte. Die Zeit war nicht geeignet, um sich über die Politik oder die Zukunft Österreichs Sorgen zu machen, das muss klar gesagt werden.

 

Nach dem so genannten Basic Training [Rekrutenausbildung] in Amman, heute Jordanien, kam ich im Juni 1943 zum ersten militärischen Einsatz in Ägypten. Kurz darauf hatte ich ersten Kontakt mit Österreichern. Der Großteil der Truppenangehörigen in Ägypten waren Briten, Australier, Neuseeländer, Amerikaner und Inder. Unter den britischen Soldaten befanden sich zahlreiche, die sich in Palästina zum Militär gemeldet hatten. Darunter war eine nicht kleine Anzahl von Österreichern, eine genaue Zahl kann ich aber nicht nennen. Später kamen dazu Österreicher, die in den amerikanischen Streitkräften dienten, Österreicher, die in freier tschechischer, freier französischer und ganz wenige, die in freier polnischer Uniform waren. Unter den freien tschechischen und freien französischen Soldaten gab es eine Reihe von emigrierten Österreichern, die teils aus politischen und teils aus "rassischen" Gründen Österreich hatten verlassen müssen. In Kairo gab es im Sommer 1943, als der Krieg von Ägypten schon etwas weiter weggerückt war, schon eine größere österreichische Gruppe. Bereits im Juli war ja die Landung der Alliierten in Sizilien. Nordafrika war im ersten halben Jahr 1943 von den Alliierten erobert worden. Der Krieg war somit damals weit weg, und man hatte Atem schöpfen können, um ein bisschen in die Zukunft zu schauen. Die vielen Österreicher, in allen möglichen Uniformen, auch Zivilisten, die aus dem einen oder anderen Grund in Kairo wohnhaft waren, trafen einander, es gab eine Reihe von Clubs, wo die Soldaten verschiedener Nationen zusammenkamen. Es gab auch internationale Clubs, es gab Salons, wo die verschiedenen Familien in Kairo, die aus Österreich, Ungarn, der Tschechoslowakei und Deutschland stammten, die Soldaten zu sich einluden. Es kristallisierte sich eine Gruppe heraus, die auch anfing, über Politik nach dem Krieg zu sprechen. Anfang Frühjahr 1944 wurde ich erstmals aufmerksam gemacht auf regelmäßige Treffen von freien Österreichern, die sich dann im März als "Free Austrian World Movement", Sektion Ägypten, konstituiert haben, deren Leiter der in der Zwischenzeit verstorbene Fritz Goldscheider war.

 

Es dürfte im Frühjahr 1944 gewesen sein, als ich zum ersten Mal im Hause Goldscheider war. [...] Dort trafen sich jeden Sonntag Nachmittag bei einer Art "open house" Wiener. Fritz Goldscheider referierte 10-15 Minuten über das Neueste aus Österreich. Er schien gute Informationsquellen zu haben. Es wurde eher freundschaftlich über die Zukunft Österreichs diskutiert. Man brachte immer wieder neue Leute, die in Kairo auftauchten und aus Österreich stammten, zu diesen Treffen. Ich besitze noch heute die Mitgliedskarte des "Free Austrian World Movement", wo die Mitgliedsbeiträge von 1944-1946 von Fritz Goldscheider jeden Monat brav abgehakerlt wurden. Diese Meetings gingen also jeden Sonntagnachmittag mit wechselnder Besetzung weiter, wobei ca. sechs oder acht Personen immer wieder dieselben waren. Das waren Österreicher, die entweder als Zivilisten in Kairo lebten oder Militärpersonen, die in oder um Kairo stationiert waren. Goldscheider hat - er lebte bestimmt nicht im Überfluss - das bescheiden, aber sehr nett gemacht, sodass man sich auch ein bisschen bewirtet fühlte. Es ist heute schwer zu rekapitulieren, wie viele von den Teilnehmern an diesen Treffen tatsächlich politisch motiviert waren, an die Zukunft Österreichs ernsthaft dachten und mitarbeiteten oder nur aus ihren Camps einmal herauswollten und in einem gepflegten bürgerlichen Haus - Goldscheider war engagierter Sozialist, hatte aber eine Wohnung, die etwa wie eine Wiener Wohnung aussah - einige Stunden verbringen wollten. Jedenfalls fühlte man sich dort ganz zu Hause - wie in Wien.

 

Soldaten, die aus Palästina kamen, hatten, wie auch die anderen, nachdem der Krieg aus diesem Gebiet bereits in die Ferne gerückt war, viermal im Jahr eine Woche Urlaub. Da meine Familie in Palästina lebte, habe ich diesen Urlaub zumeist in Palästina verbracht. Zivilisten war es damals nicht möglich, ohne Weiteres zwischen Palästina und Ägypten zu reisen, dazu waren verschiedene Dokumente notwendig. Die meisten Ex-Wiener, Tschechen und Ungarn hatten Schwierigkeiten mit ihren Papieren, mit ihren Staatsbürgerschaften. Sie alle hatten keine ägyptische Staatsbürgerschaft gehabt, die meisten waren staatenlos. Fritz Goldscheider bat mich daher, es muss wohl Mitte 1944 gewesen sein, bei meinen Reisen nach Palästina Nachrichten an die Herren des Komitees der "Bewegung Freies Österreich" in Palästina mitzunehmen oder weiterzuleiten. Aufzeichnungen darüber besitze ich nicht, denn ich wurde damals schon ausdrücklich gebeten, keine zu machen. Es war zwar nicht ausgesprochen gefährlich, aber weder mir als britischem Soldaten noch Fritz Goldscheider als in Ägypten geduldetem, quasi feindlichem Ausländer wäre es angenehm gewesen, wenn man Papiere gefunden hätte. Briefe, wenn überhaupt, waren eher harmloser, persönlicher Natur, sie waren alle auf Englisch geschrieben, sodass im Falle einer Zensur dieser Briefe auch nichts geschehen wäre. [...] In Tel Aviv besuchte ich einen Herrn Dr. Ceiss, der die Herren Winterstein und Dr. Czempin dazu einlud, die beiden waren immer dabei. Ein vierter Herr war auch manchmal dabei. Ich kann mich an den Namen nicht mehr erinnern. Ich war damals 19, 20 Jahre alt, politisch natürlich völlig unerfahren und war eine Art Kurier von Goldscheider in Kairo, Sektion Ägypten. In Palästina gab es, glaube ich, eine organisierte Sektion, man gehörte nicht zur Sektion Ägypten. Für mich als junger Mann, der sehr eifrig bei der Sache war und echt motiviert war, kam es dann als großer Schock, als drei oder vier alte Herren, die waren alle damals schon 55, 60 Jahre alt - für einen Zwanzigjährigen eben alte Herren -, statt über die Zukunft zu sprechen, die einen Zwanzigjährigen interessiert, über alte Parteiquerelen aus den 20er und 30er Jahren auspackten, zum Teil in ideologische Diskussionen eintraten, die noch vor den Ersten Weltkrieg zurückgingen. Ich muss dort zum ersten Mal vom Parteitag 1889 [Gründungsparteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs in Hainfeld] gehört haben. Ich habe dabei sehr viel gelernt. Es ist aber für einen jungen Mann, der sehr, sehr agil ist und etwas tun will, äußerst störend, wenn ältere Leute da in der Vergangenheit wühlen. Und ich habe dementsprechend Goldscheider bei meiner Rückkehr nach Kairo beim ersten Mal mit Entsetzen berichtet, dass diese alten Herren ja fürchterlich seien, mit denen könne man ja nichts anfangen. Goldscheider sagte dem Sinne nach: "Das sind derzeit die einzigen Österreicher im wahrsten Sinne des Wortes. Die Jungen wie du sind ja noch nicht ganz so weit." Da mag er vielleicht gar nicht so unrecht gehabt haben.

 

Ich habe diese Missionen vier- oder fünfmal 1944 bis Anfang 1946 für Goldscheider durchgeführt und bin immer mit denselben Herren zusammengetroffen.

 

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