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Emil Deutsch: "Heul Hitler, Sie Schweinehund"

 

Emil Deutsch, geboren am 7. September 1881

 

Deportation nach Maly Trostinec: 5. Oktober 1942

 

 

"Es gibt keine Worte, die in geeigneter Weise das gemeine und verabscheuungswürdige Verhalten dieses Juden zum Ausdruck bringen könnten", heißt es im Urteil des Sondergerichts I beim Landgericht Wien gegen Emil Deutsch, einen (seit dem "Anschluss" 1938) arbeitslosen Handelsagenten aus Wien. Von September 1940 bis April 1941 schickte Deutsch mehrere anonyme Briefe – alle in Abschrift im Urteil wiedergegeben – an einen "verdienten Parteigenossen": Robert Lehner, Besitzer eines Kleidergeschäfts in der Praterstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk und dort in der NSDAP Ortsgruppe u. a. als Blockleiter, Zellenleiter und Wirtschaftsreferent aktiv.

 

Emil Deutsch

Erkennungsdienstliche Aufnahme  von Emil Deutsch, Mai 1941
Foto: Wiener Stadt- und Landesarchiv

 

Die Briefe dienten Deutsch vermutlich als Ventil für (hilflose) Wut, Ängste, Verbitterung und (persönliche) Kränkung. Sie enthalten zwar auch Beschimpfungen Hitlers – nahezu immer als "4" ["Führer"] apostrophiert –, im Zentrum steht aber Lehner, der wahlweise als "Schweinehund", "Hurenhund" oder "Nazitrottel" angesprochen und zum Objekt von Rachephantasien wird (alle folgenden Zitate in Originalorthographie):

 

"Wir haben uns schon gestritten, wer ihnen von uns den garaus machen wird und ich werde trachten, daß es mir überlassen bleibt, aber da werden sie schauen, was ich kann, wenn ich mich dann vorstellen werde. Bis dahin sie Schweinehund werden sie doch noch am Leben sein, denn beenden werden wir es. Heul Hitler, sie Schweinehund"
Urteil gegen Emil Deutsch u. a., 15. November 1941

 

Die zunehmenden Einschränkungen, denen Juden und Jüdinnen ausgesetzt waren, spiegeln sich in den Briefen unter umgekehrten Vorzeichen wider: während etwa die jüdische Bevölkerung nach und nach vom Bezug von Fleisch, Butter, Obst, Schokolade, Kuchen, Tee, Kaffee etc. ausgeschlossen wurde, beharrte Deutsch gegenüber Lehner darauf, "alles" zu erhalten:

 

"Nun sie haben ja anderes zu tun als ihr Geschäft, sie müssen ja aufpassen, daß die Juden keine Zuckerl und keine Rauchwaren bekommen, aber wir bekommen beides, so viel wir wollen, wir haben gestern auf ihr glänzendes Aussehen 5 l Wein im Gasthaus getrunken und haben auch die Vereinbarung getroffen, daß jeder von uns, und wir sind unser nicht wenig, 10 l Wein bezahlt im Falle ihrer Verendung, hoffentlich können wir schon Heurigen trinken."

 

"Ich habe von einem ihrer Geschäftskollegen gehört, daß sie Hurenkind überall die Zettel 'Judeneinkauf von 11 – 16 Uhr' angeschafft haben, es nützt aber gar nichts, schaun sie nur, wo die angebracht sind? dort wo man selbe nicht sieht[,] z. B. bei dem Papiergeschäft Urban und bei der Trafik neben ihnen, da bekommen wir Zigaretten, wann wir wollen und Zuckerl nebenan auch, man wird gar nicht gefragt, ob Jude oder nicht, im Gegenteil sehr freundlich gegrüßt, also sie sehen ja aus dem ganzen, wie es um den Nat. Soz. steht, sie Nazitrottel."

 

"Sie haben ja gar keine Ahnung, wie gut es uns geht, gestern waren wir im Zirkus und nachher noch in einem Restaurant auf der Praterstrasse, sie Schweinehund, sie können machen, was sie wollen, wir bekommen noch alles und haben gar keinen Mangel, an gar nichts. Zuckerl und Schokolade bekomme ich neben ihnen bei Herrmann soviel ich nur will, Cig. auch neben ihnen, höchst komisch, alles neben ihnen, auch einen neuen Anzug und Schuhe, da würden sie Augen machen[,] ohne Punkterl von einem arischen Schneider und Schuster, sie können mirs bei ihrem 4 glauben, ich habe noch keinen fleischlosen Tag gehabt, Bäckerei wird mir bei 'Aida' sogar reserviert. Wenn sie nichts mehr bekommen, sie Schweinehund, für mich wird es aufgehoben, ich muß es mir nur später abholen, wenn keine Schweine mehr im Geschäfte sind. Wenn sie nur eine Ahnung hätten, wie wir uns nachmittags die Zeit vertreiben, sie würden ja tobsüchtig werden, wir sitzen in einem wunderschön geheizten Salon, spielen Tarock und trinken guten Bohnenkaffee, also wie sie sehen, geht es uns nicht so schlecht, als sie glauben, wir leben bedeutend besser als früher."

 

 

 

 

 

 

 

 

Download Urteil

 

Urteil gegen Emil Deutsch u. a.,
15. November 1941

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Gegen Robert Lehner wurde nach Kriegsende ein Verfahren vor dem Volksgericht Wien angestrengt, Anklageschrift und Urteil enthalten Parallelen zu den Briefen:

 

"Lehner vertrieb in seiner Eigenschaft als Ortsgruppenwirtschaftsreferent einmal anfangs 1939 mit einem Knüppel bei dem Fleischhauer Engelhard angestellte Juden während der von der Polizei festgesetzten Geschäftszeit und sagte dabei: 'Juden brauchen kein Fleisch.' […] Lehner hat in dem Geschäft 'Aida' auf der Praterstrasse, als er sah, wie ein etwa 80-jähriger Jude ein Stück Gebäck kaufte, dieses ihm aus der Hand gerissen und zu Boden geworfen. Dabei sagte er zur Verkäuferin, wenn sie noch einmal etwas einem Saujuden verkaufe, werde er sie bei der Gestapo anzeigen.
Im Jahre 1938 erstattete Lehner drei Mal gegen den Inhaber einer Teestube Karl Rutschka beim Kreis II Anzeigen, weil er an Juden Tee verkauft habe."
Anklageschrift Staatsanwaltschaft Wien gegen Robert Lehner, 23. September 1946

 

Robert Lehner, der zugab, "an zwei oder drei Judenaktionen teilgenommen zu haben", wurde am 21. Jänner 1948 vom Volksgericht Wien wegen Verbrechens des Hochverrats ("Altparteigenosse") und "missbräuchlicher Bereicherung gemäss § 6 KVG" unter Anrechnung der Vorhaft (vom 28. April 1946 bis 21. Jänner 1948) zu 18 Monaten schwerem Kerker verurteilt. Von den anderen Anklagepunkten – er habe Juden misshandelt und zwei Personen denunziert – wurde er mangels an Beweisen freigesprochen.

 

 

Ein von Emil Deutsch abgeschickter Brief (Poststempel 4. März 1941) ist im Original erhalten, er enthält Hinweise auf das verbotene Abhören ausländischer Rundfunksender:

 

 

 

 

"Heute hätten sie Schweinehund den engl. Sender hören müssen, dass wäre was für sie gewesen, die haben am hellichten Tag um 12 h Mittags über Berlin gefilmt und die geringen Schäden aufgenommen, gleichzeitig wurde erwähnt dass 2 Häuser überhaupt von der Oberfläche verschwunden sind, eines neben dem Göbbels [sic!] wo er seinen Sitz hat, da drückt sich ja der Engl. so passend aus, er nennt ihn nämlich den Mann mit dem Torpedomaul. Also wie sie sehen hören wir alle Tage den engl. Sender, noch dazu in einer arischen Wohnung, ist das nicht komisch?"

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Am 30. April 1941 wurde Emil Deutsch festgenommen. Grund war ein verhängnisvolles Missgeschick: er hatte zwei Briefe verwechselt und an Lehner ein Schreiben geschickt, aus dem der Absender hervorging. Bei den Verhören zeigte sich die Gestapo insbesondere an den in den Briefen erwähnten "Rundfunkverbrechen" interessiert – Deutsch nannte zwei weitere Personen, Wilhelm Hilfreich und Otto Freund, beide Vertreter aus Wien. Sie wurden am 6. Mai verhaftet.

 

Bei der Gerichtsverhandlung am 15. November 1941 wurde Emil Deutsch wegen "Rundfunkverbrechens" und Vergehens nach dem "Heimtückegesetz" zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Hilfreich und Freund wurden wegen "Rundfunkverbrechen" mit je vier Jahren Zuchthaus bestraft:

 

"Straferschwerend fiel ins Gewicht, […] dass sämtliche Angeklagte als Juden, die in Deutschland lediglich noch geduldet sind, sich in frecher Weise gegen ein Gesetz vergangen haben, das nach dem Willen des Gesetzgebers bestimmt ist, die seelische Haltung des deutschen Volkes zu schützen und damit einen Garanten unseres Endsieges vor der zersetzenden Wirkung der ausländischen Greuelpropaganda zu bewahren. Uebertreten Juden, die genau wissen, dass sie im Falle der Entdeckung zwar gerecht, aber hart behandelt werden, dieses Gesetz, so rechtfertigt das die Feststellung, dass die verbrecherische Energie, der verbrecherische Wille, der für das Ausmaß der Strafe von besonderer Bedeutung ist, groß war."

 

Wilhelm Hilfreich (geboren am 14. Juni 1884) wurde am 7. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert, wo er am 12. Jänner 1943 umkam. Seine nichtjüdische Frau Karoline Hilfreich (geboren am 3. Jänner 1896) befand sich zu dieser Zeit ebenfalls in Haft. Sie war wegen "Beherbergung von Juden" festgenommen worden und wurde im Oktober 1943 aus dem KZ Ravensbrück entlassen.

 

Otto Freund (geboren am 15. Jänner 1895), ebenfalls mit einer nichtjüdischen Frau verheiratet, wurde nach Haft in Stein a. d. Donau und Graz Anfang 1943 nach Auschwitz deportiert und von dort am 22. Jänner 1945 in das KZ Buchenwald überstellt. 1951 wurde er für tot erklärt.

 

 

 

Emil Deutsch wurde am 27. September 1942 vom Strafgefängnis Graz in das Sammellager in Wien überstellt. Er wurde am 5. Oktober 1942 nach Maly Trostinec deportiert und dort nach der Ankunft am 9. Oktober 1942 ermordet.

 

 

 

Abgangsmitteilung des Strafgefängnisses Graz an das Sondergericht I beim Landgericht Wien,
2. Oktober 1942

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Downloads

o. D. (Poststempel: 4. 3. 1941, DÖW 15.569a)
(344,2 KB)

15. 11. 1941 (DÖW 15.569a)
(4,2 MB)

2. 10. 1942 (DÖW 15.569a)
(240,7 KB)

5. 10. 1942 (Auszug)
(473,6 KB)
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