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Ferdinand Berger: Es war die Staatspolizei!

Ferdinand Berger, geb. 1917 in Graz, Automechaniker. Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Wehrsports, Teilnahme an den Februarkämpfen in Gösting bei Graz. Übertritt zum Kommunistischen Jugendverband, 1934-1936 mehrmals inhaftiert. Ende 1937 von Österreich nach Spanien, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939), 1939 nach Frankreich, Internierung bis April 1940, Prestataire-Kompanie (unbewaffneter militärischer Arbeitsdienst). Verhaftung durch die Gestapo in der Bretagne, Februar 1941 bis Mitte 1944 KZ Dachau, dann bis Kriegsende KZ Flossenbürg.

Nach 1945 Dienst in der Polizei, Studium der Rechtswissenschaften, 1975 pensioniert, ehrenamtlicher Mitarbeiter des DÖW.

Verstorben 2004.

 

 

Vor Ostern 1935 hatte ich illegale Zeitungen zu Hause, welche verteilt werden sollten. Wir wollten jedoch eine Schitour über Ostern machen, und darum habe ich schauen müssen, dass ich die Zeitungen jemandem gebe, der sie für mich verteilt. Ich bin zu einer Genossin nach Gösting gefahren und wollte ihr den Zettel mit den Adressen geben, wo die Zeitungen hingehören. Sie hat im Souterrain einer Villa gewohnt, und als ich mit dem Fahrrad vorbeigefahren bin, habe ich reingeschaut und gesehen, da ist ein Mann drinnen, und habe mir noch gedacht: "Na, ihr Mann ist doch auf Montage." Ich wollte schon wegfahren, habe mir aber dann gedacht: "Nein, das geht nicht. Ich will doch fortfahren, ich muss ihr den Zettel bringen." Ich läute an, und sie kommt mit einem Mann heraus. Ich überlege noch, den habe ich doch schon wo gesehen, und auf einmal zieht der eine Pistole und sagt: "Laufen Sie nicht davon, sonst schieße ich." Es war die Staatspolizei! In der Wohnung waren noch zwei Kriminalbeamte, die gerade eine Hausdurchsuchung gemacht haben. Ich habe mir gedacht: "Jessas, der Zettel mit den Adressen, der Zettel mit den Adressen." Plötzlich läutet es, und der Staatspolizist sagt: "Na, wenn wir noch ein bissl warten, haben wir den ganzen Kommunistischen Jugendverband" und geht raus. Die anderen zwei haben weitergesucht und sich um mich nicht weiter gekümmert. Ich bin in einer Ecke gesessen, neben mir war eine Kredenz, und ich habe alles, was ich in den Taschen hatte, auf den Tisch herauslegen müssen. Da war auch der Zettel dabei. Ich habe versucht, ihn zwischen Glasscheibe und Rahmen der Kredenz hineinzuschieben. Aber der Zettel ist nicht stecken geblieben. Die Tür geht auf, und der Kriminalbeamte kommt rein, ich ziehe die Hand weg, der Zettel flattert herunter und er springt sofort hin und will den Zettel nehmen. Ich habe ihm die Hand weggeschlagen, den Zettel genommen und ihn zu essen versucht. Der Kriminalbeamte hat geschrien: "Der Hund hat einen Zettel gefressen." Alle drei haben sich auf mich gestürzt und der eine wollte mir in den Mund fahren. Ich sagte: "Fahren Sie mir nicht in den Mund, ich beiße zusammen." Daraufhin hat er mich bei der Gurgel genommen. Solange ich noch Luft hatte, habe ich weitergebissen, und dann habe ich gesagt: "Ich gebe euch den Zettel, lasst mich aus!" Daraufhin haben sie ausgelassen, ich habe kurz Luft geholt und weitergebissen. Dann hat er mich noch einmal bei der Gurgel genommen und die Nase zugehalten. Jetzt habe ich überhaupt keine Luft mehr bekommen, da habe ich ihnen den Zettel ausgespuckt. Der Staatspolizist ist hingefahren und hat gesagt: "Wir mit unseren modernen Mitteln der Chemie, wir können das alles noch lesen."

 

Dann haben sie mich in die Polizeidirektion Graz eingeliefert, und ich bin über Ostern im Keller des Polizeigefangenenhauses Graz gesessen. Nach Ostern haben sie mich zur Einvernahme geholt. Ich habe unheimlich gezittert wegen der Zeitungen, die ich zu Hause liegen hatte, weil die konnten nicht mehr weggeräumt werden. Der Kriminalbeamte kommt rein und legt vier Zeitungen auf den Tisch. Ich denke mir: "Vier? Vier? Vielleicht hat er nur eine Kostprobe mitgenommen und es war ihm zu dumm, die anderen zu tragen." Nein, das war alles, was sie gefunden hatten. Die vier Zeitungen waren nämlich in der Nachttischlade, und die übrigen waren unten im Nachttisch drinnen. Nachdem sie die vier gehabt haben, haben sie offenbar nicht mehr weitergesucht, und das Paket Zeitungen ist unten drinnen liegen geblieben. Er hat nachher gefragt: "Was ist auf dem Zettel gestanden? Wir haben ihn eh gelesen." Sage ich: "Na, wenn Sie ihn gelesen haben, dann werden Sie draufgekommen sein, dass ich offenbar den falschen Zettel gefressen habe." "Wieso?" "Sie haben hier einen Plan für einen Wettbewerb mit einer anderen Jugendverbandszelle liegen, und den habe ich fressen wollen. Das war ein leerer Zettel, den ich gefressen habe. Mein Pech." Er hat mir das glauben müssen, ob er wollte oder nicht. Dann hat er mich noch gefragt, von wo ich die Zeitungen herhabe, da habe ich geantwortet: "Die habe ich von einem Fremden im Augarten bekommen." Ich bin nachher in meine Zelle zurückgeführt worden und eine Woche später dem Konzeptsbeamten vorgeführt worden, der hat mir sechs Monate Polizeihaft gegeben und gleichzeitig gesagt, ich bekomme Strafaufschub auf unbestimmte Zeit. Ich war ganz perplex über den Strafaufschub, weil ich mir das überhaupt nicht vorstellen konnte. Aber mein Vormund ist draußen gestanden, der hat mir gleich beim Reingehen gesagt: "Du gehst mit mir nach Hause."

 

Ich bin sofort enthaftet worden, mit der Auflage, ich darf mich nicht in Graz aufhalten, ich muss Graz sofort verlassen. Man hat mich auch gefragt, wo ich hinfahre. Meine Mutter war damals in der Oststeiermark, in Pischelsdorf, und ich habe gesagt, ich fahre nach Pischelsdorf. Gut, um wie viel Uhr ich wegfahre? Sage ich: "Das weiß ich noch nicht, ich muss erst im Fahrplan nachschauen. Mit dem ersten Autobus fahre ich weg." Da hat er bei der Post angerufen und festgestellt, dass der Autobus gegen Mittag herum geht. [...] Tatsächlich, beim Autobus ist ein Wachmann gestanden, der hat mich gefragt: "Sind Sie der Berger?" "Ja." Sagt er: "Ist gut." Er hat dort gewartet, bis der Autobus abgefahren ist, und in Pischelsdorf ist ein Gendarm gestanden. Der hat mich auch gefragt: "Sind Sie der Berger?" "Ja." Weiter nichts, hat sich wieder umgedreht und ist gegangen.

 

In Pischelsdorf habe ich in einer Ziegelei gearbeitet, und das war für mich eine furchtbar schwere Arbeit. Die Bauernbuben, die dort gearbeitet haben, haben sich mehr oder minder gespielt damit, aber für mich war diese körperlich anstrengende Arbeit in einer Ziegelei so, dass ich abends immer vollkommen hin war. Nach ungefähr einem Monat habe ich gesagt: "Das ist ja eine Schweinerei, was da passiert, gegen diese Bezahlung bin ich nicht mehr länger bereit, hier zu arbeiten" und bin nach Graz gefahren, bin zur Staatspolizei gegangen und habe dort gesagt: "Ich gehe zum Arbeitsdienst." Sagt er: "Gut, ein paar Tage, bis Sie zum Arbeitsdienst gehen, können Sie in Graz bleiben, aber dann müssen Sie zum Arbeitsdienst gehen." Das habe ich gemacht und bin nach Vorarlberg zum Arbeitsdienst geschickt worden, zum Bau der Arlbergstraße. Beim Arbeitsdienst war ich ungefähr 14 Tage, und wir haben jeden Tag eine halbe Stunde länger gearbeitet, zur Einarbeitung von eventuellen Regentagen. Auf einmal hat es einen halben Tag geregnet, und sie haben gesagt, wir müssen länger arbeiten, weil wir das von dem Regen nachholen müssen. Da habe ich gesagt: "Das ist ein Blödsinn. Wir haben jeden Tag um eine halbe Stunde länger gearbeitet. Was wollen Sie von uns? Das ist schon längst eingearbeitet, was durch den Regen ausgefallen ist." Nachdem die Arbeitsdienstleitung auf dem Standpunkt gestanden ist, dass wir länger arbeiten müssen, habe ich gesagt, das machen wir nicht. Am Ende der Arbeitszeit sind wir alle angetreten und haben das Werkzeug abgegeben. Nachdem der Arbeitsdienstführer keinen Befehl zum Abmarschieren gegeben hat, habe ich kommandiert: "Im Gleichschritt, marsch!" Und wir sind in unser Quartier marschiert. Kaum im Quartier angekommen, hat es geheißen, es werden einige vom Arbeitsdienst entlassen. Wir waren mehrere Steirer, und die Steirer haben zu mir gesagt: "Hör zu, geh einmal hinauf zu dem Arbeitsdienstführer und frag ihn, ob von uns auch jemand dabei ist, der entlassen wird. Wenn einer von uns dabei ist, kannst ihm gleich sagen, wir gehen alle, weil wir lassen uns das nicht gefallen." Ich bin hinaufgegangen, und er hat gesagt: "Sie werden entlassen." Da habe ich ihm gesagt: "Na gut, dann können Sie gleich alle abschreiben, weil dann gehen die ganzen Steirer." Sagt er: "Ist auch gut." Nachdem ich die sechs Monate ausständig gehabt habe, wollte ich nicht nach Graz zurück und bin mit einem Freund in die Schweiz. Wir sind zu Fuß illegal über die Schweizer Grenze gegangen, Pass haben wir keinen gehabt. Unterwegs haben wir versucht, eine Schlafgelegenheit zu finden. Schlafen hat uns keiner lassen, aber der erste Schweizer, bei dem wir angeläutet haben, hat jedem von uns fünf Franken gegeben, aber schlafen können wir nicht bei ihm.

 

Das war im Sommer 1935. Wir sind dann bis Zürich gekommen. Wir haben irgendwo außerhalb von Zürich in einem Heustadel geschlafen, und am nächsten Tag haben wir den Blödsinn gemacht und sind zum Bahnhof gegangen. Wir waren keine fünf Minuten am Bahnhof, war schon ein Kriminalbeamter da. Dem sind wir natürlich mit unserem komischen Gewand aufgefallen und er hat uns sofort festgenommen. Wir sind in Zürich in den Polizeiarrest gekommen, sind dort zirka eine Woche gesessen, und dann haben sie uns nach Österreich abgeschoben. An der Grenze hat uns die Gendarmerie in Empfang genommen. Aber wir sind nicht verhaftet worden, sondern haben nur eine Fahrkarte bekommen für eine Etappe. Etappenweise sind wir bis Graz gefahren. In der Früh bin ich in Graz angekommen und bin nach Hause gegangen. Meine Großmutter war nicht da, die war in Pischelsdorf. Ich habe mich daheim gewaschen und ich war gerade beim Rasieren, auf einmal klopft es. Wie ich aufsperre, steht ein Kriminalbeamter draußen. Er sagt zu mir: "Sie müssen mitkommen, zum Herrn Stelzel." Sage ich: "Was will er denn von mir?" Sagt er: "Na, er will Sie nur etwas fragen usw." "Warten Sie eine Minute." Habe mich fertig gewaschen, habe den Rasierapparat eingepackt usw. Wie ich zum Stelzel komme, brüllt der: "Weißt, für einen, der einen Streik organisiert, haben wir keinen Strafaufschub. Du bleibst sofort da und sitzt deine sechs Monate ab." So geschah es. Einige Tage war ich im Polizeigefangenenhaus und bin dann ins Anhaltelager Messendorf gekommen. Messendorf war das zweite Anhaltelager in Österreich, in der Nähe von Graz gelegen.

 

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