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Zum Projekt "Im Visier von Gestapo und NKWD"

Hans Schafranek fasst die historischen Abläufe zusammen

Rekrutierung und Ausbildung

 

Nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR meldeten sich zahlreiche ausländische Politemigranten zum Dienst in der Roten Armee, die jedoch nur einen kleinen Prozentsatz dieser Freiwilligen aufnahm und in regulären Einheiten verwendete. Hingegen legte man auf sowjetischer Seite trotz der anfänglichen militärischen Desaster großen Wert auf die rasche Ausbildung von Funk- und Fallschirmagenten, die im Hinterland des Feindes tätig werden sollten. Diese als Kundschafter vorgesehenen Deutschen und Österreicher (in geringer Anzahl auch Polen, Bulgaren, Ungarn und Holländer) verfügten teilweise zwar über militärische bzw. militärpolitische Erfahrungen aus den zwanziger und dreißiger Jahren (z. B. ehemalige Funktionäre des kommunistischen Rotfrontkämpfer-Bundes, Schutzbund-Emigranten, Spanienkämpfer usw.), infolge langjähriger Emigration waren sie mit den seit 1933/34 gravierend veränderten politischen und sozialen Verhältnissen in ihren Heimatländern jedoch kaum vertraut - ein Mangel, der katastrophale Fehleinschätzungen bewirkte und in Verbindung mit einer Reihe anderer Faktoren den meisten Kundschaftern zum Verhängnis wurde. Die Ausbildung der Funker und "Residenten" fand in einigen streng abgeschirmten Schulen außerhalb Moskaus statt, im Herbst 1941 wurden diese Einrichtungen in die Umgebung von Ufa evakuiert.

In politischer, administrativer und technischer Hinsicht unterstanden die zum Einsatz im "Deutschen Reich" oder in den besetzten Gebieten bestimmten "Aufklärer" drei verschiedenen Institutionen: der 1. Hauptverwaltung des NKWD (Volkskommissariat für Inneres), der 4. Abteilung im Generalstab der Roten Armee (auch bekannt unter dem Kürzel GRU) oder dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (Komintern).

Zu den vielfältigen Aufgabenbereichen der sowjetischen Fallschirmagenten in Deutschland gehörten u. a.: Informationen über Truppenbewegungen, das Transportsystem und Industrieanlagen; politische Stimmungsberichte; Vorbereitung und Durchführung von Sabotageakten; Attentate auf prominente Repräsentanten des NS-Staates; Gründung bzw. Unterstützung von antifaschistischen Widerstandsgruppen; Aufbau bzw. Kontrolle kommunistischer Untergrund-Organisationen und nicht zuletzt auch die Etablierung von Spionagenetzen.

 

Einsätze

 

Die aus Moskau eingeflogenen "Aufklärer" wurden mit gefälschten Papieren und entsprechender Ausrüstung teils über dem weißrussischen Partisanengebiet abgesetzt, teils im polnischen "Generalgouvernement" oder in Ostpreußen, ab 1944 auch in der Slowakei oder Ungarn. Von der Absprungzone mußten sie, gelegentlich unter Zurücklassung der Funkgeräte, die vergraben wurden und erst nach der Etablierung sicherer Stützpunkte abgeholt werden sollten, weite Strecken zurücklegen, bevor sie die vorgesehenen Einsatzgebiete (Berlin, Ruhrgebiet, Wien usw.) erreichten.

Die hier skizzierten, zumeist nur aus zwei bis drei Personen bestehenden Kundschafter-Gruppen unterschieden sich bezüglich Aufgabenstellung und Zusammensetzung von den üblicherweise größeren Fallschirmagenten-Gruppen, die im Rahmen von bzw. in Verbindung mit sowjetischen Partisaneneinheiten operierten. Hier überwog der Anteil an ehemaligen, als politisch zuverlässig angesehenen deutschen Kriegsgefangenen (oft Teilnehmer der ANTIFA-Schulen in Krasnogorsk, Talici usw.) aus dem Umfeld des NKFD (Nationalkomitee Freies Deutschland) oder Wehrmachts-Deserteuren, die - in der Regel von einem sowjetischen Offizier angeführt - eingesetzt wurden, um deutsche Soldaten propagandistisch zu beeinflussen oder direkt zum Überlaufen zu bewegen. Auch die in solchem Kontext agierenden Kundschafter mußten einen hohen Blutzoll entrichten, sie waren aber bei weitem nicht in jenem Ausmaß isoliert wie die in Deutschland tätigen Agenten.

In der letzten Kriegsphase, d. h. ab der sowjetischen Großoffensive im Januar 1945, kam es zu Masseneinsätzen von Fallschirmagenten hinter den feindlichen Linien. Auch bei diesen Unternehmen bestand ein großer Prozentsatz der Beteiligten aus deutschen Kriegsgefangenen, eine spezifische Ausbildung fand nicht mehr statt. Politische Aufgaben hatten die betreffenden Personen nur in seltenen Fällen zu erfüllen, zumeist handelte es sich um sogenannte "Frontaufklärungstrupps".

Aus geographischen und logistischen Gründen (mangelnde Reichweite sowjetischer Bombenflugzeuge) nutzte das NKWD zwischen 1941 und 1943/44 neben den früher genannten auch andere Möglichkeiten, um (potentielle) Widerstandskämpfer und Agenten in das "Deutsche Reich" bzw. nach Westeuropa zu transferieren: Im Rahmen eines - erst im Kontext projektspezifischer Vorarbeiten bekanntgewordenen - Geheimabkommens (September 1941) zwischen dem NKWD und der auf militärische Sabotageeinsätze im Ausland spezialisierten britischen Geheimorganisation SOE (Special Operations Executive) verpflichteten sich die Unterzeichner (B. Nikolajew/D. R. Guinness) unter anderem zu einer wechselseitigen Unterstützung bei der Durchführung von Widerstands- und Sabotageaktionen in den von den Nazis besetzten europäischen Ländern. Während die Briten diese Möglichkeit kaum in Anspruch nahmen, transferierten die Sowjets zahlreiche Agenten, deren Identität den englischen "Bündnispartnern" in den allermeisten Fällen verborgen blieb, nach Großbritannien - zumeist von Murmansk oder Archangelsk aus, wo die betreffenden Personen von alliierten Geleitzügen "übernommen" und auf dem Seeweg nach Schottland gebracht wurden. Nach einer längeren Spezialausbildung in SOE-Lagern beförderte die Royal Air Force (RAF) die sowjetischen Kundschafter nach Frankreich, Belgien, Holland oder in das "Deutsche Reich", wo sie per Fallschirm über dem vom NKWD-Führungsoffizier festgelegten Zielgebiet abgesetzt wurden, sofern die Witterungsverhältnisse und Mängel der deutschen Luftabwehr dies erlaubten. Die von Konflikten und gegenseitigem Mißtrauen geprägte Kooperation zwischen NKWD und SOE wird im Rahmen des Projektes ebenso ausführlich zu behandeln sein wie die Überlebensbedingungen der vor allem in Deutschland und Österreich operierenden Akteure. Nur wenigen der zumeist in Zweier- oder Dreiergruppen abgesprungenen Kundschafter gelang es, sich längerfristig in bestehende illegale Organisationsstrukturen zu integrieren oder neue Widerstandsnetze aufzubauen. Die meisten Agenten scheiterten nach kurzer Zeit an den Problemen bei der Quartierbeschaffung, sofern sie nicht bereits beim Absprung von der Polizei gefaßt wurden oder V-Leuten (Konfidenten) der Gestapo in die Arme liefen. Neben den wenig erfolgreichen "Aufklärern" gingen auch Hunderte Kontaktpersonen (z. B. kurzfristige Quartiergeber bzw. Quartiervermittler) und Angehörige den NS-Verfolgern ins Netz.

 

Verfolgung

 

Insbesondere nach dem gelungenen, von einer exiltschechischen Widerstandsgruppe verübten Attentat auf Reinhard Heydrich (Mai 1942) nahm die Jagd auf FalIschirmagenten und deren Helfer einen erheblichen Stellenwert im Rahmen des nationalsozialistischen Repressionsapparates ein, wobei nicht bloß die Gestapo involviert war, sondern auch der SD, die militärische Abwehr, Parteistellen usw.

 

Die meisten der über dem "Deutschen Reich" abgesetzten sowjetischen Funk- und Fallschirmagenten wurden in Konzentrationslager eingeliefert und ermordet. Andere zwang die Gestapo zu sogenannten "Funkspielen", d. h. zur funktechnischen Irreführung der ursprünglichen Auftraggeber. Weiters wurden durch diese "Funkspiele" zahlreiche illegale Verbindungen aufgedeckt und in etlichen Fällen sogar neue Kundschafter aus Moskau angefordert, welche die Gestapo dann entweder unmittelbar nach der Landung oder nach längerer Beobachtungszeit verhaftete. Nach der Befreiung galten den Sowjets grundsätzlich fast alle überlebenden Funk- und Fallschirmagenten als "Verräter" und "NS-Kollaborateure". Etliche unter ihnen wurden 1945 verhaftet und in die UdSSR deportiert.

 

 

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