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Fritz Molden: Explodiert vor Tatentrieb

Fritz Molden, geb. 1924 in Wien, Mitglied beim Grauen Freikorps (Studentenfreikops im Österreichischen Jungvolk). Nach dem "Anschluss" 1938 Beteiligung an Flugzettelaktion in Tirol. Teilnahme an der Jugendfeierstunde im Stephansdom am 7. Oktober 1938 (Rosenkranzfeier), am folgenden Tag vorübergehend festgenommen. Nach Besuch eines Konzerts der Schwarzmeerkosaken im April 1940 in Wien mit einer Gruppe der verbotenen Bündischen Jugend für ca. zweieinhalb Wochen inhaftiert; neuerliche Festnahme 1941 nach dem Versuch, über die Niederlande illegal nach Großbritannien zu gelangen; freiwillige Meldung zur Deutschen Wehrmacht, um längerer Haftstrafe zu entgehen; Einrückung im Juli 1942, Einsatz bei einer Strafeinheit in der Sowjetunion, Oktober 1942 Verwundung, Verlegung nach Paris und schließlich nach Italien; Desertion im Mai 1944, Anschluss an italienische Partisanen, illegaler Grenzübertritt in die Schweiz; Zusammenarbeit mit dem US-Kriegsgeheimdienst OSS (Office of Strategic Services), Verbindungsmann zwischen den Alliierten und der Widerstandsorganisation O5, Einschleusen alliierter Verbindungsoffiziere nach Österreich, Aufbau eines Kurier- und Nachrichtennetzes.

1945 Sekretär von Außenminister Karl Gruber, Journalist, 1948/49 Österreichischer Informationsdienst in New York, 1953-1961 Geschäftsführer, Herausgeber und Chefredakteur der "Presse", Gründer und Herausgeber der "Wochenpresse" und des "Express", Bau des Pressehauses, 1964 Gründung des Verlages Fritz Molden; ab 1982 freier Journalist und Schriftsteller.

Verstorben 2014.

 

 

Im Sommer [1938] waren wir auf einem Lager bei Partenen in Vorarlberg auf einer Almhütte in der Nähe von der Schweizer Grenze; einige von unseren Leuten waren Juden und sind dann von dort gleich über die Berge in die Schweiz emigriert. Einer davon war der jetzt berühmte Historiker Klemens von Klemperer. Wir anderen haben dort eine Pistole gehabt und ein Jagdgewehr. Wir haben aber nicht schießen können, das war zu gefährlich, dass man es hört. Aber wir haben sie auseinandergenommen und zusammengesetzt und haben Übungen gemacht, also so ein Trainingslager für Widerstand. Das waren alles Leute aus dem Grauen Freikorps, die dort waren, die sich in kleinen Gruppen illegal getroffen haben. Wir waren dort oben vielleicht 25 Burschen, höchstens. Und dann haben wir uns getrennt und haben gesagt, wir treffen uns noch einmal in Innsbruck mit der dortigen Freikorpsgruppe. Da waren der Hugo Ostermann und der Michael Staudinger und noch einer, der Hans Unterrainer, die haben uns da in Innsbruck untergebracht bei Tiroler Freunden, auch Freikorpsleuten.

 

Und dann hat es geheißen, wir machen Flugzettel. Wir sind explodiert vor Tatentrieb, da konnten wir was tun. Wir waren ja vollkommen vertrottelt und jung und haben keine Ahnung gehabt, was wir da alles für Blödsinn anstellen, was wir riskieren und wie wir andere Leute in Gefahr bringen. Das war uns alles nicht klar. Aber jedenfalls haben wir dann endlich herausgekriegt, in der Innsbrucker Bischofskirche - jetzt Bischofskirche, damals Pfarrkirche, es gab noch keinen Bischof damals - gab es einen Weihbischof, der hieß [Paul] Rusch; zu dem hat irgendeiner der Freikorpsleute Beziehungen gehabt. Ein ganz junger Mann war der Rusch damals, und der hat uns gesagt, wir können in der Nacht kommen; der hat eine Abziehmaschine gehabt, so mit der Hand zu bedienen, wo sie ihre Lieder für den Sonntagsgottesdienst immer abgezogen haben, und da dürfen wir Flugzettel abziehen. Also auch er von einer unglaublichen Naivität. Da haben wir Flugzettel abgezogen mit einem Lied. Das war zu der Zeit, wo der Hitler nach Rom gefahren ist zum Mussolini und Südtirol eingetauscht hat gegen Mussolinis Freundschaft. Das Lied war zu singen zur Melodie vom Horst-Wessel-Lied. Und der Text war:

 

"Im tiefsten Schlaf, die Fenster fest verschlossen,
so fuhrst du durch das deutsche Südtirol,
du letzter Hoffnungsstrahl von hunderttausend Volksgenossen,
Verräter Südtirols, oh, fahre wohl.

Es sank die Hand, die schon zum Gruß erhoben,
doch nicht der Mut, der ewig uns beseelt,
als wir erfuhren, dass auf dem deutschen Brenner droben,
die Grenze bleibt, die St. Germain bestellt.

Mag der 'VB' [Völkischer Beobachter] auch die Geschichte fälschen,
wir Söhne Hofers halten treue Wacht.
Uns bringt kein schöner Trinkspruch über zu den Welschen,
und keine 80-Millionen-Macht."

 

Da gab es noch eine Tramway mit offenen Plattformen in Innsbruck, und wir sind in die Tramway eingestiegen, am Abend, wie es dunkel war, und haben die Flugzettel weggeschmissen. Dann sind wir noch in der Nacht zum Lanser See, sind eingebrochen in das Schwimmbad und haben dort, es war eine warme Sommernacht, auf den Holzplattln, wo man sich in die Sonne gelegt hat, haben wir geschlafen in Schlafsäcken. Und sind dann am nächsten Tag noch bei Dunkelheit in aller Früh weg, in alle Weltgegenden. [...]

 

Im Oktober 1938 war Fritz Molden Teilnehmer der katholischen Jugendkundgebung auf dem Wiener Stephansplatz.

 

Ich hab' im Herbst 1938 meine erste Kundgebung mitgemacht, da war am Stephansplatz eine Kundgebung vom Innitzer, das war irgendein Herz-Jesu- oder Rosenkranzfest [Jugendfeierstunde/Rosenkranzfeier am 7. Oktober 1938] , und da waren wir, ich weiß nicht, wie viele. Wir haben das Gefühl gehabt, es waren 10.000; ob es wirklich 10.000 waren, kann ich nicht sagen, aber es waren mehr, als in die Stephanskirche hineingegangen sind, denn viele sind draußen gestanden. Die [Feier] war zuerst ganz harmlos mit Kirchenliedern, und dann war es weniger harmlos, eher zum Schrecken der Geistlichkeit, aber nicht des Innitzer interessanterweise; der Innitzer hat eine solche Wut gehabt, dass ihn der Hitler hineingelegt hat, dass er, glaube ich, auch ganz mit Begeisterung dabei war, denn seine Predigt war schon sehr scharf und klar antinazistisch. Er hat gesagt, es gibt höhere Werte als die, immer nur von der Nation zu reden, es gibt Werte der Freiheit und Werte des Glaubens. Jedenfalls haben wir dann nachher plötzlich lauter Antinazilieder gesungen und das Dollfußlied: "Ihr Jungen schließt die Reihen, ein Toter führt uns an. Er gab für Österreich sein Blut", und dann groteskerweise: "ein wahrer deutscher Mann". Also eine heute wirklich niemandem mehr verständliche Mischung, die aber damals vollkommen normal war. Das war ein großes Fest, wir waren bis um zehn, elf beieinander. Und am nächsten Tag haben wir uns gedacht, das geht jetzt jeden Tag so, und sind wieder hin. Da waren aber dann dort von unseren Leuten wenige, hingegen waren 1000 HJler dort, und die haben dann das [Erzbischöfliche] Palais gestürmt. Wir haben uns verdruckt, wurden aber doch geschnappt. Und da bin ich zum ersten Mal festgenommen worden, aber auf der "Liesl" haben sie von uns allen, die unter 16 waren, nur die Nationale aufgenommen und uns laufenlassen. Dadurch bin ich damals nur eine Nacht auf der "Liesl" gesessen, also herumgestanden, und dann nach Hause gegangen. [...]

 

Der Versuch, im Sommer 1941 über die Niederlande illegal nach Großbritannien zu gelangen, scheiterte. Fritz Molden wurde neuerlich festgenommen.

 

Ich war dann bei der Gestapo in Wien eingesperrt, zuerst auch wieder auf der "Liesl", dann bin ich am Morzinplatz gesessen, die haben Zellen gehabt. Und da haben sie mich zum ersten Mal richtig geschlagen und gefoltert, weil sie geglaubt haben, dass sie durch mich in irgendein Netz hineinkommen. Es war aber kein Netz, ich konnte also auch trotz allen möglichen Methoden, die nicht angenehm waren, nichts sagen, weil ich nichts gewusst hab'. Dann haben sie mich ins Landesgericht verlegt und haben mich dort in die sogenannten Todeszellen hineingelegt, weil sie gedacht haben, das wird für mich als jungen 16-Jährigen psychologische Wirkung haben. Hat auch Wirkung gehabt, aber nachdem ich nichts gewusst hab', hab' ich nichts sagen können. Hab' aber da zum ersten Mal Leute erlebt, die geholt worden sind um vier, fünf in der Früh, ein Priester ist noch gekommen, sie konnten beichten, wenn sie wollten, und dann sind sie rausgeholt worden. Die Zellen sind in den Galgenhof gegangen. Es war grauslich. Man hat genau gehört, wie das knackst, wenn das Genick gebrochen ist. Da bin ich ein paar Wochen gewesen, und dann bin ich dank eines sehr guten Anwalts, dem Dr. [Josef] Ezdorf, den ich beigezogen hab', zum Jugendgericht in die Rüdengasse gekommen, bin dort gesessen; dort war es natürlich viel angenehmer. Ursprünglich bin ich wegen versuchten Hochverrats und Geheimbündelei [festgenommen worden], wenn ich über 18 gewesen wäre, glaube ich, hätte ich kaum eine Chance gehabt, dass sie mich nicht zum Tod verurteilt hätten. Aber so war ich dem Jugendgericht zugehörig, hab' eine mehrjährige Gefängnisstrafe gekriegt, ursprünglich waren es acht Jahre. Dann kam es zu einer Strafverkürzung. Das war im Herbst 1941, da war ich schon 17. Vom Jugendgericht bin ich dann gekommen ins Strafgefangenenhaus Liesing und von dort nach Kaisersteinbruch, das war ein Lager am Leithagebirge. Wenn man unter 21 war, konnte man sich freiwillig zur Wehrmacht melden. Ich hab' mir gedacht, acht Jahre im Gefängnis, das halte ich nicht aus, und hab' mich also freiwillig gemeldet, nichtsahnend, dass ich zu einer Strafkompanie komm'. [...]

 

Fritz Molden wurde in einer Strafeinheit in der Sowjetunion eingesetzt und im Herbst 1942 verwundet.

 

Nach meiner Wiedergenesung wurde ich dank der Hilfe eines deutschen Wehrmachtsarztes, der meine Papiere, die klargestellt hätten, dass ich eigentlich in ein Strafbataillon gehöre, verschwinden ließ, meiner ursprünglichen Ersatzeinheit, dem Infanterieersatzbataillon 482 in Mistelbach, und von dort - weil nicht mehr frontdienstfähig - einer Ersatzeinheit nach Radebeul bei Dresden zugeteilt, kam dann noch weiter nach Spandau und sollte wiederum an die Ostfront abgehen. Durch die Vermittlung eines in Berlin lebenden Österreichers, der ein Antinationalsozialist gewesen war und auch geblieben war, es war der frühere Sektionschef, dann später im deutschen Landwirtschaftsministerium [tätige] Ministerialrat Dr. [Karl] Straubinger, wurde ich mit dem damaligen Oberst, später General [Erwin von] Lahousen bekannt, dem seinerzeitigen Chef der österreichischen Abwehr, des österreichischen Evidenzbüros, der von den Deutschen übernommen worden war, und der unter anderem zum Stellvertreter vom Admiral [Wilhelm] Canaris avanciert ist. Admiral Canaris war ja einer der aktivsten Widerstandsleute und ist dann nach dem 20. Juli [1944] hingerichtet worden. Lahousen war eng mit Canaris befreundet, und dieser Lahousen war auch über den Major [Alfons] Stillfried und den Dr. [Hans] Becker in den österreichischen Widerstand voll eingebunden. Dem General Lahousen verdanke ich, dass ich dann nicht nach Russland kam, sondern nach Italien versetzt wurde. [...]

 

In Italien war Fritz Molden Mitglied einer Widerstandsgruppe innerhalb der Deutschen Wehrmacht. Nach dem Auffliegen dieser Gruppe desertierte er und schloss sich verschiedenen italienischen Partisanengruppen an. In Mailand konnte er über Dr. Kurt Baumgartner Kontakte mit der inzwischen in Wien entstandenen O5 aufnehmen. Um Verbindung zwischen der O5 und den Alliierten herzustellen, fuhr Fritz Molden illegal in die Schweiz, wurde allerdings von der Schweizer Polizei verhaftet und dem Chef des Militärischen Nachrichtendienstes im Generalstab der Schweizer Armee Max Waibel vorgeführt.

 

Der Major Max Waibel hat mit mir dann eine Art Abkommen abgeschlossen, wonach er die Schweizer Tätigkeit dieser unserer Gruppe, die erst embryonal vorhanden war, unterstützen wird, wenn wir ihnen dafür aus Österreich Informationen zur Verfügung stellen, die für die Schweiz wichtig waren. Die Schweizer hatten ja damals die Befürchtung, dass die deutschen Armeen aus Italien und Südfrankreich im Zuge einer zu erwartenden Invasion durch die Schweiz durchmarschieren, und das wollten sie natürlich verhindern. Außerdem hatten sie große Angst, dass es eine deutsche Alpenfestung geben würde, die auch wieder die Schweiz betroffen hätte. Wir haben das also ausgemacht, und die Schweiz hat sich sehr korrekt an dieses Abkommen gehalten; ab diesem Moment hab' ich nie mehr Schwierigkeiten gehabt. Ich bekam von den Schweizern falsche Papiere jeder Art. Die Schweizer falschen Papiere waren viel besser als die von den Alliierten. Ich bin dann bis Kriegsende laufend zwischen der Schweiz und Wien bzw. Salzburg, Innsbruck, Linz hin- und hergefahren und hab' ein Verbindungsnetz aufgebaut. [...]

 

Der spätere Botschafter Hans Thalberg, der damals als österreichischer Emigrant und Student dort [in der Schweiz] gelebt hat, und der spätere Konsulent der Creditanstalt und Rechtsanwalt Dr. Kurt Grimm, der sozusagen der Financier der österreichischen Emigration in der Schweiz war, ein sehr reicher Mann, haben mir frühzeitig vertraut und haben mich dann sozusagen den Alliierten weitergegeben. Da war auch der Bundesrat [Anton] Linder, ein ehemaliger sozialdemokratischer Politiker, dann war der Johannes Schwarzenberg, Prinz Schwarzenberg, der ein ehemaliger österreichischer Diplomat war, der war beim IRK [Internationalen Roten Kreuz] in Genf während des Krieges; die haben mich dort kennengelernt und haben mir geglaubt, weil sie zum Teil auch meine Eltern gekannt haben, der Grimm und der Schwarzenberg haben meinen Vater gekannt. Dadurch bin ich dann sukzessive zum Allen Dulles vorgestoßen, das war der Chef des amerikanischen Geheimdienstes für das gesamte besetzte Europa und der persönliche Vertreter Roosevelts für Westeuropa. Der saß in Bern und war nach einigen Gesprächen der Meinung, ich bin o. k., obwohl die Engländer ihm sehr abgeraten haben. Die Engländer haben sich gedacht, ich bin ein Doppelspion, und waren immer dafür, es wäre besser, mich entweder umzulegen oder den Deutschen zu übergeben, weil da würde man ja feststellen, ob ich ein Doppelspion sei oder nicht. Wenn die Deutschen mich aufhängen, bin ich ein anständiger Bursch, wenn ich hingegen freundlich aufgenommen werde, dann bin ich eben ein Agent. Aber Gott sei Dank haben sowohl die Schweizer wie die Amerikaner und auch die Franzosen und die Russen es nicht geglaubt. [...] Wir haben Uniformen, Waffen, Funkgeräte, alles haben wir genommen, nur kein Geld. Und das hat eben die Engländer irritiert, weil die Engländer waren gewohnt, dass man Agenten hoch bezahlt. Sie haben immer gesagt, Agenten, die aus Idealismus was tun, mit denen stimmt etwas nicht, das sind Narren. Deswegen haben sie mir misstraut. Aber per saldo ist dann alles gut ausgegangen, am Schluss waren auch die Engländer freundlich, und ich hab' dann nach dem Krieg auch einen englischen Orden gekriegt. Aber diese ersten Monate war es schwierig.

 

 

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