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Zur Geschichte der Widerstandsforschung

Wolfgang Neugebauer

Die Geschichte der Widerstandsforschung spiegelt in gewissem Maße die politisch-gesellschaftliche Entwicklung Österreichs nach 1945 wider. In dem 1946 von der Bundesregierung herausgegebenen „Rot-Weiß-Rot-Buch“ wurde zum Zwecke des Nachweises des von den Alliierten in der Moskauer Deklaration 1943 geforderten „eigenen Beitrags“ Österreichs zu seiner Befreiung der Widerstand – unter völliger Ausblendung des österreichischen Anteils am Nationalsozialismus und dessen Verbrechen – einseitig in den Vordergrund gestellt. Doch schon bald gerieten die ehemaligen WiderstandskämpferInnen gegenüber der weitaus größeren Zahl ehemaliger NS-AnhängerInnen ins Hintertreffen, und der Widerstand war über viele Jahre kein politisches oder wissenschaftliches Thema. Ein von der Regierung Anfang der 1960er-Jahre gestartetes großes Projekt (mit später bekannten Historikern wie Ludwig Jedlicka, Karl Stadler und Herbert Steiner) scheiterte an widersprüchlichen politischen Interessen.

 

Erst mit der Gründung des DÖW durch ehemalige WiderstandskämpferInnen und Verfolgte (unter der Leitung von Herbert Steiner) setzte eine Aufarbeitung des Widerstandes ein, die durch die Schaffung zeitgeschichtlicher Universitätsinstitute insbesondere in den 1970er-Jahren beträchtliche Impulse erhielt. Im Unterschied zur europäischen Widerstandsforschung, die bis heute auf den jeweiligen nationalen politischen und militärischen Widerstand fokussiert ist, und im Gegensatz zur Forschung in der BRD und DDR, wo der Widerstand lange Zeit im Sinne des jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Systems eingeengt wurde, legte das DÖW seiner Sammlungs-, Forschungs- und Publikationstätigkeit einen breiten, von dem Linzer Zeithistoriker Karl R. Stadler übernommenen Widerstandsbegriff zugrunde. Durch die pluralistische, staats- und parteiunabhängige Konstruktion des DÖW sind von Anfang an politisch motivierte Ausgrenzungen unterblieben und das gesamte politische Spektrum des österreichischen Widerstandes, aber auch schon sehr früh die verschiedenen Formen nichtorganisierten Widerstandes und Oppositionsverhaltens aufgearbeitet worden. Das wichtigste DÖW-Projekt war die Dokumentenedition „Widerstand und Verfolgung“, in der seit 1975 13 umfangreiche Bände über Wien, Burgenland, Oberösterreich, Tirol, Niederösterreich und Salzburg veröffentlicht worden sind.

 

Durch die tief greifende Waldheim-Kontroverse wurde in Österreich ein Paradigmenwechsel im politischen und zeitgeschichtlichen Diskurs ausgelöst, in dessen Verlauf eine Verlagerung des Forschungsinteresses zu Holocaust, KZ-Forschung, „Arisierung“, NS-Euthanasie und NS-Tätern bzw. zu damit zusammenhängenden Nachkriegsproblemen erfolgte; gleichzeitig ergab sich eine nicht zu leugnende Stagnation in der Widerstandsforschung.

 

Erst die 1998 begonnenen Kooperationsprojekte des DÖW mit der Philipps-Universität Marburg zur Aufarbeitung der NS-Justiz in Österreich gaben der Widerstandsforschung neue Impulse. Durch die vollständige, EDV-gestützte Erfassung der gegen mehr als 6000 österreichische WiderstandskämpferInnen gerichteten Verfahren vor dem Volksgerichtshof bzw. den Oberlandesgerichten Wien und Graz liegen nun sowohl die Gerichtsakten in Papierkopien oder Mikrofiches als auch auszuwertendes statistisches Material vor. Das nun abgeschlossene und in der vorliegenden Publikation präsentierte DÖW-Projekt „Namentliche Erfassung der Opfer politischer Verfolgung in Österreich 1938 - 1945“ bringt auch neue Ergebnisse zum Widerstand, indem erstmals sämtliche Namen und Daten der umgekommenen WiderstandskämpferInnen, soweit sie noch eruierbar waren, erfasst wurden.

 

 

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Anton Pelinka: Der österreichische Widerstand im Widerspruch der verschiedenen Narrative
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