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Zum Begriff des Rechtsextremismus

Brigitte Bailer-Galanda

Ähnlich wie im Bereich der Faschismusforschung herrscht auch im Umfeld der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Rechtsextremismus oftmals Begriffsverwirrung. Da werden - vor allem in populärwissenschaftlichen und journalistischen Arbeiten - Bezeichnungen wie Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Neofaschismus, Neonazismus, neuerdings Ökofaschismus durcheinander und unreflektiert verwendet, nicht selten als Schlagwörter in politischen Auseinandersetzungen propagandistisch eingesetzt. Leider findet sich auch in der wissenschaftlichen Fachliteratur die gleichzeitige und offensichtlich synonym verstandene Anwendung zumindest der Begriffe Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus, wodurch selbst bei Interessierten begriffliche Verwirrung ausgelöst und gefördert wird.

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes basiert seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit gegenwärtigem Rechtsextremismus auf der vom Klagenfurter Univ. Doz. Dr. Willibald I. Holzer erarbeiteten Definition, die - in Übereinstimmung mit angelsächsischer und der Mehrheit der deutschsprachigen Fachliteratur - ausschließlich auf Rechtsextremismus abstellt. Holzer legte mit dieser Arbeit die wohl differenzierteste und präziseste Bestimmung des Rechtsextremismus vor, deren Praktikabilität und Präzision sich in den letzten Jahren sowohl in der politischen und gerichtlichen Auseinandersetzung als auch in der wissenschaftlichen Arbeit vielfältig bestätigte. Dieser Begriff liegt auch dem vom Dokumentationsarchiv im November 1993 herausgegebenen Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus zugrunde.

Rechtsextreme Ideologie wird von Holzer beschrieben als Syndromphänomen aus einem Bündel von Einzelaussagen, die in erster Linie durch die Berufung auf das Prinzip der Natur/Natürlichkeit verklammert werden. Natur, verstanden als vorgegebene Konstante, entzieht sich jeglicher Kritik, ein derartiger Begründungszusammenhang kann nicht in Frage gestellt werden. Über dieses Prinzip der Natur wird die Ideologie der Ungleichheit in die rechtsextreme Weltanschauung eingeführt. Rechtsextremismus versteht sich als "natürliche" bzw. "biologische" Ideologie, alles Abgelehnte wird als "widernatürlich" diffamiert.

Zentrales Element rechtsextremer Ideologie sind die Begriffe "Volk" und "Volksgemeinschaft", wobei primär das deutsche Volk als Bezugsgröße dient. Die Volksgemeinschaft wird als patriarchalisch-hierarchisch gegliederte Idylle als Gesellschaftskonzept der modernen Industriegesellschaft gegenübergestellt. Diese - notfalls mit Zwang harmonisierte - Gemeinschaft, in der Interessensgegensätzen kein Raum geboten wird, biete dem Individuum Geborgenheit an dem ihm zustehenden Platz. Seine Bedeutung erhält der einzelne in seiner Verpflichtung auf die Ganzheit des Volkes. Tendenzen und Bestrebungen, die diese idealisierte Harmonie stören, werden als angeblich "widernatürlich" diffamiert: Dazu zählt demokratischer Sozialismus ebenso wie Liberalismus, Kommunismus, Emanzipationsbestrebungen von Frauen und anderer benachteiligter Gruppen, Gewerkschaftsbewegung und nicht zuletzt der Pluralismus parlamentarischer Demokratie. Gewünscht wird ein starker Staat, der nach innen und außen verlorene Stärke und Geschlossenheit rekonstruiert. Gefordert wird eine völkisch legitimierte, im Gegensatz zur herrschenden angeblich "wahre" Demokratie sowie Identität von Volk und Führung.

Der bzw. das Fremde steht außerhalb dieser Gemeinschaft und hat auch dort zu bleiben. Gefördertes Wir-Gefühl grenzt alle nicht dazugehörenden Menschen und Gruppen aus; Ethnozentrismus führt zu in Weltmaßstab gesehenem Ethnopluralismus, der nichts anderes wünscht als ein weltweites System der Apartheid - Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken, Afrika den Afrikanern, jede Durchmengung wird als Bedrohung der Eigengruppe phantasiert. Ethnozentrismus ebenso wie Ethnopluralismus erfüllen dieselben Integrations- und Ausgrenzungsfunktion wie der Rassismus der dreißiger Jahre.

In enger Verbindung mit diesen nach wie vor biologistisch begründeten Konzepten wird verschiedensten Gruppen Sündenbockfunktion zugeschrieben. Dies kann Ausländer ebenso betreffen wie sprachliche oder religiöse Minderheiten, Wissenschafter verschiedenster Fachrichtungen, Politiker der etablierten Parteien, die Möglichkeiten sind vielfältig. Diesen Gruppen wird Verantwortung für gesellschaftliche und ökonomische Mißstände zugeschoben, sie werden der Kriminalität und anderer unerwünschter Verhaltensweisen bezichtigt und erfüllen Entlastungs- und Integrationsfunktion nach innen, indem gesellschaftlich und ökonomisch begründete Ängste und Ärger auf die Feindgruppe abgelenkt werden. An die Stelle rationaler Analysen treten Verschwörungstheorien zur Erklärung der negativen Folgen des sozialen Wandels oder anderer Probleme.

Ein weiteres sehr relevantes Element rechtsextremer Ideologie ist die - wie Holzer sie nennt - "nationalisierende Geschichtsbetrachtung", die sich aus dem Deutschnationalismus ergibt. Unter der Annahme, das deutsche Volk repräsentiere einen zu verteidigenden Wert und sei unter den Völkern eines der besten, wenn nicht das beste, ergeben sich beträchtlichte Probleme mit der Einsicht, welche Verbrechen vorgeblich im Namen dieses deutschen Volkes begangen wurden. Um diese Spannung zwischen Schuld und Glorifizierung bewältigen zu können, werden die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen verharmlost und geleugnet bzw. im Gegenzug die angeblich positiven Seiten des Nationalsozialismus hervorgestrichen (Autobahnbau, Kinderbeihilfen, Beschäftigungpolitik u. ä.). Diese Ent-Schuldung des NS-Regimes kulminiert in der international agierenden Bewegung des "Revisionismus" (Selbstbezeichnung dieser Bewegung), der sich vorwiegend auf die Leugnung des Holocaust konzentriert, findet sich aber in Abwandlungen - wie z. B. der Heroisierung des "edlen" deutschen Landsers - in allen rechtsextremen Publikationen sowie im Umfeld des Rechtsextremismus. Bei Letztgenannten handelt es sich um die Zuspitzung von weit über den organisierten Rechtsextremismus hinaus verbreiteten Rechtfertigungsdiskursen.

Der politische Stil des Rechtsextremismus ist geprägt von Gewaltlatenz und Gewaltakzeptanz, die sich jedoch vorwiegend in verbalen Angriffen auf politische Gegner und Andersdenkende äußern. Der Übergang zur physischen Gewalt wird in erster Linie vom militanten Rechtsextremismus und Neonazismus vollzogen. Die Zuschreibung der Qualität Rechtsextremismus an Zeitschriften, Gruppen oder Personen sollte unter sorgfältiger Prüfung im Lichte der oben erwähnten Merkmale erfolgen. Vorschnelle Kategorisierungen erweisen sich oftmals als kontraproduktiv und gießen Wasser auf die Mühlen jener, die der Rechtsextremismus-Forschung und allen damit befaßten Wissenschaftern oberflächliche Einstufungen und Wissenschaft im Dienste politischer Propaganda vorwerfen.

 

 

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