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Ludwig Soswinski: Wir waren "Weana"

Ludwig Soswinski, geb. 1905 in Wien. 1925-1929 Verband Sozialistischer Studenten Österreichs, dort Sekretär. Jurist, Revisor bei den Konsumgenossenschaften. Nach dem Februar 1934 KPÖ, 1937/38 Haft. Neuerliche Festnahme am 13. März 1938, am 1. April 1938 mit dem so genannten "Prominententransport" Überstellung in das KZ Dachau. Bis Kriegsende Haft in den KZ Dachau, Flossenbürg, Lublin, Auschwitz und Mauthausen, Beteiligung an der Organisierung des Widerstands der politischen Häftlinge.

1945-1958 Wiener Gemeinderat (KPÖ), 1955 Wiener Obmann des KZ-Verbandes, ab 1964 dessen Bundesobmann. 1963 maßgeblich an der Gründung des DÖW beteiligt.

Verstorben 1997.

 

 

Am 13. März - der Seyß-Inquart hat die Regierung übernommen - um halb sechs in der Früh waren die von der österreichischen Polizei da. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob sie schon die Nazi-Armbinde gehabt haben. Ich bin zuerst in die Juchgasse gekommen, da wir im III. Bezirk gewohnt haben. Am selben Tag oder am nächsten Tag sind alle in die "Liesl" [Polizeigefangenhaus Roßauer Lände] gebracht worden. Dort sind schon alle Beamten mit der Nazi-Armbinde herumgelaufen. Dass das alles Nazi gewesen wären, ist sicher ein Unsinn. Einer von ihnen ist gekommen und hat gesagt: "Herr Doktor, was machen Sie schon wieder da?" Ich war nämlich schon unter der Regierung Schuschnigg wegen illegaler Betätigung in Haft. So eine Frage hätte es bei der Gestapo sicher nicht gegeben. Aber zu dem Zeitpunkt haben sie die Fäden einfach noch nicht in der Hand gehabt. Ich kann mich erinnern, dass ich in der Zelle mit dem Oberegger, mit dem Glöckel, das war der Sohn vom [Otto] Glöckel, und einem von den christlichen Sturmscharen war. [...]

 

Da war so ein alter Polizist, der mich gekannt hat, der hat gesagt: "Nach Dachau kemmts!" Einem der anderen hätte er das ja nicht gesagt, die hat er ja nicht gekannt, aber ich war eine Vertrauensperson. Ich war ein politischer Häftling, von dem man gewusst hat, der ist bei einer politischen Organisation. Ich habe das natürlich sofort kolportiert. Warum? Das muss man ja wissen. Für mich war das keine Überraschung. Für mich war Dachau nichts Unbekanntes. Da hat es schon das "Braunbuch" [Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror, Basel 1933] gegeben, das man illegal vertrieben hat. Dafür ist man schon eingesperrt worden, weil man es illegal vertrieben hat. Ich kann mich heute noch erinnern: Da sagte einer der Mithäftlinge zu mir: "Sagen Sie, Herr Doktor, was wird in Dachau sein?" - Sag ich: "Soll ich Ihnen was sagen" - oder: "Dir", das war ein Grundsatz, im Häfen ist alles per "Du". Sage ich: "Jetzt werd ich dir was sagen. Hättets ihr das wenigstens selber gelesen, weshalb ihr unsere Leute verhaftet habts, dann würdets ihr mich jetzt nicht fragen, was dort ist." Da hätte ich stundenlang erzählen können, weil das ja alles durch die ausländische Presse und Radiosender bekannt war. [...]

 

Im "Grünen Heinrich" haben Sie uns auf den Westbahnhof gebracht. Dort sind wir in D-Zug-Waggons hineingekommen. Da hat es geheißen: "Hopp auf! Marsch, marsch!" und je acht in ein Coupé, und vor jedem Coupé stand ein SS-Mann an der Tür. Ich habe Glück gehabt, ich bin beim Fenster gewesen, am weitesten weg von der Türe. [...]

 

Wie ich im Zug gesessen bin, fragt der mich: "Was warst du?" - "Kommunist." Keine Ohrfeige, kein Schimpfwort, nichts. Ich habe mir das ein paar Tage später schon genau erklärt. Die Auseinandersetzung zwischen der SS und den Kommunisten war ja ein alter Hut von 1933. Dass hier Kommunisten verhaftet waren, das gehörte so dazu. Also schön, den "Abschaum" muss man da mitnehmen, das ist nichts Neues. [...] Es war die Österreichische Legion, die uns transportiert hat. Das waren österreichische Nazis, die geflüchtet sind und in Dachau, mehr oder weniger freiwillig, in dieser Verfügungstruppe [SS] eingereiht worden sind und die oft mit Kommunisten zusammen gesessen waren. Für sie waren die prominenten Leute der Vaterländischen Front, die sie eingesperrt haben, die Gegner. Da haben sie sich natürlich primär an denen gerieben. Das habe ich auch nachher im Lager bemerkt. [...]

 

So sind wir mit dem ersten Österreicher-Transport nach Dachau gekommen. Die Liste ist bekannt. Der Unterschied zum zweiten Transport war: es ist niemand sofort in die Strafkompanie gekommen. Später hat man dann die so genannten Prominenten in die Strafkompanie gebracht. Das geschah bei uns nicht. Dann sind wir aufgerufen worden: Prominente? Die höchsten Ränge, an die ich mich erinnere, waren Generale und Sektionschefs. [...] Es wurde also nach der Liste vorgelesen, und ich kann mich heute noch erinnern, da hat es geheißen: "Soswinski" - es hat natürlich keinen akademischen Titel mehr gegeben -, "Kommunist!" Kein Mensch hat sich darum gekümmert. Weder hat sich ein SS-Mann auf mich gestürzt noch gab es eine besondere Bemerkung. Dann ist man bei der politischen Abteilung gestanden. Man musste einen Bogen ausfüllen und Ähnliches mehr. Das war der Empfang des Lagerkommandanten. [...] Im Alphabet hinter mir steht der Stillfried, der Lagerkommandant von Wöllersdorf. Ich kann mir ja vorstellen, in Wöllersdorf hat er mit den Nazis auch seine Probleme gehabt so wie mit den Linken, mit den Kommunisten als auch mit den Sozialisten. An sich war Stillfried ein kleiner Mann, er war, mir scheint, Oberleutnant, bevor er dazu gekommen ist, und ein - das muss ich sagen - völlig unpolitischer Mann. Man hat den Stillfried gefragt: "Was waren Sie?" Der SS-Mann hätte vielleicht nicht einmal gewusst, dass Stillfried Kommandant in Wöllersdorf war. Wenn er gesagt hätte: "Ich war ein Gendarmerie-Oberleutnant" oder irgendetwas, wäre nichts passiert. Er sagte jedoch: "Ich war Kommandant in Wöllersdorf." Na, und jetzt kommt eine der berühmten Geschichten, wie sie von der SS x-mal in den Lagern gehandhabt wurden. Der SS-Mann gibt mir einen Stoß: "Schmier ihm eine! Der hat euch ja auch eingesperrt in Wöllersdorf!" Also schön, es gibt die Möglichkeit, nein zu sagen. Alle jugendlichen Helden sagen: "Ich sage nein." Ich habe nie zu den Selbstmördern gehört, und das wäre an die Grenze des Selbstmordes gegangen, das war Befehlsverweigerung. Es hätte nicht Selbstmord sein müssen, Strafkompanie hätte genügt. Die Sachen haben wir ja alle gekannt, das war für uns nicht unbekannt. Ich hätte ihm eine leichte Ohrfeige geben können. Das habe ich aus den Büchern schon alles gekannt: "Das soll eine Watschn sein?", da hast einmal zwei, drei von dem SS-Mann gekriegt, dass dir die Zähne rausgefallen sind. Ich habe alles nachher erlebt. Dann hast du ihn erst recht schlagen müssen. Ich sage, überlegt: "Melde gehorsamst, ich war nie in Wöllersdorf!" Das ist eine Antwort, wenn man will. Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen. Der SS-Mann geht weiter. Das war über seinen Intellekt, das war keine Befehlsverweigerung. [...]

 

Wir haben alle gewusst, Österreich gibt es nicht mehr. [...] Es ist nicht in Frage gekommen, dass wir gesagt haben: "Deutsche." Ich bin aber auch nicht blöd, dass ich sage: "Österreicher." Was bringt das? Schläge! Das hilft Österreich nicht, das hilft uns nicht, bringt einen in ein schlechtes Kommando. Also: "Was bist denn?" - "A Weana!" Das haben sie gefressen! Sie haben vielleicht mit der Zeit gewusst, was es bedeutet, dass man ausweicht, aber sie haben es zur Kenntnis genommen. Wir waren also keine Österreicher, sondern wir waren "Weana“. [...]

 

[Im Jänner 1944 werden 100 "deutsche" Häftlinge aus Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau nach Lublin, einem Außenkommando des KZ Majdanek, überstellt. Auf Beschluss der illegalen Lagerleitung von Dachau wird Ludwig Soswinski als künftiger Lagerschreiber des Außenkommandos Lublin in die Transportliste eingeschmuggelt.]

 

Es hat dort in diesen Werkstätten Zivilarbeiter gegeben, mit den Häftlingen zusammen, Polen natürlich. Wir haben sehr rasch mit ihnen Verbindung gehabt. Das hat dazu geführt, dass wir zwei Dinge bekommen haben: "Botschek", das ist Speck, und Wodka. Der Wodka war sehr notwendig, weil wir ihn für die SS gebraucht haben, die sich ihn ja viel weniger leicht verschaffen konnte als wir. Ich will nicht sagen: "Das hat es nicht gegeben", aber ich glaube nicht, dass im Lager ein Häftling viel vom Wodka bekommen hat, weil da war ich wie der Teufel hinterher. Ich habe gesagt: "Mit einem Menschen, der trinkt, werde ich in meinem Leben nichts Illegales machen, weil ich weiß nicht, was dann passiert." Das ist mein Selbstschutz gewesen. Vielleicht aus der Geschichte der Arbeiterbewegung: Ein denkender Arbeiter trinkt nicht, ein trinkender Arbeiter denkt nicht. Ich bin in der Zeit aufgewachsen, daher ist mir das irgendwie in Fleisch und Blut übergegangen. Ich weiß nicht, ob nicht einer doch etwas getrunken hat. [...] Der "Botschek" ist in der Küche verarbeitet worden. Man kann aus Rüben sogar ein Essen machen, wobei es noch haufenweise Kartoffel gegeben hat, Rüben waren nicht das Einzige ... Wenn man aber alles mit Fett herrichten kann, so ist keiner dann an Unterernährung oder als "Muselmann" [durch Hunger völlig entkräfteter Häftling] im Juli bei der "Evakuierung" umgekommen. Die Polen haben uns das deshalb so reichlich gegeben, weil wir ihnen dafür Nachrichten vermittelt haben.

 

Es hat einige vom Lager gegeben - so wie in allen Lagern -, die mussten in den SS-Unterkünften sauber machen. Das war sicher ein sehr gutes Kommando, weil es dort oft Brot gegeben hat. Das hat es sogar in Mauthausen in den Führer- und Unterführer-Baracken gegeben, dass der, wenn er schön sauber gemacht hat, ein Stück Brot bekommen hat. Man hat zum Beispiel feststellen können, dass der SS-Mann vergessen hat, am Abend den Feindsender abzudrehen. Wenn er dann gekommen ist, hat man gesagt: "Wenn Sie schon hören, dann drehen Sie das am Abend wieder zurück." Das war natürlich ein Vertrauensverhältnis, das da geschaffen wurde. Ein konkreter Fall. Da hat der gesagt: "Jössas na, heut müss ma am Abend wieder ausse!" Warum muss er heute abend wieder "ausse"? Zur Partisanenbekämpfung. Wenn ein Sturmbann ausgerückt ist - keine Ahnung, 500 oder 600 Mann -, hast du keinen Partisanen gesehen, weil das Machtverhältnis zu ungleich war. Aber das war nicht immer so, manchmal sind kleinere Einheiten ausgerückt, vielleicht 20, 30 Mann. Der SS-Mann hat gewusst, wozu er eingeteilt war. Wenn er nach Hause gekommen ist aus dem Dienst oder nach dem Mittagessen, hat er gewusst, was am Abend los ist. [...] Wenn er gewusst hat, dass er mit einer kleinen Einheit ausrückt, hat er auch gewusst, dass für ihn eine unmittelbare Lebensgefahr besteht. Das hat er zum Ausdruck gebracht. Der Häftling hat das nach seinem Einrücken ins Lager dem Zivilarbeiter gesagt. Wenn die am Abend nach Hause gegangen sind, dann haben die Partisanen erfahren, wer draußen sein wird. Das war die Hilfe, die wir gegeben haben. Das zur Frage: Wollten die wirklich nur die Häftlinge unterstützen mit "Botschek" und mit Wodka? Bei Wodka haben sie gewusst: Wenn die SS anfängt zu saufen, dann ist manches leichter zu machen. [...] Ich erkläre das immer wieder: Das kann man nicht vergleichen mit Dachau oder mit Buchenwald 1938, von mir aus sogar bis 1945. Das war im Osten, das war in Polen, das war in einer bestimmten Kriegszeit. Wenn schon der SS-Mann Feindsender gehört hat, war sicher schon der Glaube, dass der Krieg gewonnen wird, erschüttert.

 

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