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Christchurch: das Weltbild des mutmaßlichen Attentäters

Neues von ganz rechts - März 2019

 

Wie medial kolportiert, hat der mutmaßliche Attentäter auf zwei Moscheen in Christchurch, Neuseeland, kurz vor der Tat ein Manifest online gestellt, in welchem er über seine Motive Auskunft gibt. Angesichts zahlreicher Medienanfragen (und interessierter rechtsextremer Umdeutungsversuche) stellen wir nach Lektüre dieses Schriftstücks die folgenden Beobachtungen zur Verfügung.

 

  • Das Manifest greift Rahmungen auf, die in vielen Ländern Europas inzwischen in den politischen Mainstream Einzug gefunden haben: es sei ein Krieg der Kulturen im Gange; über "mass immigration" und die höheren Geburtenraten von MigrantInnen finde ein Austausch der Bevölkerung statt, der die angestammte Population zur Minderheit im eigenen Land zu machen drohe; bei den Zugewanderten handle es sich um Invasoren ("invaders").

  • Besonders ausgiebige rhetorische und ideologische Überschneidungen liegen mit "neurechten" Gruppierungen wie der Identitären Bewegung (IB) vor. Schon der Titel des Manifests, "The Great Replacement", greift die maßgeblich von dieser popularisierte Figur des "Großen Austauschs" auf, der aktuell in westlichen Ländern im Gange sei. Im Einklang mit dem identitären "Ethnopluralismus" bekennt sich der mutmaßliche Attentäter zu ethnischer Vielfalt, die allerdings nicht innerhalb einzelner Länder, sondern nur im Weltmaßstab bejaht wird. Anstelle eines Miteinanders der Kulturen im Sinne diverser Gesellschaften wird ein monokulturelles Nebeneinander propagiert. Dieses herzustellen, sei eine Frage des ethnischen Überlebens ("matter of survival"). Neben den "Invasoren" werden auch die vermeintlich Verantwortlichen für die "Invasion" ins Visier genommen - die Verräter ("traitors") in den eigenen ethnischen Reihen, worunter im Wesentlichen alle verstanden werden, die an der Idee der Gleichheit aller Menschen festhalten ("egalitarians"). Als hauptschuldig für die von ihm beklagte Situation benennt der mutmaßliche Attentäter, dem rechtsextremen Hypermaskulinismus entsprechend, schwache europäische Männer, die sich nicht gegen die von ihm beschriebene Entwicklung wehren. In mehreren der im Manifest verwendeten Slogans klingt identitäre Rhetorik wieder: "Europe for Europeans", "Retake Europe", "Europa rises" u. a. Der identitäre Slogan "You only die once", der die aus dem historischen Faschismus bekannte Todessehnsucht bzw. -faszination wiedergibt, kehrt in dem Manifest in der Aufforderung "embrace death" wieder.

  • Das Manifest geht gleichzeitig über identitäre Rhetorik hinaus: der Verfasser bekennt sich als Faschist und Rassist und nennt als seinen theoretischen Hauptbezugspunkt den britischen Faschistenführer Oswald Mosley. Antifa und KommunistInnen werden als "anti-white scum" charakterisiert. Das Manifest verwendet mehrfach das in Neonazikreisen beliebte Symbol der schwarzen Sonne. Seine politische Zielsetzung fasst der mutmaßliche Attentäter in den "14 words" zusammen, die das Credo US-amerikanischer Rassisten ("white nationalists") darstellen. Dementsprechend nehmen das Konzept der Rasse und die Wahrnehmung eines vermeintlichen "white genocide" in den Ausführungen des Manifests einen zentralen Stellenwert ein. Insbesondere bekennt der Verfasser sich offensiv zu (extremer) Gewalt als Mittel der Politik. So bringt er einerseits umfangreiche Repatriierungen der "Invasoren" ins Spiel, betont aber, dass diese alternativ auch im Wege physischer Vernichtung entfernt werden könnten bzw. sollten. Als Gruppen, die er aus Europa bzw. den europäisch geprägten Ländern entfernt haben will, benennt er u. a. explizit auch Roma und "Semiten". Das Manifest endet mit den Worten "I will see you in Valhalla".

  • Österreichbezüge tauchen in dem Manifest vereinzelt auf. Der Verfasser bezieht sich auf die "Türkenbelagerung" Wiens 1683 und nennt Österreich (im Rahmen einer eher willkürlich anmutenden Aufzählung) als eines der Länder, in dem der von ihm erhoffte Aufstand seinen Ausgang nehmen könnte. Seine Ausrüstung für das Attentat hatte der Verfasser mit diversen Namen, Slogans und historischen Bezügen beschriftet, wie Bilder auf seinem (inzwischen deaktivierten) Twitterprofil zeigen. Darunter finden sich Bezüge auf Wien 1683 und Ernst Rüdiger von Starhemberg (den "Verteidiger Wiens", dessen Name auch als Absender im Zuge der Briefbombenattentate der 1990er-Jahre in Österreich Verwendung fand). Auch Charles Martel und die Schlacht von Tours 732 werden angeführt - historische Bezugnahmen, die sich wiederum unter Identitären besonderer Popularität erfreuen.

  • Zentral im Manifest ist die aus der identitären Propaganda bekannte Rhetorik der letzten Chance: die Katastrophe (der Untergang Europas respektive der "Weißen" schlechthin) stehe unmittelbar bevor, es sei fünf nach zwölf und damit höchst an der Zeit, zu handeln. Wie schon Anders Breivik zieht der mutmaßliche Attentäter aus dieser Darstellung die Legitimation für seine Handlungen. Darüber hinaus sieht er sich als Widerstandskämpfer gegen eine Besatzungsmacht ("I believe it is a partisan action against an occupying force.").

  • Unter den Beschriftungen der Waffen des mutmaßlichen Attentäters findet sich auch der Slogan "Here's your migration compact" - eine Anspielung auf den von ihm offenkundig abgelehnten UN-Migrationspakt.

  • Anders Breivik wird im Manifest als wesentliche Inspiration der Attacken genannt. Der Verfasser behauptet, kurz persönlich mit Breivik in Kontakt gestanden zu sein und sich von den "reborn Knights Templar" (als solcher hatte sich Breivik verstanden) vorab den Segen für seine Aktion geholt zu haben.

  • Wie häufig in zeitgenössischen Einlassungen der europäischen extremen Rechten ist auch dem Verfasser des Manifests eine Art Islamneid zu attestieren: zwar werden MuslimInnen als FeindInnen bestimmt, gleichzeitig aber für ihre Geburtenraten, ihren "social trust" und ihre "strong, robust traditions" beneidet.

 

 

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