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Anna Sussmann: Ex-Autrichienne

Anna Sussmann, geb. 1909 in Wien, Modistin, später Zahnarztassistentin. Mitglied einer sozialdemokratischen Theatergruppe. 1934 Beitritt zur KPÖ, 1937 Exil in Frankreich, Heirat mit dem Bühnenbildner und Graphiker Heinrich Sussmann (1904-1986). Juni 1940 Flucht aus Paris nach Südfrankreich, Widerstand in der Résistance. Verhaftung am 1. Juni 1944 in Paris, Ende Juli 1944 Deportation nach Auschwitz, von dort Überstellung in das KZ Groß-Rosen, Flucht aus dem Außenkommando Kratzau, ab Anfang Dezember 1944 in der Schweiz.

Nach der Befreiung zunächst nach Frankreich, dann Rückkehr nach Österreich.

Verstorben 1985.

 

 

Und dann kam schon das 39er-Jahr [der Ausbruch des Krieges mit Deutschland]. Und da hat es also geheißen "ressortisant des pays ennemis" [Angehörige feindlicher Länder] aufs Polizeikommissariat. Wir waren ja dort höchst angesehene Bürger. Der Polizeikommissär hat gesagt: "Monsieur Sussmann, aber was denken Sie! Das [die Internierung] geht doch nicht gegen Sie! Das sind Leute, die aus Deutschland kommen. Das hat doch mit Ihnen nichts zu tun." Ein paar Tage später ist er dann gekommen und hat gesagt, er bedauere sehr, aber der Suss [Heinrich Sussmann] muss auch gehen. Und zwar musste er sich stellen im Fußballstadion von Colombes [Colombes de Paris] in der Nähe von Paris. Er war ziemlich lang dort. Denn ich bin immer hinausgefahren, Lebensmittel hinbringen. Und einmal, als ich hinauskam - wiederum mit Lebensmitteln -, hat's geheißen: Sie sind schon weg. Man weiß nicht wohin. Und lange Zeit nachher hab ich dann eine Nachricht gekriegt von meinem Mann: Er ist in Meslay-du-Maine, in einem Lager interniert.

 

Das war einfach eine Maßnahme gegen alle Leute, die aus Deutschland oder Österreich gestammt haben. Wobei anfänglich - die Tschechoslowakei war von Deutschland ja besetzt - auch die Tschechen sich stellen mussten. Sie wurden dann als Erste wieder herausgelassen. Die Österreicher nicht, die Österreicher haben in dem Lager gesessen, und man hat ihnen zugesetzt, dass sie in die Fremdenlegion gehen sollen. Und die Österreicher haben erklärt: "Wir haben eigentlich nichts gegen die Araber. Wir sind sofort bereit, freiwillig beim Militär gegen Hitler zu kämpfen. Aber warum sollen wir gegen Araber kämpfen?" Also sind sie nicht in die Fremdenlegion gegangen. Und ich habe sehr arge Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt. Ich war nämlich mal eine hübsche Frau. Das gehört leider auch dazu - vielleicht spielt das eine Rolle. Dieser Polizeikommissär hatte ein Äuglein auf mich geworfen und ist daher jeden Moment gekommen: "Ich muss mit Ihnen reden. Warum geht Ihr Mann nicht in die Fremdenlegion?" Ich hatte eine sehr liebe französische Freundin. Der habe ich gesagt: "Hörst, mir ist der so grässlich. Ich weiß genau, warum er kommt. Und ich möchte ihn schon so gern los sein. Ich weiß nicht, wie ich ihn loswerden soll." Hat sie gesagt: "Lass mich machen!" Und ist also hingegangen, hat gesagt: "Wissen Sie, wie Sie die Frau Sussmann immer verletzen? Können Sie sich nicht an den Herrn Sussmann erinnern?" "Naja ... was ist?" "Na, ein Kleiner, Buckliger, der hinkt. Sie nehmen ihn ja nicht bei der Fremdenlegion!" Also - von da an hatte ich Ruhe, was die Fremdenlegion betraf. [...]

 

Alle österreichischen Frauen, deren Männer in Lagern waren, sind bei mir zusammengekommen. Weil ich ja eine normale Wohnung hatte. Und wir haben gestrickt für die Männer. Eines Tages hat die Genossin Tilly Spiegel zu mir gesagt: "Genossin Sussmann, wir haben einen Auftrag. Du bist doch hier gut angeschrieben. Du bist eine eingesessene Emigrantin. Du bist ja eigentlich keine Emigrantin - ihr seid ja schon vorher da gewesen. Du musst einen Weg finden, eine Besuchserlaubnis für das Lager zu bekommen." Es herrschte absolutes Verbot, die Österreicher im Lager zu besuchen. Die deutschen Frauen durften die deutschen Männer im Lager besuchen, die österreichischen nicht.

 

 

Mit welcher Begründung?

 

 

Gar keine Begründung. Das war's ja eben, was uns so irritiert hat. [...] Ich habe also den Parteiauftrag gekriegt, ich muss eine Besuchserlaubnis für Meslay erwirken. Das habe ich meiner französischen Freundin erzählt. Die hat gesagt: "Siehst du" - sie war eine sehr mondäne Frau - "das kommt davon, weil du mir nie zuhörst, wenn ich dir Tratschgeschichten erzähle. Ich habe dir gesagt, dass der Professor Rougier eine österreichische Freundin hat. Das ist ein sehr prominenter Mann. Zu dem Professor Rougier wirst du gehen." Ich bin aufgeputzt worden mit Silberfüchsen und weiß nicht was. Und habe den Professor Rougier angerufen und habe vereinbart, mit ihm zusammenzukommen. Dann hat er mich angerufen: "Sie brauchen gar nicht kommen. Ich habe schon alles für Sie. Sie gehen ins Kriegsministerium, zum General Menard. Und dort sagen Sie, Sie kommen von mir." Ich sage: "Hören Sie, Professeur, wie stellen Sie sich vor, dass ich als schäbige Österreicherin zum Kriegsministerium geh und sag, ich möcht den General Menard sprechen?" "Ja, Sie gehen hin, und da gibt man Ihnen einen Zettel, da schreiben Sie: 'de la part du Professeur Rougier'." Ich hab mich wieder schön aufgeputzt, und meine französische Freundin ist mit mir gegangen. Im Kriegsministerium ist eine lange Schlange Menschen gestanden. Ich bin direkt zum Schalter gegangen und hab gesagt: "General Menard, s'il vous plaît" und habe meinen Zettel hingeschoben. Daraufhin hat man gesagt: "Bitte schön, kommen Sie sofort rein." Und die Tür öffnet sich. Es war wie im Film. Lauter Parkett, herrlich, elegant. Alles hat geblitzt. Sogar die Türsteher haben Ehrenlegion gehabt. Und meine Freundin ist mit mir getrippelt, blauäugig und blond. Dann sind wir endlich in ein Zimmer gekommen, wo man gesagt hat, wir sollen uns niedersetzen. Es war so wie: Feindliche Ausländerinnen im feindlichen Ministerium. Plötzlich ist die Tür aufgegangen. Jemand hat die Hacken zusammengeschlagen - ein großer Offizier - und hat gesagt: "Mes hommages, Mesdames!" Der hat genagelte Schuhe angehabt, ist ausgerutscht und vor uns niedergefallen! Und wir haben gewusst: Das ist entsetzlich schlecht für uns. Meine Freundin hat mit den Augen geklimpert und hat gesagt: "Ja, es ist so rutschig auf dem Parkettboden." Der ist verschwunden, und man hat ihn nicht mehr wiedergesehen. Ein anderer ist herausgekommen und hat gefragt: "Um was handelt es sich?" Ich hab ihm gesagt: "Also bitte schön, ich bin die Ex-Österreicherin ["Ex-Autrichienne" - die Österreicher weigerten sich, als Deutsche zu gelten, daher wurde amtlich dieser Begriff geschaffen] Soundso. Mein Mann ist interniert. Ich habe von ihm Nachricht - er ist in Meslay-du-Maine. Die österreichischen Frauen haben Besuchsverbot bei ihren Männern. Und die deutschen Frauen dürfen zu ihren deutschen Männern ins Lager fahren. Ich möchte meinen Mann auch sehen, wir sind jung verheiratet." "Oh", hat er gesagt, "das kann ich nicht machen. Das ist der Innenminister Sarraut, von dem das abhängt." Hab ich gesagt: "Bitte, dann geben Sie mir 'un petit mot' [Empfehlung] an den Minister Sarraut." So ging ich also ins Innenministerium - allein. War beim Herrn Minister Sarraut. Ich hab ihm erklärt, worum es sich handelt. Hab gesagt: "Wissen Sie, eigentlich sind wir Österreicher die ersten Opfer von Hitler gewesen. Es ist doch erstaunlich, dass die deutschen Frauen ihre Männer besuchen dürfen, und wir Österreicherinnen dürfen nicht zu unseren Männern. Da hat er gesagt: "Warten Sie einen Moment." Er ist wiedergekommen und hat sich den Bauch gehalten vor Lachen. "Madame, wissen Sie, warum Sie nicht hindürfen?" Hab ich gesagt: "Nein." "Ganz Meslay hat kein Hotel. Das ist eine Wiese, wo Ihr Mann ist. Und die schlafen in Zelten. Und wenn Sie hinfahren - es ist doch ziemlich kalt -, Sie müssen dort übernachten. Und es ist dort keine Bleibe. Das ist der Grund, weshalb die österreichischen Frauen nicht hindürfen." [...] Er hat mich wieder hinauskomplimentiert und gesagt: "Sie hören von Ihrem Kommissariat." Und das Kommissariat hat mich eines Tages verständigt. [...] Ich war das erste Mal in einem Lager. Und hab also zu meinem Mann völlig verdutzt gesagt: "Sag, warum stehen da alle Männer?" Und er hat sich so umgeschaut und gesagt: "Na, schau dich um! Wo sollen sie sich hinsetzen?" Es war weit und breit nichts, worauf man sich setzen hätte können. [...] Es durften dann auch andere österreichische Frauen ihre Männer besuchen. Es hat in einem Gasthof Zimmer gegeben. [...]

 

Dann hat mein Mann geschrieben: "Wir haben es durchgesetzt: Wir wurden mobilisiert als Prestataires [Arbeitsdienst, der Armee unterstellt]." Das war eine Art Pionier, "Mann ohne Waffe". Er kam nach St. Nazaire. Und ich saß in Paris. [...]

 

 

Mit ihrem Bruder und seiner Frau schloss sich Anna Sussmann im Juni 1940 den Flüchtlingsströmen in den Süden Frankreichs an. In Marseille traf sie mit ihrem Mann zusammen und knüpfte wieder Verbindungen zu den österreichischen Kommunisten in Frankreich.

 

Es war absolute Hungersnot in Marseille, es gab gar nichts! Das war zwischen 1940 und 1942. 1940 waren noch Konserven vorhanden, die man kaufen hätte können, wenn man Geld gehabt hätte. Aber wir haben ja kein Geld gehabt. Und später war absolut nichts außer Schleichhandel; und den konnten wir uns nicht leisten. [...] Wir hatten ein Zimmer in der Größe - zweimal so groß wie diese Sitzgelegenheit. Wir mussten uns außerhalb des Zimmers ausziehen. Mein Mann hatte einen kleinen Tisch zum Arbeiten. Und hinter ihm bin ich mit einem Reißbrett am Schoß gesessen mit einem Spirituskocher und hab für uns gekocht. [...]

 

Ich kann mich erinnern, wir haben also irgendwelche Flugblätter zu verteilen gekriegt. [...] Die haben wir bei Fabriken verteilen müssen. 25, 26 Leute waren wir. Und mein Vorgesetzter [in der KP-Organisation] war der Albert Hirsch. Fritz hat er zu unserer Zeit geheißen. Und der hat mich manchmal sehr angefaucht. Da hab ich ihm einmal gesagt: "Hör einmal, wozu ist das eigentlich gut, dass wir da Flugzettel verteilen? Bestenfalls - wenn's viel ist - können wir dreißig oder vierzig verteilen, bevor wir davonrennen müssen. Also ein ungeheurer Einsatz für nichts. Die Leute, die riskieren doch alle was." Und da hat er gesagt: "Ja, das ist wichtig. Wir prüfen die Einsatzbereitschaft." Hab's zur Kenntnis genommen, dass man prüft. Wenn man Pech hatte, ist man halt erschossen worden. Wir haben uns aber dann sehr gut vertragen mit ihm. [...] Dann ist am 22. Juni 1941 der Krieg gegen die Sowjetunion ausgebrochen. Da war ich noch in der Arbeit; bei der Madame Ermane [Anna Sussmann hatte ein Kind zu betreuen]. Und wir hatten zufällig an diesem Tag Zellenabend. [...] Und unser Albert Hirsch hat gesagt: "Genossen, seit heute stehen wir im Krieg. Jetzt ist es ein gerechter Krieg. Wir sind mobilisiert. Wir sind Soldaten der Roten Armee." Wir haben das alle sehr, sehr ernst genommen und haben uns auch wirklich so gefühlt. [...]

 

Mit dem Kind musste ich immer in einen Nobelpark gehen, an der Corniche in Marseille. Da waren lauter feine Nurses [Kindermädchen, Ammen] aus sehr reichen Häusern, darunter eine Schweizerin. Und ich war sehr mager - es war ja eine sehr bittere Zeit. Irgendeinmal hat mich mein Mann abgeholt; der war auch sehr mager. Wie er weggegangen ist, hat sie gesagt: "Geht's Ihnen eigentlich sehr schlecht?" Hab ich gesagt: "Nein, es geht uns gar nicht schlecht. Wir haben halt nichts zu essen." Am nächsten Tag ist sie gekommen und hat mir ein Ei gegeben. Und hat gesagt: "Anni, Sie müssen nicht denken, dass ich das bei meiner Herrschaft gestohlen hab. Die Madame hat gesagt, ich kann mir am Abend ein Butterbrot und ein Ei nehmen. Wenn Sie sich Mehl verschaffen können, können Sie sich etwas backen." Am nächsten Tag habe ich zu ihr gesagt: "Hören Sie, Rose. Sie haben etwas Wunderschönes gemacht jetzt. Wir sind hier viele Österreicher, die meisten sind in Gurs im Lager. Sprechen Sie auch mit den anderen Nurses darüber." Darauf ist dann eine andere zu mir gekommen, die hat immer nur einen Hund ausgeführt. "Dieses Viech muss ich täglich spazieren führen. Und in unserer Villa ist ein Keller voll mit Bruchreis, nur für den Hund. Essen Sie Bruchreis?" Hab ich gesagt: "Na freilich!" Hat sie gesagt: "Dann werde ich Ihnen Bruchreis bringen." Sind diese ganzen Nurses gekommen und haben mir jede irgendetwas angetragen. Wie ich gesehen hab, dass sie zugänglich sind, hab ich ihnen erzählt: "Es gibt sehr viele österreichische Flüchtlinge in Frankreich. Und am allerschlimmsten sind die dran, die als Spanienkämpfer in Spanien waren und jetzt in Gurs interniert sind und die dort gequält werden und nichts zu essen haben." Die haben dann richtig angefangen, Aktionen zu machen. Sie haben Lebensmittel gebracht -bewusst für die ehemaligen Spanienkämpfer, für die österreichischen, in Gurs.

 

 

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