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Gedenkveranstaltung anlässlich der Beisetzung von Opfern des Spiegelgrundes

Rede von Andreas Kranebitter am 1. Dezember 2025

 

Sehr geehrter Herr Vizekanzler, 
sehr geehrter Herr Innenminister, 
sehr geehrte Damen und Herren!


Ich darf Ihnen nun die Geschichten von drei Opfern erzählen, die wir hier heute symbolisch beisetzen. Sie können nicht stellvertretend für alle 19 Kinder stehen, die Am Spiegelgrund ermordet wurden, denn jede einzelne ihrer Geschichten sollte erzählt und erinnert werden. Aber sie stehen exemplarisch für den nationalsozialistischen Terror gegen die Schwächsten unserer Gesellschaft, für den nationalsozialistischen „Krieg gegen die angeblich ‚Minderwertigen‘“. 
So heißt die Ausstellung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, die seit Jahrzehnten am Otto-Wagner-Areal in der „Gedenkstätte Steinhof“ über die Medizinverbrechen aufklärt. Seit langem hat das DÖW in Gestalt seines früheren Leiters Wolfgang Neugebauer und von Herwig Czech und Peter Schwarz die Geschichte erforscht, und es wird uns, die wir nun das DÖW auf das Otto-Wagner-Areal übersiedeln, künftig eine zentrale Aufgabe sein, diese Geschichte in unseren neuen Ausstellungen zu erzählen.

Rosa Antonia Renz (26.11.1939–3.5.1943)
Im Totenbuch der Anstalt Am Spiegelgrund, das 789 Namen von Kindern enthält, ist Rosa Antonia Renz unter der Nummer 75/1943 als am 3. Mai 1945 um 23 Uhr 20 in Pavillon 15 an einer „Pneumonia lobularis“, d.h. einer Lungenentzündung, verstorben vermerkt. Als Diagnose wurde „Idiotie“ angegeben. Doch Einträge in Totenbüchern, Krankengeschichten wie dieser, sind nicht die Geschichten der Kinder, sondern Protokolle des kalten Blicks ihrer bürokratischen Mörder. Wenn wir die Opfer sehen möchten, müssen wir durch ihre Krankengeschichten hindurchsehen. 
Das am 26. November 1939 in Bad Deutsch-Altenburg geborene Mädchen stand knapp vor seinem dritten Geburtstag, als der zuständige Amtsarzt für den Landkreis Gänserndorf, Dr. Beza, bei der Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Gugging um Aufnahme des „Kindl“ Rosa ersucht, das seit seiner Geburt vollständig gelähmt gewesen sei. Rosa wurde in Gugging aufgenommen. Der dortige Arzt Dr. Karl Oman notierte: „Ruhiges, gutmütiges Kind, lächelt bei Anreden“. Trotzdem ließ man Rosa 1943 in die Anstalt Am Spiegelgrund überstellen und dort ermorden. Jahre später, in den 1950er Jahren, dienten die konservierten Überreste von Rosa Renz dem NS-Arzt Heinrich Gross für seine Publikationen. 

Gerhard Rothmayer (31.7.1939–11.11.1941)
Gerhard Rothmayer, so sagt seine Krankengeschichte, wurde am 31.7.1939 geboren und wegen „hirnorganischer Demenz“ und „spastischer Tetraparese“ sowie „epileptoide[n] Anfälle[n]“ am 25.10.1941 in die Anstalt Am Spiegelgrund eingewiesen, wo er kaum zwei Wochen später, am 11.11.1941, in Pavillon 15 an einer Lungenentzündung starb. 
Gerhard wurde im SS-Mütterheim Pernitz geboren. Sein Vater Ludwig war zu diesem Zeitpunkt Sturmmann bei der Waffen-SS mit Standort „Führerheim Dachau bei München“. Gerhard war das einzige Kind seiner Eltern. Das Fürsorgeamt des Kreises Wiener Neustadt ließ Gerhard in die Anstalt Am Spiegelgrund einweisen. Nur wenige Tage nach seiner Aufnahme wurde er dem „Reichsauschuss“ gemeldet. Er starb am 11. November 1941.

Otto Sailer (5.8.1928–1.4.1942)
Otto Sailer wurde am 5. August 1928 in Wien als Kind von Antonie Sailer geboren. Ottos Vater Josef Feifel (geboren 1906) galt als „Jude“ und floh nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich nach Algerien. Otto galt daher als „jüd. Mischling 1. Grades“.
Ottos Tante schilderte ihn als lebhaftes und geistig reges Kind. Im Alter von fast zwölf Jahren wurde jedoch ein Gehirntumor festgestellt, der sich nach der Operation am 8. Juli 1940 als inoperabel erwies. Bis zwei Tage vor seiner Operation habe er noch sehen können.
Im Herbst 1940 wurde Otto Am Steinhof und schließlich Am Spiegelgrund eingewiesen. Er sei, so eine Notiz vom November 1941, ein „freundlicher, gesprächiger Knabe“, ein „ruhiges, gutmütiges Kind, das zu Schwestern u. Kameraden in verträglichen, lieben Verhältnissen steht. Seine Kameraden beschäftigt und unterhält er den ganzen Tag, erzählt ihnen Geschichten, singt u. spielt mit ihnen.“ Nur wegen seiner Blindheit wäre er unselbständig. Am 21. März 1942 nahm man eine Pneumoenzophalographie vor. Elf Tage später, am 1. April 1942, starb Otto in Pavillon 15 an einer Lungenentzündung.

Wilma Bayerl (1935–1942)
Ingrid Glück (1939–1941)
Stefan Guttenbrunner (1938–1942)
Erna Kadlec (1940–1942)
Friederike Kaiser (1937–1941)
Lucie Kästner (1928–1941)
Anna Keller (1933–1942)
Marie Theresia Kramerstätter (1929–1942)
Christine Reiz (1931–1942)
Rosa Antonia Renz (1939–1943)
Günther Rimser (1938–1942)
Gerhard Rothmayer (1939–1941)
Otto Sailer (1928–1942)
Helene Schauer (1942–1943)
Ernst Spanner (1941–1944)
Edward Stefan (1933–1942)
Hildegard Steinbauer (1939–1942)
Bernada Urbanz (1938–1942)
Walter Worell (1931–1942) 

Möge Euch die Erde leicht sein.

 

 

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