Hier finden Sie mit den Objekten des Monats unseren Neuzugang in der Dauerausstellung des DÖW. Monat für Monat werden wir Ihnen hier neue, unbekannte oder womöglich zu wenig beachtete Objekte und deren Geschichte aus unseren Sammlungen präsentieren. Hier erfahren Sie zudem die wichtigsten Hintergründe zu den Objekten und die Motive für deren Auswahl.
Flugblatt mit rassistischen Inhalten, das an einem Baum im Wiener Prater angebracht wurde (1973)
Signatur: DÖW, M176
In den frühen 1970er Jahren begann das DÖW mit der Dokumentation rechtsextremer und neonazistischer Aktivitäten, Gruppen und Publikationen. Bis heute werden diese in der Sammlung Rechtsextremismus archiviert. Die zeitgeschichtliche Bildung und Aufklärung, insbesondere von jungen Menschen, als eines der Gründungsanliegen des DÖW bedeutete auch aufgrund der bis dahin noch fehlenden Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und dessen Folgen, Revisionismen und Kontinuitäten in Form von Rechtsextremismus und Neonazismus ebenfalls in den archivarischen Blick zu nehmen.
Im Oktober 1973 wurde der Sammlung ein Stück Papier eines unbekannten Verfassers zugesendet, das an einem Baum auf der Jesuitenwiese im Wiener Prater mit folgender Aufschrift gefunden wurde: „Die germanische Rasse, unser deutsches Blut ist von Rassetod bedroht! Rassenmischung ist Rassentod. Die Erbmasse steht unter Naturgesetz, dem göttlichen, ewigen Gesetz!“.
Während die „Rassenlehre“ und ihre Behauptung von einer qua Natur gegebenen Überlegenheit der deutschen bzw. germanischen „Rasse“ zentrale ideologische und propagandistische Bestandteile des Nationalsozialismus und des Rechtsextremismus der frühen Nachkriegsjahre waren, markierten die 1970er Jahre einen Wendepunkt in der rechtsextremen Strategie und Sprache: In Abgrenzung zur NS-Ideologie und den „Ewiggestrigen“ wurden rassistische Narrative und Begriffe modifiziert bzw. sprachlich adaptiert. Der biologistische, mit dem Begriff der „Rasse“ operierende Rassismus wurde durch einen „Anti-Migrations“-Rassismus ersetzt, der sich zunächst vor allem auf Gastarbeiter*innen bezog und beispielsweise im „Österreich zuerst“-Volksbegehren von 1993, oft treffender als „Anti-Ausländer-Volksbegehren“ bezeichnet, seinen politischen Ausdruck fand. Um die Jahrtausendwende setzte eine weitere Adaption ein: Aus dem Feindbild „Migranten“ bzw. „Ausländer“ wurden „Moslems“, fortan drohte eine vermeintliche „Islamisierung“.
Die rassistische Botschaft des Zettels von 1973 lässt sich demnach als doppelter Anachronismus im Kontext der rechtsextremen Modifizierungsbestrebungen jener Zeit verstehen: Sowohl Bezüge auf NS-Gedankengut als auch dahingehend belastete Begriffe standen konträr zum Selbstverständnis der Zweiten Republik. Zudem galten auch im Rechtsextremismus Sprache und Begriffe der NS-Ideologie bereits als überholt. Das hatte nicht zuletzt strategische Gründe. So sollte die eigene Legitimierung im postnationalsozialistischen Österreich erfolgen und die Strafverfolgung nach dem Verbotsgesetz vermieden werden..
Weiterführende Literatur:
- Andreas Peham, Alte Rechte im neuen Kleid, in: BMI, Andreas Kranebitter (Hg.), Mauthausen Memorial 2014, KZ-Gedenkstätten und die neuen Gesichter des Rechtsextremismus, Wien 2015, 29-40, online: https://www.mauthausen-memorial.org/assets/uploads/mauthausen-memorial-jahrbuch2014.pdf.
- DÖW, Rechtsextremismusbericht 2023, online: https://www.doew.at/cms/download/2ga0l/rechtsextremismus_in_oe_2023.pdf
- Margit Reiter, Johannes Dafinger (Hg.), Transformationen des Rechtsextremismus in Österreich, zeitgeschichte Jg. 50 (2023) Nr. 4.
- Volker Weiß, Die autoritäre Revolte, Stuttgart 2017.
Autorin: Bianca Kämpf, Rechtsextremismusforscherin
Fotos: Michael Bigus (Objekt), Daniel Shaked (Porträt)