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Selma Steinmetz (1907-1979)

Barbara Kintaert

 

Selma Steinmetz wurde am 1. September 1907 in Wien geboren. Sie studierte an der Universität Wien Germanistik, Geschichte sowie Pädagogik und machte das Lehramt. Ihre 246-seitige Dissertation vom 24. April 1931 hatte den Titel Bettina Brentano - Persönlichkeit, Künstlertum und Gedankenwelt. "Meine Eltern waren beide, besonders in den ersten Jahren der Republik, eifrige, hoch aktive Sozialdemokraten, ich selbst war in all den Jahren meines Studiums zeitweilig aktives, zeitweilig inaktives Mitglied der Sozialdemokratischen Partei", berichtet sie in ihrem Lebenslauf. (1) 1934 wurde die ganze Familie Steinmetz arbeitslos: "Der Februar 1934 bedeutete in unserem Familienkreise totalen Zusammenbruch. Damals fand ich ersten Kontakt zu österreichischen und ausländischen Kommunisten." (2))

 

Kurz sei an dieser Stelle das weitere Schicksal von Selmas Familienangehörigen skizziert: Ihre Schwester Bertha (Berth), geboren 1909, ab 1934 in der Tschechoslowakei und später in Frankreich im Exil, überlebte die Kriegsjahre in Ungarn. Ihre jüngste Schwester Gisela (Gundl), geboren 1916, war als Krankenschwester im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik aktiv und später in Belgien im Widerstand tätig. Selmas Vater Chaim Steinmetz, ein jüdischer Kaufmann, wurde am 23. Oktober 1941 in das Ghetto in Lodz/Litzmannstadt deportiert, wo er ums Leben kam, ihre Mutter Leni war zwei Jahre vor dem Krieg gestorben.

 

Ab 1937 lebte Selma in Frankreich, wo sie ihren Lebensgefährten Oskar Großmann kennen lernte:

 

"1937 ging ich nach Paris, um von dort nach Spanien zu fahren. Da das nicht mehr gelingen wollte, trat ich auf Empfehlungen von österreichischen Genossen (Paul Kessler) in die französische Kommunistische Partei ein. In einem kleinen Vorort von Paris arbeitete ich im Lit-Vertrieb der Zelle.
1939 trat ich wieder in Kontakt mit den österreichischen Genossen, ich nahm teil an dem Zellenleben unserer Emigrantengruppen, ich wurde damals bekannt mit Oskar Großmann, mit dem ich dann bis zu unserer Verhaftung durch die Gestapo im Mai [1944] zusammenblieb." (3)

 

Vor dem Einmarsch der Nazis flüchtete Selma Steinmetz mit Oskar Großmann und vielen anderen politischen EmigrantInnen nach Südfrankreich in die noch "freie" Zone.

 

"1940 wurde ich als Parteikandidatin in die österreichische Kommunistische Partei aufgenommen, gleichzeitig arbeitete ich im Sekretariat der Quäker [in Toulouse], durch die ich damals vielen deutschen und österreichischen Genossen in den französischen Konzentrationslagern helfen konnte." (4)

"Unsere Lage in Toulouse wurde in der Folgezeit (nach dem Waffenstillstand Pétains) immer schwieriger. Die Deutschen schienen sich in Frankreich zu konsolidieren. Man sprach von den 'Allemands, qui sont correctes et gentils'. Die führenden Genossen lebten alle illegal, sprachen schlecht französisch und waren darum in ständiger Gefahr, von der Pétain-Polizei verhaftet zu werden. Dazu kam Geldnot und Lebensmittelknappheit. Der Winter 1941/42 war sehr streng, wir wohnten schlecht in vollkommen ungeheizten Räumen (ich selbst in einer Baracke, an deren Wänden Eistropfen klebten). [...]
Unsere Situation wurde unhaltbar mit der Besetzung auch der Südzone durch die Deutschen. Schon vorher begannen auch die Deportationen der Ausländer aus der Südzone. Sowohl in den Lagern wie in den Privatwohnungen wurden alle Österreicher und Deutschen von der Gestapo oder jedenfalls von deutschen Soldaten abgeholt. Ich selbst entkam dieser Deportation nur durch die Quäker, die davon wußten und mich schon einige Tage vorher an ein Kloster verwiesen, das der Erzbischof von Toulouse [Monsignore Saliège] (ein damals sehr bekannter, mutiger Mann, der viele Emigranten unter seinen Schutz nahm) dafür eingerichtet hatte. Es war das Kloster der Schwestern 'Maria Reparatricis', aus dem sich die Nonnen nur zur Missionsarbeit in Afrika und anderen Erdteilen entfernten. Niemand durfte hinaus, niemand durfte so leicht hinein. Dort lebte ich so lange, bis ich eine gefälschte Identitätskarte durch die Partei bekam. Dann ging ich wie viele andere Genossinnen aus Toulouse nach Lyon, wohin auch Oskar Großmann später nachkam.

 

In Lyon begann dann [1942] - in absoluter Illegalität - unsere eigentliche Arbeit mit der sogenannten TA [Travail Anti-Allemand]. Neben den anderen Aktionen, der Einrichtung und Festigung unserer illegalen Quartiere, Papiere, unserer Schulung, neben kleinen Hilfsarbeiten für Genossen und Emigranten in Not begannen wir mit der eigentlichen Aufklärungsarbeit unter den deutschen und österreichischen Soldaten. 'Der Soldat am Mittelmeer', Gespräche mit Mitgliedern der deutschen Besatzung, Arbeit unter den deutschen Besatzungsstellen, Flugzettelaktionen bei Kasernen und Partisanentätigkeit. Ich selbst arbeitete mit Oskar Großmann bei der Herstellung der Zeitungen, bis zu meiner Verhaftung im Mai 1944." (5)

 

Bald darauf freigelassen, wurde Selma Steinmetz wenige Wochen später, im Juni 1944, ebenso wie ihr Lebensgefährte Oskar Großmann und weitere Mitglieder der österreichischen Widerstandsgruppe erneut festgenommen.

 

"Die Verhaftung wurde von österr. Gestapobeamten durchgeführt und auch im weiteren Verlauf [wurden] die Verhöre und Erhebungen von diesen Beamten getätigt. Ich wurde in Lyon einige Male verhört, und zwar von dem Gestapobeamten Eduard Tucek und von einem anderen Gestapobeamten, dessen Namen ich nicht kenne. Tucek wollte von mir unbedingt die Namen und Adressen von denjenigen wissen, mit denen ich in Verbindung gestanden bin und die für die Widerstandsbewegung tätig waren. Da wir dort illegal lebten und strenge Konspirativität geübt wurde, wußte ich von den meisten weder den richtigen Namen noch die Adresse, so hätte ich auch mit bestem Willen nichts preisgeben können. Ich wurde von Tucek in Ketten gelegt, vorerst schlug er mich mit der bloßen Faust. Dann nahm er einen Ochsenziemer zu Hilfe, mit welchem er mich am ganzen Körper so schlug, daß mein Körper voll mit Blutstriemen war und mir die Haut vom Körper hing. Am nächsten Tag wandte er bei mir die Methode eines Bades an. Ich mußte mich bis auf meine Unterwäsche ausziehen, wurde an Händen und Füßen gefesselt und in die Badewanne gelegt, welche mit kaltem Wasser angefüllt war. Ich wurde fortwährend mit dem Kopf unter das Wasser getaucht, wenn ich mit dem Kopfe aus dem Wasser kam, hielt man mir die Dusche ins Gesicht, sodaß ich durch die Wasserstrahlen ebenfalls fast keine Luft bekam. Dann zog er mich bei den gefesselten Füßen so in die Höhe, daß mein Kopf neuerlich unter Wasser kam. Ich glaubte, jeden Moment ersticken zu müssen. Diese Torturen hat Tucek mit mir sozusagen als Lehrgang geführt, da mehrere junge Gestapobeamte dabei anwesend waren, denen er vorführend erklärte, wie diese Behandlung gemacht werden muß, um die Gefangenen zum Sprechen zu bringen. In dieser Weise wurde ich 5 Tage lang von Tucek verhört." (6)

 

Oskar Großmann, Selma Steinmetz' Lebensgefährte, der wenige Wochen zuvor durch Bombensplitter sein Augenlicht verloren hatte, überlebte diese Folterungen nicht. Selma Steinmetz wurde nach Paris in das Gestapogefängnis Fresnes und von dort im August 1944 in das Sammellager Drancy, den Ausgangspunkt für zahlreiche Deportationszüge nach Auschwitz, überstellt. Sie wurde dort am 17. August 1944 von den Franzosen befreit. Selma Steinmetz blieb bis Anfang Dezember 1945 in Frankreich; nach Kriegsende betreute sie vorwiegend überlebende KZ-Opfer, bevor sie nach Wien zurückkehrte.

 

Ab 1946 wurde Selma Steinmetz als Bibliothekarin bei den Wiener Städtischen Büchereien angestellt. Ein eintägiges Fernbleiben vom Dienst im Zuge des von der KPÖ und der sowjetischen Besatzungsmacht propagierten Oktoberstreiks 1950 wurde als Befürwortung eines kommunistischen Putsches ausgelegt, Selma Steinmetz wurde deswegen per 1. Jänner 1951 als städtische Bibliothekarin gekündigt. Zwölf Jahre lang ging sie verschiedenen journalistischen Tätigkeiten nach.

 

Als im Februar 1963 das DÖW gegründet wurde, war Selma Steinmetz, mittlerweile fast 56 Jahre alt, von der ersten Stunde an mit dem Aufbau der Bibliothek beschäftigt und wurde deren Leiterin. Insbesondere mit ihrer 1966 in der Schriftenreihe des DÖW erschienenen viel beachteten Monographie Österreichs Zigeuner im NS-Staat (Europaverlag) leistete sie Pionierarbeit. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu Widerstand und Verfolgung fanden große Anerkennung, wobei es ihr nicht zuletzt ein Anliegen war, vom Nationalsozialismus verfolgte, vertriebene und ermordete österreichische SchriftstellerInnen vor dem Vergessen zu bewahren.

 

1968 trat Selma Steinmetz aus Protest gegen den Überfall der Sowjetunion auf die Tschechoslowakei aus der KPÖ aus. Sie trat der Österreichischen Liga für Menschenrechte bei und fand hier ihre neue ideologische Heimat, später arbeitete sie auch bei Amnesty International mit.

 

Selma Steinmetz starb am 18. Juni 1979 unerwartet an den Folgen einer harmlosen Operation. Ihr plötzlicher Tod bedeutete für das DÖW einen unersetzlichen Verlust und hat auch in der Österreichischen Liga für Menschenrechte eine sehr große Lücke hinterlassen.

 

 

Der Text von Barbara Kintaert basiert auf ihrem Beitrag: Vertrieben und vergessen? Bibliothekarinnen in der Kinderfreunde- und Arbeiterbewegung, in: Ilse Korotin (Hrsg.), Österreichische Bibliothekarinnen auf der Flucht. Verfolgt, verdrängt, vergessen?, Wien: Praesens Verlag 2007, S. 169-212.

 

 

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